Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Zwischen Deutschland und Polen – 100 Jahre Volksabstimmung in Oberschlesien

Sonntag, der 20. März 1921, sollte für die Menschen in Oberschlesien, die der brutalen Propagandakampagne und der über zwei Jahre andauernden Unruhen, welche vorübergehend in bewaffnete Konflikte mündeten, überdrüssig waren, der Moment der Wahrheit werden. Man erwartete, dass die durch den Versailler Vertrag, der den Ersten Weltkrieg beendet hatte, angeordnete Volksabstimmung die Frage beantworten würde, in welchem Staat die Mehrheit der Bewohner der Region leben wollte, und dass sie eine feste Grundlage für eine neue deutsch-polnische Staatsgrenze liefern würde.

 

Die erstgenannte Vorgabe wurde durch das Plebiszit erfüllt. Mit knapp 60 Prozent der für Deutschland abgegebenen Stimmen konnte sich Berlin zum Sieger erklären. Dies löste auch bei den oberschlesischen Deutschen und jenen slawischen Bewohnern der Region, die das Reich als ihren Staat empfanden, Euphorie aus. Die Tatsache, dass etwas mehr als 40 Prozent der Oberschlesier, die in Preußen oder im bereits vereinigten Deutschland geboren und aufgewachsen waren, sich dafür entschieden, dass es ihnen in einer völlig fremden, jungen Republik besser gehen würde, konnte jedoch als klare gelbe Karte für Berlin gewertet werden.

 

Begrüßung des Abstimmungszuges in Neustadt Quelle: Ryszard Kasza: Ulicami Prudnika z historią i fotografią w tle

 

Polen oder Deutschland

Natürlich war der Zeitraum, in dem die Abstimmung stattfand, in vielerlei Hinsicht spezifisch und ungünstig für beide Seiten. Im Krieg besiegt, gedemütigt, teilweise besetzt und zu hohen Reparationszahlungen verpflichtet, war Deutschland weit von der Stabilität entfernt, die man aus der Zeit des Kaiserreichs kannte. Doch trotz all dieser Probleme schien der junge polnische Staat auf den ersten Blick deutlich weniger attraktiv. Mit Ausnahme von Großpolen und Pommerellen, die kurz zuvor noch in den Reichsgrenzen gelegen hatten, bestand die Republik Polen größtenteils aus unterentwickelten Gebieten und war, abgesehen von einigen großen Städten, sehr arm – selbst für mittel- und osteuropäische Verhältnisse. Nicht zu vergessen auch: Sieben Monate vor dem Plebiszit waren die bolschewistischen Armeen kurz davor, den von Warschau aus regierten Staat zu vernichten. Was hat also letztlich die relativ hohe Unterstützung für Polen bestimmt? Ein Gefühl der religiösen Gemeinschaft? Sprachliche Affinität? Angst vor einem sich vertiefenden Chaos in Deutschland? Vermutlich ein bisschen von allem, auch wenn die genauen Anteile nie bekannt sein werden. Sicherlich kann auch die Bedeutung der Propagandakampagne nicht überschätzt werden. In einer Zeit, in der die Presse das einzige Massenmedium war, waren es geschickte Agitation, bunte Flugblätter und überzeugend aussehende Diagramme, die die Unentschlossenen leiten konnten.

 

Ein halbes Jahr nach dem Plebiszit, im Oktober 1921, wurde in Oberschlesien eine deutsch-polnisch Grenze demarkiert, wie sie es in dieser Form noch nie gegeben hatte. Vorerst nur auf dem Papier, aber im Sommer des folgenden Jahres war sie bereits mit Schlagbäumen und Grenzsteinen abgesteckt. Wie sich dann herausstellte, war das Ergebnis des Plebiszits nicht das einzige Kriterium für die Aufteilung Oberschlesiens. Wirtschaftliche Fragen und die bestehenden Verkehrsverbindungen erwiesen sich als wichtiger als der in der Abstimmung zum Ausdruck gebrachte Wille des Volkes.

Resultate

Tatsache ist dennoch, dass die Aufteilung – wenngleich sie nicht vollständig den Präferenzen des Plebiszits entsprach – das globale Ergebnis der Abstimmung berücksichtigte. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung des Volksabstimmungsgebietes lebten in dem Polen zugewiesenen Teil, ca. 60 Prozent hingegen in den bei Deutschland verbliebenen Gebieten. Im Übrigen war es nicht möglich, die Grenze allein auf der Grundlage des Abstimmungsergebnisses vom 20. März 1921 zu ziehen, da dies zur Bildung von Dutzenden oder gar Hunderten von Enklaven geführt und das Verkehrs- und Wirtschaftsleben in der Region völlig lahmgelegt hätte. Zwar ist bei näherer Untersuchung der Ergebnisse nur in den ländlichen Gebieten eine klare Trennlinie zwischen dem pro-deutschen Westen und dem pro-polnischen Osten zu erkennen, doch bereits die Städte, ungeachtet ihrer geografischen Lage (mit Ausnahme der drei kleineren Ortschaften Woischnik, Alt Berun und Georgenberg) stimmten – teilweise mit überwältigender Mehrheit – für Deutschland.

