Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Wort zum Sonntag von Pastor Wojciech Pracki

III. Sonntag nach Trinitatis

Lesungen: Timotheus 1,12-17; Lukasevangelium 15,1-3.11b-32

Predigttext: Ezechiel 18,1-4.21-24.30-32

Wie kommt ihr dazu, im Land Israel das Sprichwort zu gebrauchen: die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf? So wahr ich lebe – Spruch Gottes, des Herrn -, keiner von euch in Israel soll mehr dieses Sprichwort gebrauchen. Ez 18,2-3

Verantwortung der Generationen

Wahrscheinlich kennen Sie das aus Ihrer Familiengeschichte nur zu gut. Wenn Sie eine Tragödie erleben, ziehen sich ihre Folgen über weitere Familiengenerationen. Meine Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits waren Bauern und besaßen relativ große Bauernhöfe mit vielen Äckern und Tieren. Es kam aber der Zweite Weltkrieg und ihre Kinder, meine Großeltern, erfuhren das Schicksal der Deutschen in der Nachkriegszeit im kommunistischen Polen. Die zwei Bauernhöfe wurden zu einer Art Familienmythos, denn beide Familien wurden enteignet. Eine Geschichte, in der sich vielleicht viele Leser/innen des Wochenblatts wiederfinden. Die Erlebnisse einer Generation haben ihre Folgen im Leben der Nachkommen. Beide Familien mussten lernen, mit ihrem Verlust umzugehen.

Es muss aber nicht unbedingt ein Krieg ausbrechen. Wenn eine Frau zur Witwe wird und allein ihre Kinder großzieht, hat das natürlich Einfluss auf sie und auf die zukünftigen Enkel und ihre Lebenseinstellung. Vom Erbe unserer Vorfahrgenerationen werden wir nicht frei. Es ist gut, sich das bewusst zu machen. Die individuelle Erfahrung und die Erlebnisse meiner Vorfahren machen mich zu dem, der ich bin. Meine Erlebnisse und Lebenseinstellung beeinflussen meine Kinder. Davon werden wir nicht frei. Das Gute und das Schlechte trägt seine, manchmal auch über mehrere Generationen hinweg, Konsequenzen weiter. Wenn ich ein glückliches Familienleben führe, hat das natürlich auch Einfluss auf meine Nachkommen. Saure Trauben, die die Zähne der Kinder und Enkel stumpf machen!

Individuelle Verantwortung

Irgendwie werden wir von der Wahrhaftigkeit des von Ezechiel erwähnten Sprichwortes nicht frei. Trotzdem sagt Gott in den weiteren Versen des Predigttextes etwas anderes. Im Verhältnis zum Menschen zählt nur die individuelle Verantwortung. Wir erben süße und bittere Erfahrungen, die uns stark prägen – das stimmt. Aber vor Gott tragen wir die Verantwortung ausschließlich für unsere Worte, Taten, Gedanken und Vernachlässigungen. Nicht für die unserer Vor- oder Nachfahren. Wir sind also der Sünden unserer Väter und Mütter nicht mitschuldig. Ihren Segen tragen wir auch nicht. Jeder Mensch steht im Verhältnis zu Gott individuell. Gott nimmt uns ernst, nicht als formlose Masse, sondern erkennt uns als Persönlichkeiten an. Es ist ein Privileg, aber zugleich große Verantwortung. Was wir damit machen, ist unsere Entscheidung.

Die Ferienzeit beginnt – sie gibt neue Möglichkeiten, frische Luft zu schnappen und tief durchzuatmen. Es ist auch eine gute Zeit zu bedenken – wie stehe ich zu Gott? Was ist mit meiner individuellen Verantwortung? Ist Erlösung für mich überhaupt ein Thema? Hoffentlich werden unsere Zähne an den Fragen nicht stumpf.

 

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