Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Wer bin ich?“

Mit Anna Walecko vom Bund der Jugend der Deutschen Minderheit sprach Andrea Polański über das Thema der Identitätsfindung und das Leben einer jungen Deutschen in einer polnischen Mehrheitsgesellschaft.

Was bedeutet es für Dich, eine Deutsche zu sein?

Deutsch zu sein ist ein relevanter Teil meines Lebens. Viele Menschen assoziieren diesen Terminus lediglich mit einem deutschen Pass oder mit deutschstämmigen Eltern. Zum Teil stimmt es auch, aber es ist keine Determinante. Für mich heißt es, Pflege der deutschen Sprache und Traditionen, Erinnerung an die Kultur und Interesse an der deutschen Geschichte. Es bedeutet für mich auch, Toleranz zu üben und sowohl deutsche als auch gesamteuropäische Interessen zu verfolgen.

Anna Walecko
Foto: privat

Denkst Du, dass es ein Unterschied ist, ob Du als Deutsche in Polen lebst oder als Deutsche in Deutschland leben würdest?

Der diametrale Unterschied ist in einem Wort zu finden und das heißt Heimat. Mit Sicherheit würde ich mich in Deutschland wiederfinden, jedoch ist meine Heimat hier in Schlesien. Hier bin ich aufgewachsen und hier wurde ich mit den menschlichen Grundwerten vertraut gemacht, um sie zu fühlen und diese Werte zu leben.

 

Hier in Schlesien gibt es nicht so etwas wie eine universelle Identität. Einer sieht sich als Pole, ein anderer als Deutscher, manche fühlen sich als Schlesier und Deutsche oder nur als Schlesier. Wie sieht es bei Dir aus?

Ich denke, die Unterschiede sind historisch bedingt. Schlesien ist eine Region, welche von vielen Grenzverschiebungen geprägt war. Das Ergebnis dieser Verschiebungen war ein mehrfacher Wechsel der staatlichen Zugehörigkeit. Die Identität ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Sie ist nicht statisch, sondern entwickelt sich durch den Dialog mit anderen, durch den Umgang mit der Welt. Was mich anbelangt, so sehe ich mich als Schlesierin und als Deutsche.

 

Wie kann man die schlesische mit der deutschen Identität verbinden? Gibt es dabei auch Gegensatze, die Du bei Dir oder Menschen aus Deinem Umfeld bemerkst?

In meiner Familie und in meinem Umfeld sehen sich die Leute als Schlesier an, aber sie wissen, dass sie deutsche Wurzeln haben. Wir sprechen zu Hause Schlesisch und Deutsch. Das Schlesische ist mit dem Deutschen eng verbunden. Es handelt sich hierbei um eine ähnliche Mentalität bei den Vertretern der beiden Gruppen. Statt der Gegensätze faszinieren mich eher die Gemeinsamkeiten, vor allem die Besonnenheit und Zuverlässigkeit.

 

Als eine junge Person aus der Deutschen Minderheit, lebst Du in einer polnischen Mehrheitsgesellschaft. Gibt es Momente, in denen es auffällt, dass da etwas anders ist?

Natürlich gibt es solche Momente, manchmal sogar sehr unangenehme oder traurige, welche durch Vorurteile bedingt sind. Deutsche werden sehr oft mit den tragischen Ereignissen aus der Vergangenheit assoziiert. So sollte es jedoch nicht aussehen, da das Vertrauen zwischen Polen und Deutschland in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist, weil man Tag für Tag daran gearbeitet hat.

 

Um sich über seine eigene Identität klar zu werden, braucht es oft Zeit und Reife. Wie sah bei Dir dieser Prozess aus?

Die Identitätsfindung dauerte bei mir eine Weile. Schon immer habe ich Deutsch gesprochen und die deutschen Traditionen gepflegt. Es fiel mir natürlich auf, dass die Verwendung des Deutschen oder Schlesischen meinen Alltag prägt. Das volle Bewusstsein kam jedoch erst vor einigen Jahren. Mir wurde klar, dass die eigene Identität sich auf das Innere bezieht, dass es ein lebenslanger Prozess ist. Der Prozess verläuft bei jedem Menschen auf individuelle Weise. Bei mir begann er mit der Auswahl der Studienrichtung. Die völlige Klarheit und ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelten sich jedoch im Bund der Jugend der Deutschen Minderheit. Dank des Aufbaus von stabilen, zwischenmenschlichen Bindungen bildete sich auch eine Grundlage der Persönlichkeitsentwicklung.

 

Wie wirkt sich Dein Deutschsein auf Deinen Alltag aus?

Mein Alltag ist sehr komplex, jedoch strikt mit der deutschen Sprache verbunden. Jeder Tag fängt bei mir zu Hause mit der Begrüßung „Guten Morgen!“ an, anstatt „dzień dobry“ zu sagen. Seit ich mich erinnern kann, war Deutsch ein untrennbarer Teil meines Lebens, denn als Kind habe ich mit meiner Oma viel Deutsch gesprochen, nur deutsches Fernsehen geguckt und mich mit meiner Familie aus Deutschland, besonders mit meiner Cousine, auf Deutsch unterhalten. Jedes Jahr nahm ich mit meiner Oma an Veranstaltungen teil, welche durch unseren DFK organisiert wurden. Ich ging mit meiner Familie am Sonntag zu den deutschsprachigen Messen, welche einmal im Monat immer in unserer Kirche stattfinden. Ich nahm an zahlreichen Deutschwettbewerben teil, bei denen ich meine Deutschkenntnisse verbessert habe, u. a. bei der polenweiten Deutscholympiade. In den letzten Jahren ist mir jedoch das Deutschsein besonders nah durch mein Germanistikstudium an der Oppelner Universität, wo ich jeden Tag mit der Sprache sehr viel Kontakt habe. Ich arbeite auch, seit fast einem Jahr, im Bund der Jugend der Deutschen Minderheit. Dank dieser Arbeit öffneten sich für mich sehr viele Türen. Besonders wichtig sind für mich die Ziele, welche mit der Arbeit in dieser Organisation verbunden sind, also der Erhalt der Sprache und der regionalen Identität.

 

Warum ist es wichtig, zu seiner Identität auch bei der Volkszählung 2021 zu stehen?

Die Volkszählung bietet, vor allem für die junge Generation, eine gute Gelegenheit, auf die Frage „Wer bin ich?“ zu antworten. Die Vergewisserung der persönlichen Identität ist ein Ergebnis von Interesse an der eigenen Herkunft und auch der Frage nach der regionalen Identität. Es ist wichtig, zu seiner Identität zu stehen, weil sie unser individuelles Selbstbild darstellt und aus unseren individuellen Erfahrungen und Herausforderungen besteht.

 

 

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