Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Schlesien – Geschichte, Landschaft, Kultur

 

Um eine der wichtigsten europäischen Kulturregionen dreht sich der neue Text-Bild-Band von Roswitha Schieb. Mit der Autorin sprach Marie Baumgarten.

 

Roswitha Schieb

 

Frau Schieb, Ihr neues Buch „Schlesien – Geschichte, Landschaft, Kultur“ kommt optisch zweifelsohne wie ein Atlas daher, es wiegt auch einiges. War das die Idee dahinter – einen Schlesien-Atlas zu schaffen, eine Art Nachschlagewerk, das in jedes Bücherregal gehört?

 

In jedes Bücherregal wäre vielleicht übertrieben, aber das Ziel ist natürlich, dass es möglichst viele Leser erreichen soll. Da Schlesien ja seit den 1970er, 80er Jahren in Deutschland tabuisiert wurde, ist diese Region in Vergessenheit geraten – sehr zu Unrecht. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieses Buch dabei mithelfen könnte, die kulturelle, geschichtliche und landschaftliche Vielfalt Schlesiens neu zu entdecken.

 

 

Taugt es denn auch als Reiseführer?

 

Natürlich! Allerdings mit der Einschränkung, dass es für Rucksackwanderer ein bisschen zu sperrig ist. Aber für diejenigen Reisenden, die sich mit dem Auto fortbewegen, wäre es ein Leichtes, das Buch mitzunehmen. Es ist ja bewusst in sechs topographische Kapitel eingeteilt und es ist durchaus wünschenswert, sich von den Bildern und dem Text anregen zu lassen, bevorzugte Reiserouten mit Hilfe des Buches zu planen und durchzuführen. Wer Schlesien mit all seinen unterschiedlichen Regionen flächendeckend erkunden möchte, sollte sich anhand dieses Buches gut orientieren können.

 

 

Die beeindruckenden Fotos stammen von dem schlesischen Fotografen Marek Maruszak. Was macht seine Bilder besonders?

 

Sehr gut gefallen mir seine stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen, die atmosphärisch dicht sind und nie ins Kitschige abgleiten. Er hat einen untrüglichen Blick für Himmel, Wolkenformationen und Lichteinfall. Aber auch seine Architekturfotos gefallen mir sehr, weil sie klar und anschaulich sind und manchmal ungewöhnliche Perspektiven einnehmen, die den Gehalt eines Bauwerks besonders hervorheben, wie das Foto vom Innenraum der Schweidnitzer Friedenskirche, der sich von oben, flankiert von zwei lebhaften Putten, sehr gut erschließt. Marek Maruszak gelingt es auch, Menschen bzw. Menschengruppen so zu fotografieren, dass Atmosphäre entsteht. Es ist ziemlich selten, dass ein Fotograf sowohl Landschaften, als auch Architektur und Menschen glaubwürdig ins Bild setzen kann.

 

 

Haben Sie selbst alle Orte besucht, die Sie im Buch vorstellen?

 

Alle Orte, die im Buch vorkommen, habe ich nicht besucht, aber sehr viele. Über die Orte, die ich nicht aufsuchen konnte, weil sonst das ganze Projekt zu lange gedauert hätte, habe ich sehr viel gelesen. Ich besitze ja zu Hause eine reichhaltige Schlesien-Bibliothek mit Publikationen aus älterer und neuester Zeit, mit deren Hilfe ich gut arbeiten konnte. Und was die Reisen angeht: natürlich ist es sehr gut, Städte, Dörfer und Landschaften vor Ort zu erkunden, aber es gilt immer wieder, dass man oft nur das sieht, was man weiß. Daher ist eine umfassende Lektüre vor jeder Reise sowieso unverzichtbar.

 

 

Welcher Ort ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

 

Das ist eine schwierige Frage, weil die Eindrücke von vielen Orten so intensiv sind. Sehr stark in Erinnerung geblieben sind mir Bernstadt/ Bierutów und Strehlen/ Strzelin, weil man hier die Folgen des Krieges nach über 70 Jahren immer noch mit den Händen greifen kann. Das sind Erinnerungen, die mir einen Stich versetzen. Besonders positiv in Erinnerung habe ich dagegen einen Abend in Oppeln, als ich mit einer Freundin zusammen auf dem Rynek in einem Restaurant saß, wo es sehr gutes Essen (Schlesische Klöße, Rotkohl, sehr zartes Fleisch – ein Gedicht!) und leckeres Bier gab und wo ich nachts in meinem Hotel am Bahnhof von den sehr weichen, metallischen Geräuschen der Güterzüge sanft in den Schlaf gewiegt wurde.

 

 

Sie stellen auch Rezepte zum Nachkochen vor. Welches ist ihr persönlicher Liebling?

