Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Alles ist da, nur die Menschen fehlen

Das Museum des Neustädter Landes, die Geschichtsgesellschaft des Neustädterlandes und der Verein der Dorferneuerung Friedersdorf luden ins Neustädter Kino zum Autorentreffen ein. „Alles ist da, nur die Menschen fehlen. Umsiedlungen in den Jahren 1945-1947 in Erinnerungen der Bewohner des Neustädter Landes“ lautet der aus dem polnischen übersetzte Titel des Ende letzten Jahres herausgegebenen Buches.

Die Publikation „Wszystko jest tylko ludzi nie ma“ beinhaltet 44 Zeitzeugenaussagen von Menschen, die im Kindesalter zwangsumgesiedelt wurden und einen Bezug zum Kreis Neustadt haben. Drei Jahre lang wurden Zeitzeugen aus dem Umkreis von Neustadt aufgesucht und um ein Gespräch gebeten, einige Aussagen kommen aus Tagebüchern. „2015 bin ich mir bewusst geworden, dass es der letzte Moment ist, in dem man die Zeitzeugen aufsuchen kann. Wir hatten schon Publikationen, die unseren kulturellen Schmelztiegel, der hier im Umkreis von Neustadt nach 1945 erschaffen wurde, thematisierten, beispielsweise „Ein Blick durch die Gardine“, in denen die Traditionen beschrieben wurden, aber der Bedarf an der Thematik ist sehr groß“, sagt Wojciech Dominiak, Direktor des Museums des Neustädterlandes. Das Buch verfolgt ein wichtiges Ziel, erklärt der Direktor: „Wir wollten zeigen, dass die Opfer von Kriegen immer die Zivilbevölkerung ist, egal welcher Nationalität, Kultur oder welchen Glaubens sie ist.“

Das Buch wird ausschließlich bei Autorentreffen verteilt. Ein weiteres Treffen wird es im Mai in Friedersdorf geben.
Foto: Manuela Leibig

Erinnerungen von Polen, die aus den früheren polnischen Ostgebieten und aus Kleinpolen in die Nähe von Neustadt kamen, aber auch von Menschen, die im Neustädter Getto für Deutsche in der ul. Chrobrego gefangen gehalten wurden und nun in Deutschland leben, wie auch von Menschen, die letzten Endes die Region nie verlassen haben, sind im Buch zu lesen. Róża Zgorzelska vom Verein der Dorferneuerung Friedersdorf: „Diese Auswahl haben wir gezielt so getroffen. So kommt das Schicksal aller, die zwangsumgesiedelt wurden, zur Geltung. Das sind keine leichten Erinnerungen. Wer dieses Buch liest, wird Verständnis für die schwierige Zeit aufbringen und sich umso besser in der guten Zeit verstehen und vertragen“. Bei dem Autorentreffen in Neustadt meldete sich Adela Żurawska zur Wort, die 1927 in Grabicz geboren wurde: „Das Schlimmste waren die Bandera-Anhänger. Als meine Familie die ersten Ermordeten in unserem Dorf gesehen haben und wir noch erfahren haben, dass wir auch auf der Liste zum Ausrotten stehen, meldete mein Vater uns für den ersten Transport nach Polen an“, begann sie ihre Erzählung in dem vollgefüllten Kinosaal in Neustadt. „Nach langer Reise und langem Warten auf den Bahnhöfen landeten wir hier in Kunzendorf. Die deutsche Besitzerin des Hauses Martha Scholz hatte Angst vor uns, und wir vor ihr. Sie hatte fünf Kinder und war schwanger. Schließlich stellte sie Kartoffeln in Schalen auf den Tisch, wir holten unser trockenes Brot, noch von zu Hause, und aßen gemeinsam zu Mittag. Mit ihren Töchtern habe ich gerne gespielt, ich fragte sie, wie Sterne und Mond auf Deutsch heißen – und so lebten wir ein Jahr lang gemeinsam in ihrem Haus. Als dann die polnische Armee kam und Martha ausrauben wollte, hat mein Vater sich ihr in den Weg gestellt. Er hat nicht auf so ein Polen und so eine polnische Armee gewartet, sagte er ihnen. Als die Deutschen ausgesiedelt wurden, haben wir geweint und die Familie von Martha auch, so nahe sind wir uns in dem einen Jahr gekommen. Wir wohnen bis heute in dem Haus von Martha, jahrelang haben wir Briefe ausgetauscht“, so Adela Żurawska.

Das Buch wurde in einer Auflage von 750 Exemplaren gedruckt und wird ausschließlich bei Autorentreffen verteilt. Ein weiteres Treffen wird es im Mai in Friedersdorf geben. Dazu möchte auch der Zeitzeuge Werner Adamczyk aus Deutschland anreisen und seine Erinnerungen mit den Besuchern teilen.

Manuela Leibig

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