Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Weltgeschichte vor der Haustür

Anfang April befassten sich knapp 30 Schülerinnen und Schüler aus Sensburg fünf Tage lang mit der Geschichte der deutschen Minderheit in Ermland und Masuren sowie mit Persönlichkeiten, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten. Abgeschlossen wurde die Projektwoche mit einem Essaywettbewerb – bei dem es eine mehrtägige Bildungsreise zum Pilecki-Institut nach Berlin zu gewinnen gibt.

Die Projektwoche fand unter dem Titel „Wie gut kennst du die deutsche Minderheit? Lokale Geschichte entdecken – Kämpfer des Widerstandes“ statt. Organisiert und verantwortet wurde das Ganze von Julia Herzog, Kulturmanagerin des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) sowohl bei der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit (AGDM) als auch beim Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren (VdGEM).

Die fünftägige Bildungsinitiative hatte dabei mehrere Ziele, wie Julia Herzog erklärt: „Zum einen sollten die Schüler die lokale Geschichte vor dem Hintergrund des ehemaligen Ostpreußen entdecken, um auf diese Weise zu verstehen, wieso es hier überhaupt eine deutsche Minderheit gibt. Zum anderen sollten sie sich mit den Hintergründen des Zweiten Weltkrieges sowie mit deutschen und polnischen Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus beschäftigen – auch und besonders mit jenen in dieser Region. Denn gewissermaßen hat vor der Haustür der Jugendlichen Weltgeschichte stattgefunden.“

An der Projektwoche teilgenommen haben 29 deutschlernende Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren aus zwei Schulklassen des Schulkomplexes Nr. 2 in Sensburg. Angesichts der Komplexität des Themas fanden die Übungs- und Lerneinheiten größtenteils auf Polnisch statt. „Wie nebenbei sind aber immer auch deutsche Begriffe eingeflossen und so haben die Schüler gleichsam ihr Deutsch verbessert“, merkt die Kulturmanagerin an.

Während der Projektwoche beschäftigten sich die Jugendlichen mit verschiedenen deutschen und polnischen Widerstandskämpfern des Zweiten Weltkrieges.
Foto: Julia Herzog

In die (regionale) Geschichte eintauchen
Den Auftakt der fünf Projekttage machten am Montag (den 4. April) verschiedene Aktivitäten zum Kennenlernen und „Eisbrechen“ – denn Julia Herzog war das erste Mal in der genannten Schule in Sensburg zu Gast. In diesem Rahmen wurden den Jugendlichen auch der Ablauf der Projektwoche genauer erklärt und organisatorische Aspekte besprochen. Unterstützt wurde die Kulturmanagerin in all den Tagen von Sebastian Jabłoński, örtlicher Deutschlehrer und Vorsitzender der Sensburger Deutschen Gesellschaft „Bärentatze“.

Der erste Höhepunkt fand dann am Dienstag statt, als die Geschichtslehrerin Magdalena Lewkowicz – die gleichzeitig Vorstandsmitglied der Stiftung und Kulturgemeinschaft „Borussia“ Allenstein (Fundacja Borussia Olsztyn) ist – den Schülern den historischen Kontext und die Hintergründe des Zweiten Weltkrieges näherbrachte. Einen besonderen Schwerpunkt nahmen dabei die Geschichte des ehemaligen Ostpreußen sowie deutsche und polnische Persönlichkeiten, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten, ein – darunter zum Beispiel die Geschwister Hans und Sophie Scholl, Witold Pilecki, Irena Sendler und Heinrich Graf von Lehndorff. Mit verschiedenen interaktiven Übungen wurden die Jugendlichen an dieses komplexe und teils auch emotionale Thema herangeführt.

Die ifa-Kulturmanagerin Julia Herzog (links) organisierte auch einen Ausflug zur Feste Boyen.
Foto: Piotr Wagner

Ausflug zur Feste Boyen und zum Schloss Steinort
Um sich der Materie aber nicht nur abstrakt im Klassenraum anzunähern, wurde auch ein Tagesausflug unternommen. In diesem Sinne ging es zur Halbzeit der Projektwoche nach Lötzen (Giżycko) zur Feste Boyen, die für die deutsche Minderheit in Ermland und Masuren von ganz besonderer Bedeutung ist. Darüber hinaus wurde das Schloss Steinort im gleichnamigen Dorf (Sztynort) besichtigt, also jener Ort, der sich einige Jahre im Besitz von Heinrich Graf von Lehndorff befand und an dem mehrmals konspirative Gespräche des militärischen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime stattfanden. (Heinrich Graf von Lehndorff wurde Anfang September 1944 wegen seiner Beteiligung am Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler ermordet.)

