Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Breslau neu entdeckt (+Audio)

 

 

Mirko Seebeck hat einen alternativen Breslau-Reiseführer auf den Markt gebracht. Mit dem 34-jährigen Düsseldorfer sprach Marie Baumgarten.

 

Mirko Seebeck mit seinem alternativen Reiseführer
Foto: M. Baumgarten

 

 

Mirko, Sie pendeln zwischen Düsseldorf und Breslau. Wo haben Sie die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel verbracht?

Dieses Jahr war die Planung wegen Corona extrem schwierig. Zuerst sind wir, meine Freundin und ich, davon ausgegangen, dass wir die Feiertage in Breslau verbringen. Wir sind dann aber tatsächlich noch spontan nach Detmold zu meinen Eltern gefahren, das ist meine Geburtsstadt. In NRW gab es nach neuen Regelungen doch keine Quarantäne, daher haben wir uns vorher sozial isoliert und sind dann am 24. Dezember morgens losgefahren.

 

 

Wie in vielen anderen Städten in Polen und Deutschland, gab es in Breslau diesmal keinen Weihnachtsmarkt. Dafür wird 2021 die Vorfreude doppelt so groß sein. Hat es der Breslauer Weihnachtsmarkt denn auch in Ihren Reiseführer geschafft?

Ja, auch der Weihnachtsmarkt ist im Buch vertreten. Mein Anspruch an den Reiseführer war, sowohl Personen zu begeistern, die noch nie in Breslau waren, als auch denjenigen, die immer wiederkommen, ein paar neue Seiten zu zeigen. Ich denke, der Weihnachtsmarkt ist definitiv einer der 100 außergewöhnlichsten Orte in Breslau, die Atmosphäre ist einfach einmalig. Wir haben in den letzten Tagen Anfragen aus ganz Europa bekommen, ob wir die Glühweintassen besorgen und versenden können, ich denke das ist ein guter Beweis dafür, wie sehr der Weihnachtsmarkt in normalen Jahren die Menschen begeistert.

 

 

 

 

Breslau ist zweifelsohne eine der schönsten Städte Polens. Das dokumentieren bereits zahlreiche Reiseführer in allen Sprachen der Welt. Brauchen wir da wirklich noch einen?

Nun ja, die bisherigen Reiseführer sind sich alle relativ ähnlich im Aufbau, der Schreibweise und auch in der Dichte der Informationen. Wenn Sie beispielsweise nur ein Wochenende in einer Stadt verbringen wollen, sind mir persönlich 300-400 Vorschläge und Informationen zu viel. Mit meinem Werk wollte ich eine besondere Auswahl schaffen, die es in dieser Form noch nicht für Breslau gab, eine bunte Mischung an Orten, die zum Entdecken einladen. Dabei sollten diese Orte eben nicht nur kurz mit einem Satz erwähnt, sondern mit Anekdoten etwas ausführlicher vorgestellt werden.

 

Bei den bekannten Reiseführern finden sich zum Beispiel bei der Markthalle alle Jahreszahlen, aber nicht die Geschichte, warum es dort vor vielen Jahrzehnten auch Menschenfleisch im Angebot gab. Auch werden viele andere interessante und triviale Orte oftmals nicht oder nur sehr bescheiden erwähnt, zum Beispiel die abblätternden alten deutschen Hausbeschriftungen im Stadtteil Nadodrze, oder eines der kontroversesten Werke der Architektur mit der unglaublichen Geschichte dazu.

 

Auch ist mir aufgefallen, dass sich häufig in anderen Reiseführern im Impressum ein Anzeigenverkauf findet – was bedeutet, dass oftmals tatsächlich Restaurants die Verlage dafür bezahlen, um aufgeführt zu sein. Das zahlt natürlich am Ende der Besucher. Bei meinem Blick auf die Stadt handelt es sich um subjektive Lieblingsorte, die bei mir und in meinem Freundeskreis beliebt sind. Daher bringt dieses Werk einfach eine ganz andere Authentizität mit sich. Natürlich ebenfalls durch den zweiten Teil, in welchem über 20 andere mit Breslau verbundene Personen ihre ganz eigenen und persönlichen Lieblingsorte verraten.

 

Auch Sonnenbaden auf einem Strand geht es in der niederschlesischen Hauptstadt.
Foto: Mirko Seebeck

 

Sie nennen Ihren Reiseführer alternativ. Was genau ist für Sie „alternativ“?

