Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wirtschaftlicher Einbruch in Deutschland

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der die Regierung in Berlin seit 1963 berät, erstellt einmal im Jahr – in der Regel im November – ein Gutachten zur Wirtschafts- und Konjunkturlage sowie zu Verbesserungsmöglichkeiten in der deutschen Wirtschaftspolitik. Nur in Krisenzeiten wird dieses Muster durchbrochen und die Experten aktualisieren ihren Bericht.


Dies war auch jetzt der Fall. „Das aktuelle Gutachten warnt vor einer ,drastischen Verschlechterung’ der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und der Eurozone und angesichts des russischen Krieges in der Ukraine und der dortigen humanitären Katastrophe ist es nicht einfach, ,routiniert mit Prognosen umzugehen’“, räumte Achim Truger, Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen, bei der Vorstellung des aktualisierten Gutachtens in Berlin ein und fügte hinzu: „Aber das ist unser gesetzlicher Auftrag.“

Zusammenbruch des Wirtschaftswachstums
Noch im November letzten Jahres gingen Experten davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 4,6 Prozent wachsen könnte, nun haben sie diese Prognose auf 1,8 Prozent gesenkt! „Der Krieg belastet die ohnehin schon durch die Corona-Pandemie strapazierten Lieferketten zusätzlich. Gleichzeitig belasten die wieder stark gestiegenen Erdgas- und Ölpreise Unternehmen und private Verbraucher“, sagt Achim Truger. Deutschland sollte sofort alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um sich gegen eine Unterbrechung der Energielieferungen aus Russland zu schützen und seine Abhängigkeit von Russland zu beenden. Dies ist eine Empfehlung, die die deutsche Regierung bereits umsetzt. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist seit Wochen auf der Suche nach alternativen Gasversorgungsquellen. Außerdem hat er einen Frühwarnstatus ausgerufen, die erste Stufe des Notfallplans für die Gasversorgung, was bedeutet, dass ein Krisenstab die Versorgungslage ständig bewertet. Robert Habeck appellierte auch an alle Verbraucher, Gas zu sparen. Jede eingesparte Kilowattstunde Energie sei hilfreich.

Achim Truger, Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen
Foto: Astrid Knie/Wikipedia

Steigende Inflation
Im Vergleich zur November-Prognose des Sachverständigenrates liegen die Erwartungen für die Industrieproduktion und den Arbeitsmarkt deutlich niedriger. Ein Lichtblick ergibt sich erst im Sommerhalbjahr, wenn „der Verbrauch von kontaktintensiven Dienstleistungen zunehmen und positiv zum BIP-Wachstum beitragen wird“. Die Inflation wird wahrscheinlich erheblich steigen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erwartet, dass sie in diesem Jahr 6,1 Prozent erreichen wird. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, wie ungewöhnlich ein solcher Anstieg ist. Einen vergleichbaren Preisanstieg gab es zuletzt vor mehr als 40 Jahren als Folge der Ölkrise. Der Preisanstieg wird sich vor allem auf Lebensmittel und Energie beziehen: „Der Anstieg der Energiepreise wird wahrscheinlich langfristig sein“, sagt Ratsmitglied Veronika Grimm, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg, und fügt hinzu: „Bislang hat Deutschland billiges russisches Gas gekauft, aber die Diversifizierung der Energieimporte wird auch Kostensteigerungen mit sich bringen, die dauerhaft sein werden, wenn wir die Energiesicherheit weiter erhöhen wollen.“

„Sehr hohe Unsicherheit”
Wissenschaftlern zufolge dürfte die Inflation bis 2023 auf 3,4 Prozent sinken: „Die hohe Inflation und die steigenden Inflationserwartungen werden sich wahrscheinlich auf die Lohnverhandlungen auswirken. Ab der zweiten Jahreshälfte 2022 dürfte sich das Tempo der Lohnforderungen erhöhen. Damit steigt das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale“, betont Veronika Grimm. Wirtschaftswissenschaftler warnen jedoch davor, diese Prognose als endgültig zu betrachten. Vielmehr sei sie mit „sehr großer Unsicherheit“ behaftet. Die Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine sind schwer abzuschätzen; insbesondere eine weitere Eskalation des Konflikts und eine Ausweitung der Sanktionen könnten weitaus größere Auswirkungen auf die deutsche und europäische Wirtschaft haben.

Johann Engel

Show More