Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Erinnerung – Wspomnienie

Vertreter der Gemeinde Turawa in Warschau
Vertreter der Gemeinde Turawa in Warschau

August 1998 – das „Oppelner Sommermärchen“ erreicht seinen Höhepunkt mit dem „Ball des Glücks“  – die Woiwodschaft Oppeln verschwindet nicht von der polnischen Landkarte. Dank einer friedlichen Protestaktion von mehreren Monaten!

 

Schüler der Grundschule Wengern (Wegry) in der Gemeinde Turawa haben damals als Chronisten diese Aktion begleitet und schriftlich dokumentiert. Diese Chronik des Bürgerprotestes fand ihren Weg bis zur Hamburger Körber-Stiftung, wo sie im Rahmen des Geschichtswettbewerbs als wichtiges Geschichtsdokument, das über eine sich entwickelnde Zivilgesellschaft im von Polen und Deutschen bewohnten Oberschlesien berichtet, durch den damaligen deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau gewürdigt und ihre Verfasser ausgezeichnet wurden. Vielleicht besitzen noch einige daran aktiv Beteiligte diese Chronik.

 

Daraus einige Zitate

 

Der 15. März 1998 ging als das „Wunder von Oppeln“ in die Geschichte der Woiwodschaft ein. Die „Nike von Oppeln“ auf dem Freiheitsplatz trug damals ein langes gelb-blaues Kleid. Vor ihr versammelten sich nicht zum ersten Mal viele polnische und deutsche Bürger aus der Woiwodschaft und demonstrierten gegen die Warschauer Pläne und für den Erhalt ihrer Heimat in den Verwaltungsstrukturen der Polnischen Republik. Viele Bürger der Woiwodschaft empfanden das als einen Willkürakt, gegen den man sich mit den Mitteln des friedlichen Protestes zur Wehr setzen musste. Und so sangen die Kundgebungsteilnehmer, manche waren in den Trachten ihrer Heimatregion erschienen, traditionelle Lieder und Vertreter der Woiwodschaft, der Landkreise und Gemeinden, der Stadt Oppeln und der in der Woiwodschaft lebenden Minderheiten hielten Ansprachen, so u.a. der damalige Woiwode Ryszard Zembaczyński, Senatorin Dorota Simoniedes und für die deutsche Minderheit der Vorsitzende der Sozial-kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien und Sejmabgeordnete Heinrich Kroll. Der Piastenturm, das Wahrzeichen Oppelns, fungierte symbolisch als Kanone, von der der Bürgerprotest in Richtung Warschau „geschossen“ wird. Und vom Turm des Rathauses erklang jede halbe Stunde der „Oppelner Walzer“, gespielt von einem Feuerwehrmann. Damals ebenfalls ein Zeichen des Protestes, das sich zu einer schönen Tradition entwickelt hat, denn noch heute erklingt zur Freude der Oppelner und der Gäste Punkt 12 Uhr diese Melodie.

 

„Wir verteidigen das Unsere!“

 

So lautete das Motto, das über allen Aktionen stand, die damals gemeinsam von allen gesellschaftlichen Kräften  der Woiwodschaft beschlossen wurden. Der wichtigste Punkt war, dass alle Bemühungen um den Erhalt der Woiwodschaft Oppeln friedlich verlaufen. Weitere Punkte waren eine Unterschriftensammlung, die Bildung einer Menschenkette, eine Fahrt und ein Protestmarsch in Warschau. Alle diese Aktionen wurden von vielen tausend Bewohnern der Woiwodschaft Oppeln getragen, ohne Unterschied der Nationalität,ohne Unterschied ob altansässig oder nach 1945 hier angesiedelt. Dieser vielstimmige Protest konnte in Warschau nicht ungehört verhallen und so nahm man von den Plänen zur Auflösung und Teilung der Oppelner Woiwodschaft Abstand. Im Jahr 1999 kehrte nach vielen Jahren wieder der Landkreis Rosenberg nach Auflösung der Woiwodschaft Tschenstochau nach Oppeln zurück.

 

Protest ist bleibende Mahnung

 

Was ist nach 18 Jahren von den damaligen Geschehnissen geblieben? Sichtbare Zeichen sind  ein humorvolles Denkmal (Soldat mit Kanone) am Rande des Freiheitsplatzes und ein Gedenkstein vor dem Woiwodschaftsamt, der vor acht Jahren aus Anlass des zehnjährigen „Weiterbestehens“ der Woiwodschaft aufgestellt wurde. Und geblieben sind vor allem die vielen fleißigen Beamten und Mitarbeitern in den Ämtern des Woiwoden und im Marschallamt.

 

Jetzt wird wieder überall gefeiert – 25 Jahre „Deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag“. Völlig zurecht, ein grandioser Erfolg beider Völker mit aktueller Beispielwirkung. Wäre da nicht eine von „oben“ verordnete Stadterweiterung von Oppeln, ohne die Rechte der Beteiligten zu beachten und die immer wieder beschworene Brückenfunktion der deutschen Minderheit zu negieren sowie ihren Funktionsträgern die Rettung ihrer Positionen vorzuwerfen. Schwerer wiegt aber noch, dass sich Polen im Nachbarschaftsvertrag, Art. 20 Abs. 2, verpflichtet hat, internationale Minderheitenstandards zu achten. Bemerkenswert ist, dass wieder polnische und deutsche Mitbürger friedlich gegen die Eingemeindung demonstrieren. Als Gründe der Stadtverwaltung werden zu Felde geführt, das Herausheben der Bedeutung der Woiwodschaftshauptstadt, Ansiedlung neuer Industrien und Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Dabei wird nicht bedacht, dass gerade das Vorhandensein einer deutschen Minderheit und die Zweisprachigkeit Investoren anlockt, was auch ein großer Verdienst deutscher Kommunalpolitiker ist. Außerdem wird nicht bedacht, dass man in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen zerschlägt, vielen Menschen, Polen wie Deutschen, das Gefühl für ihre „Kleine Heimat“ nimmt. Natürlich sind heute im Zeitalter einer immer schneller wachsenden Globalisierung Änderungen in alten Verwaltungsstrukturen notwendig, das ist auch in Deutschland geschehen, wo hunderte Städte, Gemeinden und Kreise in den letzten zwei Jahrzehnten zusammengelegt wurden.. Aber bei der Stadterweiterung Oppelns geht es auch um den Weiterbestand einer spürbaren deutschen Minderheit, deren Wohngebiet durch den gemeinsamen Bürgerprotest von Polen und Deutschen  1998 vor einer Teilung  bewahrt und damit erhalten blieb. Also sollte man miteinander sprechen, gemeinsam Kompromisse suchen um eine notwendige Reform der Verwaltung  im Sinne der Menschen zu finden. Es lohnt sich deshalb weiterzukämpfen.

 

Johanna Lemke-Prediger                  

 

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