Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Ich bin froh, dass ich nicht ausgewandert bin“

 

 

Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg endet, ist Alfred Czesla gerade zehn Wochen alt. Kurz zuvor war der Vater ums Leben gekommen, wenig später sollte er auch noch die Mutter verlieren. Doch der spätere Soziologe und Träger namhafter Auszeichnungen findet Halt im Heimatgedanken.

 

Dr. Alfred Czesla vor der evangelisch-augsburgischen Kirche in Allenstein und dem Gemeindehaus.
Photo: Privatarchiv.

 

Der Start ins Leben war für Alfred Czesla kein leichter. Am 23. Februar 1945 erblickt er im masurischen Sensburg das Licht der Welt. Es herrscht Krieg, und Vater Max, Chauffeur bei der Wehrmacht, kommt bei einem alliierten Bombenangriff auf Königsberg ums Leben – zu diesem Zeitpunkt ist der kleine Alfred erst einen Monat alt. Doch das Schicksal schlägt noch härter zu, wenig später sollte er auch seine Mutter Berta verlieren. Kurz danach die Großmutter Maria, die sich nach dem Tod der Eltern aufopferungsvoll um ihn gekümmert hatte.

Jetzt ist Alfrad Czesla Vollwaise und kommt in ein Waisenhaus in Sensburg. Ein Zuhause findet er hier aber nicht. Wie einen ungeliebten Welpen reicht man ihn weiter an Waisenhäuser in Mohrungen und anschließend nach Bartenstein, Osterode und Rößel.

 

 

Ein Zuhause mit Tante Ida

Erst als er acht Jahre alt ist, findet ihn seine Tante Ida, die Schwester der Mutter. Das war nicht so einfach, denn die neuen kommunistischen Machthaber hatten im Zuge des Polonisierungsprozesses seinen Vornamen, Nachnamen und sogar das Geburtsdatum geändert. Tante Ida will ihn aus dem Waisenhaus holen und mit ihm nach Deutschland ausreisen, wo weitere Angehörige leben. Doch sie bekommen keine Erlaubnis. „Der Kontakt mit der Tante war für mich sehr wichtig, denn dank ihr habe ich erfahren, dass ich nicht alleine bin, dass ich eine Familie habe – und außerdem brachte sie mir Süßigkeiten“, erinnert sich Alfred Czesla.

 

 

Verbundenheit zur Heimat gibt ihm Kraft

Im Jahr 1966 legt Czesla das Abitur ab und begibt sich noch im selben Jahr zum Studium der Soziologie an die Universität Lodsch – eine Zeit, in der er ein Erwachen erlebt. „Das geschah, nachdem ich Kontakt mit meinem Onkel Fritz in Krefeld aufgenommen hatte. Ich habe ihn besucht und von ihm alles über meine Familie und mich erfahren. Ich habe erfahren, dass ich getauft wurde und Protestant bin. Von ihm lernte ich die deutsche und masurische Sprache. Als ich das Studium beendet hatte, brauchten die Allensteiner Autoreifenbetriebe einen Soziologen und ich wollte sehr gerne meiner Heimat nahe bleiben. Ich nahm also meine Arbeit in Allenstein beim Labor für gesellschaftliche Analysen auf. Ich bin mit meiner Region Ermland und Masuren emotional sehr stark verbunden“, sagt er.

 

 

Eine gelungene Karriere

Die Verbundenheit zu seiner Heimat gibt ihm viel Kraft und es gelingt ihm sogar, als Deutscher in Polen Karriere zu machen. In seiner beruflichen Tätigkeit findet er Erfüllung. Alfred Czesla ist über 20 Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Pädagogischen Hochschule in Allenstein und arbeitet in den Jahren 1993-2013 im Woiwodschafts-Arbeitsamt in Allenstein als Experte und Analytiker des regionalen Arbeitsmarkts. Er veröffentlicht zahlreiche Publikationen zum Thema Arbeitslosigkeit in Ermland und Masuren.

Auch ehrenamtlich engagiert sich Alfred Czesla. Er ist nicht nur Mitglied der Gemeinde der evangelisch-augsburgischen Kirche in Allenstein und nimmt aktiv teil an der Entwicklung der ökumenischen Bewegung in der Diözese Masuren. Er wird auch zum Wegbereiter für die deutsche Minderheit in Ermland und Masuren. Er hat die Gesellschaften der deutschen Minderheit in Sensburg, Allenstein und Osterode, den Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren sowie die Masurische Evangelische Gesellschaft mitgegründet.

 

 

Der Brückenbauer

Alfred Czesla wird mit vielen Medaillen und Orden ausgezeichnet, unter anderem mit dem Silbernen und Goldenen Verdienstkreuz der Republik Polen sowie dem Ritterkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Eine hohe Ehrung vonseiten beider Staaten – damit wird Czesla schließlich zu einem Bindeglied zwischen den Nationen und bleibt es bis heute. „Ich bin froh, dass ich nicht ausgewandert bin und meine Heimat nicht verlassen habe“, sagt der 75-Jährige. „Ich fühle mich als deutscher Masure. Und weil ich in Polen lebe, teilweise auch als Pole.“

 

Lek/mb

 

 

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