Die Gedanken sind frei
Landschaft vor der Wahl
Direkt nach Ostern begann der April und dieser beginnt mit dem traditionellen Aprilscherz. Dieser Tag voller kreativer und unterhaltsamer Scherze erschafft kurzzeitig eine zufällige Fantasiewelt. Einen Tag lang und nur wenige Menschen fallen darauf herein. Noch schlimmer ist es, wenn wir an imaginäre Welten glauben oder sie jeden Tag erschaffen.
Kontinuität nicht erwünscht
Nach dem russischen Theaterstück, das Wahlen genannt wird, reicht es mir, in meine Erinnerung zu schauen. Mag sein, dass die Menschen im sogenannten Westen nicht wirklich die Mystifizierung der Demokratie verstehen, aber östlich der Elbe haben wir in einer solchen Realität gelebt.
Mariupol in Los Angeles
Zwei Jahre sind vergangen, seit ich in Lubowitz unter mehreren Dutzend Frauen, die aus der bombardierten Ukraine geflohen waren, eine aus Mariupol traf. Zu dieser Zeit kam es dort noch zu Kämpfen. Sie kam mit zwei Kindern an, die sie zunächst an einen sicheren Ort unter der Obhut ihres Schwagers schicken wollte, damit sie ihrer Familie und ihrem Zuhause zuliebe in Mariupol bleiben konnte. Schweren Herzens brachte sie die sorgfältig verpackten Kinder mehrere Kilometer zu ihrem Schwager, um sich von ihnen zu verabschieden. Und dort erhielt sie die Nachricht, dass sie nichts mehr hatte, wohin sie zurückkehren konnte, denn wenige Minuten nachdem sie gegangen war, wurde ihr Haus von einer Granate dem Erdboden gleichgemacht. Sie stieg in das Auto ihres Schwagers und erreichte nach ein paar Tagen mit einer Plastiktüte in der Hand Schlesien. Ihr wurde klar, dass ohne die Entscheidung, die Kinder wegzuschicken, keines von ihnen am Leben wäre. Sie zitterte, als sie ihre Geschichte erzählte.
Südkaukasus
Am Samstag hörte ich in Bayreuth auf Einladung der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland einen Vortrag des lutherischen Bischofs Rolf Bareis mit dem Titel „Kirche in der Pufferzone“. Diese Pufferzone ist das Gebiet Georgiens, Armeniens und Aserbaidschans, in dem der Bischof seelsorgerische Arbeit leistet.
Quo vadis Europa?
Im Februar empfing meine Pfarrei die Schwestern von der Hl. Elisabeth aus ihrem Provinzhaus in Kattowitz. Bis vor drei Jahren, ununterbrochen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, hatten sie auch ein eigenes Kloster in Guttentag, von dem aus sie jahrzehntelang das Krankenhaus und dann die Pfarrei betreuten. Als ich von ihrer Entscheidung erfuhr, das Kloster aufzulösen, was einen weiteren Schritt zum Verlust des kulturellen Erbes der Stadt bedeutete, war ich kritisch. Am Sonntag erklärten die Schwestern rational die Notwendigkeit dieser Entscheidung.
Stettin
Nach meinem Aufenthalt in Erfurt war es nun an der Zeit, Stettin zu besuchen, eine jahrhundertealte Metropole Pommerns, deren historischer Einfluss westlich über Stralsund und östlich bis Bütow (Bytów) reicht. Beim Betrachten der Karte des historischen Pommern im Museum der Stadt Stettin kam es mir vor, als würde ich einen Vogel mit einem Flügel betrachten.
Ich mag Erfurt
Voraussetzung für den Transit von Schlesien in die Bundesrepublik Deutschland war in der DDR ein Ausfahrtsverbot von der Autobahn A4 und das Befahren der daran gelegenen Ortschaften. Städte in der DDR kannten Schlesier nur, wenn sie das Ziel ihrer Reise waren, etwa, um Verwandte zu besuchen. Diese Angewohnheit ist bei manchen Menschen geblieben und Städte wie Erfurt sind uns weniger bekannt als Köln oder München. Dabei sind sie eine Fundgrube des Reichtums deutscher Geschichte und Kunst. Dort, wie überall in Deutschland, finden wir natürlich auch Verbindungen zu Schlesien, die trotz der Grenzen nicht gelöscht werden können.
Das Erwarten
Ich schrieb zuletzt darüber, dass die Welt, wie wir sie kennen, vor unseren Augen untergeht. Terroristische Organisationen und diktatorische Regierungen haben keine Hemmungen mehr. In vielen Ländern kommt es zu zunehmenden Spannungen zwischen den Befürwortern der Demokratie und denjenigen, die aus verschiedenen Gründen ihre Einschränkungen akzeptieren. Erst die Wahlen werden zeigen, welche Tendenzen sich durchsetzen werden. Leider wollen auch die Verfechter der demokratischen Tendenzen ihre Ansichten auf verschiedene – nicht immer demokratische – Weise und im Namen einer nicht immer gut verstandenen Freiheit durchsetzen. Dies könnte ihre Wähler entfremden, was an sich schon gefährlich ist.
Die vergehende Gestalt der Welt
In der ersten Kolumne dieses Jahres führen mich Gedanken über die Zukunft zu Hanna Malewskas Roman „Die Gestalt dieser Welt vergeht“. Hanna Malewska schrieb über ihren Roman in einem Brief an Schwester Teresa Landa: „Ich berichte, dass er aus dem 6. Jahrhundert stammt: die Geschichte der Ostgoten in Italien, die Geburt der Benediktinermönche, Cassiodorus, der die Überreste der Kultur rettet, Justinians unzeitgemäße Ambitionen, der Untergang rein menschlicher Werke – zwei Schachbretter, ein menschliches und ein göttliches, und darauf liegen ganz unterschiedliche Erfolge und Misserfolge.“