Als alternativ würde ich ganz allgemein alles bezeichnen, was jenseits des Standards oder Gewöhnlichen liegt. Dinge, auf die man sich teilweise einfach mal einlassen sollte, auch wenn es sich um Neues handelt.

 

Was ist der absolute Geheimtipp für Breslau-Besucher?

Das ist natürlich schwierig so pauschal zu beantworten, da jeder Besucher sicherlich unterschiedliche Präferenzen hat. Wenn ich aber darüber nachdenke, welche Dinge in Breslau wirklich unterbewertet sind und nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie eigentlich verdienen, dann handelt es sich meistens um Orte, an denen die Einwohner auf ganz besondere Art und Weise wirken.

 

Unter anderem das Café Równik, in dem geistig erkrankte Menschen auf eindrucksvolle Weise den Gastronomiebetrieb meistern, die bunten Hinterhöfe der ul. Roosevelta, wo die Anwohner Initiative ergriffen haben, um triste Hinterhöfe eindrucksvoll und bunt zu gestalten oder auch das Mosaik-Herz in Nadodrze, an dem das ganze Viertel mitgewirkt hat. Breslaus Einwohner haben eine wahnsinnig kreative Energie – und letztlich ist diese auch auf mich übergesprungen.

 

 

Welche sind Ihre ganz persönlichen Lieblingsplätze?

Meine Lieblingsorte sind größtenteils mit der Oder verbunden. Es gibt nichts Tolleres, als mit dem Faltkanu am Wochenende auf die Oder zu gehen, in der Natur rund um die Oderbänke im Norden der Stadt abzutauchen und dann durch die Schleuse am Zoo Richtung Altstadtpanorama zu paddeln. Nicht zu vergessen dabei ist natürlich der Stopp in einer der zahlreichen Strandbars.

 

 

Was hat Breslau in Zeiten von Corona zu bieten?

Auch wenn Restaurants und Cafés geschlossen sind und das öffentliche Leben weit heruntergefahren ist, gibt es definitiv tolle Dinge zu erleben. Breslau ist zum Beispiel die grünste Stadt in Polen, es gibt hier die meisten Grünflächen pro Einwohner. Zahlreiche Parks laden zum Entdecken ein und in der direkten Umgebung gibt es ebenfalls wahnsinnig viele tolle Schlösser die man gut erreichen kann. Im Sommer geht natürlich auch in Corona-Zeiten nichts über die Oder – im Kanu oder Kajak auf dem Wasser werden auch sicher keine Abstandsregeln verletzt.

 

 

Haben Sie die Stadt im Lockdown noch einmal von einer anderen Seite kennen gelernt?

Schon, würde ich sagen. Zunächst war es natürlich sehr komisch, über den Marktplatz zu laufen und dort keine Touristen zu sehen. Aber neben einem „nackten“ Blick auf die wirklich einheimische Bevölkerung wirkten auch viele Orte nochmals entschleunigter.

 

 

Denken Sie, dass viele Deutsche das Nachbarland Polen noch immer für „ostig“ und rückständig halten und es deshalb nicht auf der Liste haben?

Ich glaube es gibt zwei Gründe, warum Polen nicht das klassische Reiseland für die Deutschen ist. Zum einen verschlägt es uns Deutsche oftmals eher weiter in die Ferne, und zum anderen wissen viele von uns auch einfach tatsächlich zu wenig über Polen. Es gibt so viele atemberaubende Orte in Polen, was Natur und Landschaft angeht, zusätzlich ist es ein sehr erschwingliches Reiseland. Ich hoffe, dass ich mit meinem Werk einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, Polen und natürlich insbesondere Breslau mehr ins Gespräch zu bringen, gerade auch weil es so nah und gut erreichbar ist.

 

Auch Sonnenbaden auf einem Strand geht es in der niederschlesischen Hauptstadt.
Foto: Mirko Seebeck

 

 

Wann genau haben Sie Ihr Herz an Breslau verloren (und wie kam das)?