Die Führungen übernahm Piotr Wagner von der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz (DPS). Der Germanist, Reiseleiter und Regionalhistoriker kennt die Gegend und vor allem das Schloss Steinort wie seine Westentasche. Er erklärte den Jugendlichen die Geschichte des Schlosses und dessen Bedeutung für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. „Es war für alle sehr bewegend, diesen Ort mit eigenen Augen zu sehen – und wir sind Piotr Wagner sehr dankbar, dass er uns dabei begleitet hat“, gibt Julia Herzog Einblick in die Gefühlswelt der Gruppe.

Julia Herzog (links), Sebastian Jabłoński (3. v. l.), Piotr Wagner (vorn) und die Jugendlichen vor dem Schloss Steinort
Foto: Julia Herzog

Besuch bei den „Bärentatzen“
Der Donnerstag legte den Fokus auf die deutsche Minderheit in Polen, besonders auf jene in Ermland und Masuren. Julia Herzog referierte hierbei über die Strukturen der Minderheit in der Region und erklärte deren Arbeitsweise. Dabei stellte sie auch wichtige Einrichtungen und Institutionen wie das Allensteiner Haus Kopernikus, die AGDM oder den VdGEM vor. „Es war mir auch wichtig zu betonen, dass die Minderheit offen für den Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft ist und nicht nur unter sich bleiben möchte“, so die Kulturmanagerin.

Um ein lebendiges Beispiel kennenzulernen, hat die Gruppe im Anschluss den Sitz der Sensburger Deutschen Gesellschaft „Bärentatze“ besucht. Dort wartete der Vorstand bereits mit Kaffee und Kuchen und machte sich mit den Jugendlichen – die nicht alle aus den Reihen der Minderheit stammen – bekannt. In dem generationenübergreifenden Austausch kam nicht zuletzt auch die Problematik der teils inaktiven Jugend innerhalb der deutschen Minderheit auf.

Der Germanist, Reiseleiter und Regionalhistoriker Piotr Wagner erklärte den Jugendlichen die Geschichte der Feste Boyen und des Schlosses Steinort.
Foto: Julia Herzog

Es winkt eine Reise zum Pilecki-Institut nach Berlin
Am letzten Tag der Projektwoche fand noch ein Workshop zum Verfassen eines Essays statt. Durchgeführt von dem Journalisten Uwe Hahnkamp, der unter anderem für die Radiosendung „Allensteiner Welle“ tätig ist, war dieser eine direkte Vorbereitung auf den sich an die Projektwoche anschließenden Essaywettbewerb. Die Jugendlichen sollen dabei – auf Grundlage eigenständiger Recherche – innerhalb von zehn Tagen ein Essay verfassen, das sich mit einem bestimmten deutschen oder polnischen Widerstandskämpfer des Zweiten Weltkrieges beschäftigt. Die Art und Weise der inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema können die Jugendlichen dabei frei wählen.

Auf die Autoren der sechs besten Essays (die von einer Jury ausgewählt werden) wartet Mitte Mai eine mehrtägige Bildungsreise nach Berlin zur dortigen Repräsentanz des Pilecki-Instituts (Instytut Pileckiego), das zentral am Pariser Platz gegenüber des Brandenburger Tors liegt. Dort werden die Gewinner an verschiedenen Workshops zur wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts teilnehmen, durchgeführt von den erfahrenen Pädagogen vor Ort.

Aber auch abgesehen von der Aussicht auf diesen außergewöhnlichen Preis sind die Schüler mit dem Verlauf der Projektwoche rundum zufrieden. Einhellig lobten sie die wertvollen Kenntnisse, die ihnen während der fünf Tage zur Geschichte ihrer Heimat und zu den Widerstandskämpfern des Zweiten Weltkrieges vermittelt wurden. Ein Teilnehmer sprach gar von „der besten Woche seines Lebens“. Wie Julia Herzog verrät, kam in der Feedback-Runde auch heraus, dass sich 26 der 29 Jugendlichen, die an dem Projekt teilgenommen haben, vorstellen können, zukünftig für die deutsche Minderheit aktiv zu werden.

Lucas Netter

Das Projekt wurde gefördert durch das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) aus Mitteln des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland.

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