Die Analyse der Plebiszitergebnisse in den einzelnen Teilen Oberschlesiens liefert eine Reihe von interessanten Erkenntnissen. Zum Beispiel waren drei Orte in der Region gleichauf. Diese waren Groß Kottorz im Kreis Oppeln, Rudzinitz im Kreis Tost/ Gleiwitz und Pawonkau im Kreis Lublinitz. Nach der Teilung der Region verblieben die ersten beiden Ortschaften im Deutschen Reich, während die dritte sich in den Grenzen der Republik Polen wiederfand. Interessant, wenn auch nicht überraschend, war auch das Ergebnis des Plebiszits in den Ortschaften der Kreise Ratibor und Leobschütz, die von Menschen mit der Alltagssprache Mährisch bewohnt waren. Die oberschlesischen Mähren, die sich nicht als nationale Minderheit, sondern als slawischsprachiger Teil der deutschen Gesellschaft sahen, stimmten mit überwältigender Mehrheit für den Verbleib der Region in den Reichsgrenzen. Zum Beispiel warfen in Borutin (bei Ratibor) 850 von 871 Wählern einen Zettel mit der Aufschrift „Deutschland – Germany“ in die Wahlurne, in Hratschein (Leobschütz) 389 von 390 Wählern und in Dürschwitz stimmte keiner von 301 Menschen für Polen. Im Übrigen verbuchte Deutschland gerade im Kreis Leobschütz das beste Ergebnis (99,6 Prozent). In keiner anderen Gegend gab es so viele Ortschaften, in denen die Zahl der Stimmen für Polen zwischen null und fünf schwankte. Eine gegenteilige Situation, d. h. ein Nullergebnis auf deutscher Seite, trat in keiner der oberschlesischen Ortschaften auf.

 

Reisepass in der Abstimmungszeit. Quelle: Huddyhuddy/wikimedia commons

 

„Emigranten“

Für die polnische Seite war einer der umstritteneren Punkte im Zusammenhang mit der Abstimmung, der oft als Grund für ihre Niederlage angeführt wurde, die Tatsache, dass sogenannte „Emigranten“, d. h. Personen, die im Plebiszitgebiet geboren wurden, aber außerhalb wohnten, nachträglich an der Abstimmung teilnehmen durften. Allerdings war es überhaupt erst auf Antrag der polnischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz dazu gekommen. In Warschau war man sich schnell darüber im Klaren, dass die Schätzungen, die von einer massenhaften Unterstützung der polnischen Sache durch die in Breslau, Westfalen oder Berlin lebenden Oberschlesier ausgingen, sich als zu optimistisch erwiesen, doch die Bemühungen, diesen Punkt rückgängig zu machen, scheiterten. Etwa 190.000 Menschen, die außerhalb des Plebiszitgebietes lebten, nahmen an der Abstimmung teil – ca. 95 Prozent von ihnen sprachen sich für den Verbleib Oberschlesiens in den Reichsgrenzen aus. Natürlich hatten sie einen mathematischen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis, aber auch ohne ihre Teilnahme hätte die deutsche Seite gewonnen. Es ist übrigens eher unglücklich, diese Gruppe als „Emigranten“ zu bezeichnen. Zum größten Teil handelte es sich um Menschen, die aus verschiedenen Gründen einfach in weiter westlich gelegene Gebiete des eigenen Staates zogen. Um ein „Emigrant“ im Sinne der Plebiszitvorschriften zu werden, musste man Oberschlesien nicht einmal verlassen. Es genügte zum Beispiel ein Umzug von Oberglogau nach Neustadt oder von Oppeln nach Falkenberg.

 

Aus heutiger Sicht wissen wir, dass das Plebiszit eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Region im 20. Jahrhundert war, auch wenn es letztlich nur einer von mehreren Faktoren war, die die Form der Grenze beeinflussten. Zweifelsohne wurde seine Bedeutung auch von den Zeitgenossen richtig eingeschätzt, wie die Wahlbeteiligung von 97,8 Prozent zeigt. Keine nachfolgenden Volksabstimmungen oder Wahlen in Oberschlesien hatten eine solche Mobilisierung hervorgerufen. Und es ist schwer vorstellbar, dass sie dies in absehbarer Zeit tun werden.

Dawid Smolorz

 

Morgen (21.03.) laden wir zur Debatte über die Volksabstimmung ein. Mehr dazu hier:

Gestern und heute

 

Sehen Sie auch heute ab 17.00 Uhr ein Gespräch zur Volksabstimmung mit den Vorsitzenden der Deutschen Bildungsgesellschaft Waldemar Gielzok:

Volksabstimmung in Oberschlesien 1921 – Gespräch mit Waldemar Gielzok (Video)

 

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