Das erste Mal bin ich im Januar 2015 in Breslau gewesen und habe dort schon gespürt, dass die Stadt etwas ganz Besonderes ist. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten verschlafenen Morgenspaziergang vorbei an der Dominsel. Im Flugzeug zurück nach Düsseldorf wusste ich, ich möchte unbedingt wiederkommen und die Stadt im Sommer wiedersehen. Daraus wurden dann viele Male und schlussendlich habe ich mit Ewa eine unglaublich tolle Frau kennengelernt, die mir nicht nur einen Grund geliefert hat, noch mehr Zeit in Breslau zu verbringen, sondern ebenfalls meinen Blick auf die Stadt wahnsinnig erweitert hat. Dazu muss ich wohl erwähnen, dass sie nicht nur ein wandelndes Geschichtslexikon ist, sondern ihre Begeisterung und Neugierde ist extrem ansteckend. Ohne sie wäre ich vermutlich nie auf einer solch kreativen Ebene tätig geworden.

 

 

Sie sind in Schlesien verwurzelt, Ihre Großmutter stammt aus Oppeln. Wie sehr hat Sie das geprägt?

Genau, meine Großmutter väterlicherseits wurde 1914 in Oppeln geboren. Nach dem Krieg ist der Großteil meiner Familie dann aber nicht geblieben. Ich kenne nicht alle Details, aber soweit mir bekannt ist, hätte man sogar in Oppeln bleiben können. Es waren wohl mehr die Umstände der russischen Verwaltung, aufgrund derer man dann eine Entscheidung zur Aussiedlung getroffen hat und Richtung Westen gezogen ist. Ein Onkel von mir blieb noch, ich glaube bis 1957, und hat auch Polnisch in der Schule gelernt, ist dann aber letztendlich gleichfalls dem Rest meiner Familie hinterhergezogen. Meine Großmutter verstarb allerdings zwei Jahre nach meiner Geburt, sodass ich nicht sagen würde, dass mich das geprägt hat. Ich finde es eher etwas amüsant, dass ich mich nun wieder in die Richtung meiner familiären Wurzeln bewege. Auch mütterlicherseits kommen meine Großeltern aus einer Gegend nicht weit von hier, aus einem sudetendeutschen Landstrich in der Nähe von Olmütz, der heutigen Tschechischen Republik.

 

 

Haben sie die doppelte Staatsbürgerschaft?

Nein, da sowohl meine Eltern als auch ich in Deutschland geboren wurden, haben wir ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft.

 

 

Sprechen Sie Polnisch?

Jein! Ich spreche es sehr gerne – aber nicht besonders gut. Ich kann mich gut im Alltag verständigen, insbesondere beim Thema Essen und Trinken sind meine Polnischkenntnisse fließend, aber für intensive Diskussionen reicht es derzeit noch nicht.

 

Stellen Sie sich vor, die Grenzen wären in Zukunft dauerhaft geschlossen, ein Pendeln zwischen den Staaten wäre nur schwerlich oder gar nicht möglich – wie es teilweise im Lockdown der Fall ist – würden Sie sich auch dann für ein Leben in Breslau entscheiden oder zurück nach Düsseldorf gehen?

Die Frage ist schwierig zu beantworten. Heimat ist für mich eher ein Gefühl als ein Ort. Ich fühle mich heimisch, wenn ich meine großartigen Freunde um mich herum habe. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob in Breslau, in Düsseldorf oder irgendwo anders in der Welt. Wenn ein Pendeln gar nicht möglich sein sollte, würden wir die Entscheidung wohl für den Ort fallen, an dem wir uns dann gerade befinden. Düsseldorf und Breslau haben doch auch einige Überschneidungen, wenn man an schöne laue Sommernächte am Wasser denkt, aber auch architektonisch bin ich sicher nicht der Einzige, der eine gewisse Ähnlichkeit der Jahrhunderthalle in Breslau und der Tonhalle in Düsseldorf wahrnimmt.

 

 

Wenn Sie nur eine einzige Empfehlung für einen Breslau-Aufenthalt geben könnten, welche wäre das?

Unbedingt mehr Zeit als nur ein Wochenende einplanen!

 

 

 

Mirko Seebeck wurde 1986 in Detmold geboren. Er hat Wirtschaftswissenschaften an der Fern-Universität Hagen studiert und ist in der Logistik eines strategischen Großkundenvertriebs tätig.

Den Reiseführer gibt es online im Shop auf www.wroclawguide.com sowie im Buchhandel (mit der ISBN 978-3-98223388-8 bestellbar) oder bei Amazon. Der Preis beträgt 16,95 EUR/ 74,99 PLN.

 

 

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