Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Deutlich mehr als Luther

Der Siebenbürger Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums Östliches Europa, ist Mitveranstalter der Konferenz „Erbe der Reformation im östlichen Europa“ in Breslau

Das 500. Reformationsjubiläum steht auch für das Zentrum für Kultur//Geschichte genauso, wie für das Deutsche Kulturforum Östliches Europa im Mittelpunkt. Diese Organisationen haben vom 3. bis 5. April eine internationale Konferenz in Breslau veranstaltet. Diese befasste sich mit der Glaubensvielfalt in Ostmittel- und Südeuropa.

 

„Genau diese Vielfalt gerät heute durch die Konzentration auf die Persönlichkeit Luther etwas aus dem Blick, womit zugleich das Bewusstsein für ein in weiten Teilen evangelisch und tolerant geprägtes Ostmitteleuropa verblasst. Kennzeichnend jedenfalls ist, dass es in den früheren ostdeutschen Ländern, in Polen-Litauen, in Böhmen und Mähren oder auch in Ungarn neben Luthertum und Katholizismus auch Hussiten, Utraquisten, Böhmische Brüder, Reformierte (Calvinisten), Mennoniten, Hutterer, Unitarier (Antitrinitarier oder Polnische Brüder), Sozinianer und noch weitere Konfessionen gab – eben deutlich mehr als Luther“, so Dr. Matthias Donath vom Zentrum für Kultur//Geschichte.

 

„Auch wenn die Wittenberger Reformation in vielen Ländern dominant war, wirkte Johannes Hus schon  hundert Jahre vor Luther. Wir gehen mit unseren Themen über die Breitenwirkung der Schweizer Reformation, über radikale Strömungen wie jene der Unitarier oder verschiedener Täufergruppen bis hin zu den zahlreichen Glaubensflüchtlingen“, so Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa.

 

Reformation vor der Reformation

 

Bereits um 1400 lehnte sich der böhmische Prediger Jan Hus (um 1369-1415) gegen bestehende kirchliche Missstände auf und prangerte beispielsweise den Ablasshandel an. Auch forderte Hus eine rigorose Rückkehr zur Heiligen Schrift ebenso, wie zum christlichen Lebenswandel und nahm vieles vorweg, was später auch Luther kritisierte. „Martin Luther sagte: ‚Wir sind alle Hussiten ohne es zu wissen‘. Über seine erste Lektüre von Hus´ Schriften schrieb Luther: ‚Da fand ich wahrlich so viel, dass ich mich davor entsetzte, warum doch solcher Mann verbrannt wäre, der so christlich und gewaltig die Schrift führen könnte‘. Und letztlich soll Johannes Hus 1415 im Konstanzer Gefängnis Luthers Wirken vorhergesagt haben: ‚Sie werden jetzt eine Ganz – so lautet die Übersetzung des tschechischen Namens Hus – braten. Aber in hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören, den sollen sie leiden‘. Diese Zitate zeugen von der Buntheit der geistigen Strömungen in Böhmen, ihrer Frühzeitigkeit und Originalität und der Distanz Europas zu Böhmen – diesem religiös verdächtigem Land. Genauso aber zeugen sie von der starken Verknüpfung mit der späteren Reformation in Deutschland“, so Dr. Jan Ždichynec von der Karls-Universität Prag. Der Wissenschaftler spricht von der böhmischen Reformation als: „der ersten europäischen Reformation mit der die konfessionelle Spaltung des abendländischen Christentums begann, obwohl sie damals nicht zu Ende gebracht wurde.“

 

Eine weitere Gruppe hussitischen Ursprungs waren die Böhmischen Brüder, auch Brüder-Unität genannt, die sich von den Hussiten abgewandt haben und ein gewaltfreies Leben in Armut und strenger Kirchenzucht in einer Gemeinschaft mit Laienpredigern nachgingen. Einer der Anführer der Böhmischen Brüder war Johann Amos Comenius (1572-1690), bis heute eine prägende Persönlichkeit europäischer Kulturgeschichte.

 

Erster evangelischer Staat

 

Die Lehre Luthers hat sich in Böhmen und Mähren nur langsam verbreitet jedoch in den überwiegend deutschsprachigen nördlichen und westlichen Grenzgebieten Böhmens – im Erzgebirge, im Ascher Ländchen oder im Herzogtum Teschen – dominierte hingegen die lutherische Reformation. Ein Zentrum der Lutheraner wurde Sankt Joachimsthal (Jáchymov).

 

In Siebenbürgen haben in den 1540er-Jahren alle Städte und Verwaltungseinheiten der deutschsprachigen „Sächsischen Nation“ die Lehre Luthers übernommen. Und unter der Krone Polens wurde mit dem Herzogtum Preußen, auch Königliches Preußen genannt, das erste evangelische Staatswesen gegründet.

 

„Preußen ist, wie nur noch Schlesien, ein Sehnsuchtsland und es steht für ein verlorenes Land der Deutschen. ‚Pommerland ist abgebrannt‘ heißt es in einem alten Kinderreim, der doch um vieles besser auf Preußen zutrifft. Preußen mit seiner alten Hansestadt Königsberg, die bedeutsam für die Ausbreitung des Luthertums im Baltikum wurde. 1525 ist dort beispielsweise die erste lutherische Kirchordnung für Preußen erlassen worden, stark beeinflusst von den Wittenberger Reformatoren um Luther“, so Dr. Lars, Mitglied des Zentrums für Kultur//Geschichte, Mitglied im Kuratorium der Stiftung Kulturwerk Schlesien.

 

In den deutschsprachigen Städten des Königlichen Preußen, das seit 1466 unter der Krone Polens stand, wurde die Reformation unterdrückt. Erst ab 1548, unter König Sigismund II. August, konnte sich die Reformation entfalten bis 1559 das Luthertum im Königlichen Preußen anerkannt wurde.

 

Schlesische Toleranz 

 

In Schlesien hatten sich die reformatorischen Ideen bereits seit den 1520er-Jahren verbreitet. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts waren drei Viertel der Gemeinden Schlesiens evangelisch geworden. In Breslau wurden die Schriften Luthers ab 1519 nachgedruckt. Die Bischöfe und die habsburgischen Landesherren duldeten zunächst die evangelische Konfession. Erst unter Kaiser Rudolf II., Ende des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahrhundert setzte die Gegenreformation ein. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 war den Lutheranern nur in zwei Fürstentümern und der Stadt Breslau Religionsfreiheit gestattet. Allen anderen dienten die Grenz- oder Zufluchtskirchen in den benachbarten Gebieten sowie die drei Friedenskirchen. Diese bildeten eine Grundlage für die seit dem 18. Jahrhundert sprichwörtlich gewordene „schlesische Toleranz“ in einem bis 1945 doppelkonfessionellen Land.

 

Klaudia Kandzia

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