Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Wer singt, betet doppelt

Ulrike Scheytt und Dr. Stephan Aderhold freuen sich über die gelungene Uraufführung der Nocturne in cis-Moll von Fritz Drohla, die auf der CD „Wer singt, betet doppelt“ nachzuhören ist. CD und Begleitheft können für 5,-Euro im Schlesischen Museum zu Görlitz bezogen werden.
Foto: K. Kandzia

Noch bis zum 31. August ist in der Liebfrauenkirche zu Liegnitz (Legnica) die Ausstellung „Kirchfahrer, Buschprediger, betende Kinder – 500 Jahre evangelisches Leben in Schlesien“ zu sehen. Begleitend zu dieser Ausstellung sind ein Liedheft und eine CD mit geistlicher Musik aus Schlesien unter dem Titel „Wer singt, betet doppelt“ herausgekommen.

 

Margrit Kempgen von der Kirchlichen Stiftung Evangelisches Schlesien hat zusammen mit dem Musikwissenschaftler Dr. Stephan Aderhold aus Berlin und Ulrike Scheytt, Kreiskantorin des Evangelischen Kirchenkreises Schlesische Oberlausitz, das musikalische Begleitprogramm zur Ausstellung entwickelt und im Schlesischen Museum zu Görlitz aufgeführt. „Diese Aufführung hat so viel Beifall erfahren und hat das Publikum so sehr begeistert, dass der Wunsch geäußert wurde, das würde man sich doch nochmal gerne anhören“, so die Kuratorin der Wanderausstellung zur Reformation in Schlesien und Schlesienreferentin im Schlesischen Museum zu Görlitz, Dr. Annemarie Franke. Damit war die Idee für die CD geboren.

 

CD mit Liedtexten

 

Begleitend zur CD ist ein kleines Heft mit Liedtexten herausgegeben worden. „Wenn man sich in den Kirchengemeinden trifft und zusammen die Lieder singen möchte, kann man diese in unserer Broschüre finden“, so Franke. Auf dem Programm stehen auch zwei polnische Lieder: „Przyjdź, o Jezu Chryste“ (Komm, o Jesus Christus) von dem oberschlesischen Pfarrer und Lieddichter Andrzej Buzek (1885-1971) und das berühmte Weihnachtslied „Gdy się Chrystus rodzi“ (Als die Welt verloren) aus dem Jahre 1853 – eines der wenigen polnischen evangelischen Lieder, die auch im deutschen Gesangbuch beider Konfessionen ihren Platz fanden. „Das haben wir dem oberschlesischen Übersetzer Gustav Kucz aus Sohrau (Żory) zu verdanken, der nach dem Krieg in Westdeutschland lebte und dieses Lied 1954 ins Deutsche übertragen hat. Solche Geschichten verbergen sich hinter dieser CD“, freut sich Frau Dr. Franke.

 

Die Musik und vor allem der Gemeindegesang hätten in der Reformation einen besonderen Stellenwert und dies gelte noch potenziert für Schlesien, unterstreicht Margrit Kempgen: „Biblisches Wort und Musik sind für Schlesien aufs Beste miteinander verbunden und schaukeln sich förmlich gegenseitig hoch. Dies gilt nicht nur für das Zeitalter der Reformation, sondern bis heute.“ Kempgen und ihre Mitstreiter haben für die Musikauswahl der CD und des Liederheftes nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, das wäre, wie sie versichern, einfach nicht möglich. Das Interesse für die Musik wecken und Raum für eigene, weitere Recherche geben, sei die Prämisse der Initiative, so die Macher.

 

Stiller Protest durch lautes Singen

 

Oberkirchenrätin Margrit Kempgen schafft es jedes Mal, ihr Gegenüber mit Anekdoten zu fesseln. Zum Einstieg der CD wählte sie ein sehr frühes Lied „Ach Gott vom Himmel sieh darein, laß dich des erbarmen“ von 1525 aus dem ältesten schlesischen Gesangbuch. „Es war deswegen so bedeutsam, da es von den Anhängern der neuen Lehre gesungen wurde, um katholische Geistliche am Weiterpredigen im Gottesdienst zu hindern. Dieses Phänomen nennt man – und es könnte auch heute noch ein toller Tipp sein – das Kanzelwegsingen. Tatsächlich wurde auf diese Weise den Priestern das Wort genommen, indem so lang gesungen wurde, bis der Pfarrer seine Sachen genommen hat und von der Kanzel ging – eine Form des stillen Protestes mit lauter Musik“, so Kempgen. Doch wirklich heiter war die Zeit der Reformation kaum.

 

Sänger des Trübsals

 

In die Zeit des 30jährigen Kriegs – der großen konfessionellen und machtpolitischen Auseinandersetzung in Europa des 17. Jahrhunderts – fiel das Schaffen von Johann Heermann (1585-1647). „Dieser große schlesische Kirchenlieddichter wird als Sänger des Trübsals und des Kampfes und doch auch des ungebrochenen Glaubensmuts bezeichnet“, so Dr. Stephan Aderhold.  „Dennoch zeigt sich Heermann trotz allen Leides fest in der Treue zum Glauben“, bemerkt Aderhold und bringt als Beispiel für „bessere Zeiten“ die Friedenskirchen, die als Symbol der Freiheit der protestantischen Glaubensausübung stehen. So stieß der Musikwissenschaftler auf einen Liedtext, der explizit die Schweidnitzer Friedenskirche anspricht. Im Text von Daniel Czepko „Mein Hertz ist froh, mein Geist ist frei“, zur Melodie „Eine feste Burg“, heißt es: „Oh heilige Dreyfaltigkeit/ die Kirche“. Die Schweidnitzer Friedenskirche trägt den Namen der Heiligen Dreifaltigkeit. Dieses Lied hatte am 9. Dezember 2016 in Görlitz während der Ausstellungseröffnung zu 500 Jahre Reformation in Schlesien seine Uraufführung. „Das Lied ist um 1660 entstanden, wurde jedoch in gesicherter Form erst 1711 und dann in gedruckter Form 1720 überliefert, nämlich im ersten Gesangbuch, das Schweidnitz im Titel trägt und es wurde zu jedem Kirchenjubiläum in der Friedenskirche gesungen“, erinnerte Aderhold.

 

Uraufführung aus einer Handschrift

 

Die CD endet mit einem besonderen Bonbon – der Uraufführung der Nocturne in cis-Moll von Fritz Drohla, der von 1904 bis 1940 als letzter deutscher Kantor an der Friedenskirche zu Schweidnitz tätig war. „Man kann ja nicht nur im Singen beten, aber auch in Instrumentalmusik, deshalb endet die CD mit einem Instrumentalstück“, so Aderhold. Die Nocturne von Drohla ist nur im Manuskript überliefert worden und war selbst für Kantorin Ulrike Scheytt eine Herausforderung: „Ich habe mich beim Üben des Stückes auf eine imaginäre Reise begeben. Ich möchte diesem Herrn Drohla begegnen und mehr über ihn und sein Schlesien erfahren. Auch wenn es ‚Gebrauchsmusik‘ ist, so hat es mein Innerstes tief berührt. Ich muss mit Herrn Aderhold weiter suchen, suchen…“.

 

Klaudia Kandzia

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