 

Ich esse am liebsten Fleischpiroggen/ Pirogi z mięsem und Blaubeerpiroggen/ Pirogi z jagodami. Am allerliebsten esse ich sie, wenn ich in Polen bin, da schmecken sie einfach am besten.

 

 

Ihr Buch führt den Leser durch die gesamte historische Provinz Schlesien. Sie unterscheiden dabei zwischen Niederschlesien, Mittelschlesien, Oppelner Land und Oberschlesien. Dabei ist das Oppelner Land doch auch Oberschlesien. Und Breslau, im Buch in Mittelschlesien verortet, gehört zu Niederschlesien. Worauf basiert nun Ihre Betrachtung?

 

Ich weiß auch, dass eigentlich nur zwischen Nieder- und Oberschlesien unterschieden wird. „Mittelschlesien“ ist ein Begriff, den ich nur zur leichteren Orientierung eingeführt habe. Dass es nicht immer so klar war mit den innerschlesischen Grenzen, weiß ich allerdings von meiner Mutter, Jahrgang 1923, die aus der Gegend um Neiße/ Nysa stammt. Sie erinnert sich noch daran, dass im Zuge einer Gebietsreform wohl in den 1930er Jahren Neiße und Grottkau plötzlich zu Oberschlesien gezählt wurden, was den Bewohnern gar nicht gefiel, „wir sind doch keine Oberschlesier“, hieß es da. Man war sich im reichen, fruchtbaren Bauernland sicher, eine ganz andere Mentalität zu haben als die Oberschlesier mit ihren kargen Böden und der Industrie. Ich bin überzeugt, dass die Vielfalt der schlesischen Regionen auch zu einer Vielfalt der innerschlesischen Identitäten führt.

 

 

Für Schlesien-Neulinge ist Ihr Buch ein echter Fundus. Was aber hält es für die Kenner bereit?

 

Für Kenner hält das Buch vor allem einen neuartigen Überblick, eine Gesamtschau, und zwar auf vielen verschiedenen Ebenen bereit. Deutsche Kenner wissen oft nicht so viel über die polnische Gegenwart, polnische Kenner wiederum haben, so meine Erfahrung, großes Interesse an der deutschen Vergangenheit. Wichtig war es mir daher, die historische, also die deutsche Perspektive mit der heutigen, der polnischen, zu verknüpfen – und das nicht nur auf der Ebene der historischen Städte und Orte, sondern auch in puncto Brauchtum, Essen, Witz, Sprachen. Seit meiner ersten Reise nach Schlesien beschäftigt mich die Frage, was die neuen Bewohner mit dieser ihnen zunächst fremden Region anfangen, ob sie ihre Bräuche etc. mitbrachten, ob sie sich für das, was früher hier war, interessieren. Und ich freue mich immer wieder sehr, wenn es heutige Veranstaltungen, Bräuche und Feste gibt, die sich auf ältere Traditionen beziehen. Wenn es in Schlesien einen Verlag geben würde, der Interesse daran hätte, dieses Buch in polnischer Übersetzung herauszubringen, wäre das Buch für mich erst eine ganz runde Sache.

 

 

Wenn Sie Schlesien nur noch einmal in Ihrem Leben bereisen könnten, an welchen Ort würde es Sie ziehen?

 

Diese Frage kann ich kaum beantworten, weil ich nicht die richtige Adressatin für diese Frage bin. Wenn man diese Frage meinen Eltern gestellt hätte, hätten sie sicher gesagt, dass sie noch einmal gerne in ihre Herkunftsorte – mein Vater nach Gleiwitz und Ortowitz, meine Mutter nach Woisselsdorf bei Grottkau – fahren würden. Ich stamme nicht aus Schlesien, also zieht es mich nicht an die Stätten meiner Kindheit. Natürlich habe ich die die Stätten der Kindheit und Jugend meiner Eltern besucht, und zwar durchaus mit emotionaler Bewegung, aber ich muss nicht immer wieder dort hinfahren. Orte sind mit Menschen verbunden, und mir nahestehende Menschen habe ich in Schlesien nicht. Eher würden mich bei einer letzten Reise nach Schlesien die Landschaften reizen, entweder diese romantisch-anmutige Eichendorff-Gegend um Lubowitz oder das reiche, hügelige Bauernland zwischen Nimptsch, Münsterberg und Frankenstein. Dort würde ich gerne an einem warmen Julitag, mit Blick auf die Sudeten am südlichen Horizont, eine Fahrt durch die unglaublich fruchtbaren Weizenfelder unternehmen, über die sacht der Wind geht.

 

 

Schlesien – Geschichte, Landschaft, Kultur ist 2020 im Elsengold Verlag erschienen. Es hat 224 Seiten. Bestellen kann man es unter www.schlesische-schatztruhe.de für 30 Euro.

 

 

 

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