Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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“Die erste Polka” neu entdeckt

Horst Bieneks Roman „Die erste Polka“ stellt die bürgerliche Gesellschaft seiner oberschlesischen Heimat kurz vor jenem Ereignis dar, das von den Nazis inszeniert wurde, um ihnen die Legitimation für den Überfall auf Polen zu liefern. Jetzt erscheint die Neuauflage des ersten Teils der preisgekrönten Tetralogie. Marie Baumgarten sprach mit Verleger Thomas Pago.

 

                   Thomas Pago. Foto: Elsinor Verlag

 

Herr Pago, am 1. September jährt sich der Überfall auf den Radio-Sender Gleiwitz zum 80. Mal. Sicher ist es kein Zufall, dass die Neuauflage der „Ersten Polka“ gerade jetzt erscheint.
„Die erste Polka“ und die gesamte Tetralogie waren einst viel gelesene Bücher, gerieten aber nach dem zu frühen Tod des Autors in Vergessenheit. So etwas geschieht leider nur allzu oft. 44 Jahre nach der Erstveröffentlichung ist, finde ich, der Zeitpunkt gekommen, noch einmal nachdrücklich auf Horst Bieneks Werk hinzuweisen.
Das Datum ist kein Zufall, es hängt natürlich mit dem 80. Jahrestag dieses Überfalls auf den Sender Gleiwitz zusammen. Nun muss man natürlich nicht zwangsläufig einen solchen Jahrestag zum Anlass für Neuerscheinungen oder Neuausgaben wiederentdeckter Bücher nehmen. Aber in diesem Fall liegt die Verbindung mit dem Ereignis, das ja tatsächlich als Vorwand für den nationalsozialistischen Überfall auf Polen diente, einfach auf der Hand. Entscheidend war allerdings, dass es sich um einen wirklich gut geschriebenen Roman handelt, der nicht nur von persönlichem Erleben geprägt ist, sondern sich auch mit der Geschichte auseinandersetzt – der schlesischen wie der polnischen und der deutschen.

 

In Oberschlesien, vor allem natürlich in Gleiwitz, ist Bieneks 1975 erschienener Roman vielen Menschen ein Begriff. Wie sieht es in Deutschland aus?
Die Generation, die sich noch gut an die 1980er-Jahre erinnert, dürfte sich auch noch an den Autor und die Tetralogie erinnern – jedenfalls der literarisch interessierte Teil dieser Generation. Den Jüngeren ist Horst Bienek allerdings kein Begriff mehr, fürchte ich – ich denke, dass inzwischen eine ganze Generation „Die erste Polka“ nicht mehr kennt. Und das gilt wahrscheinlich auch für die darin erzählte Welt: Der Kalte Krieg ist zum Glück Geschichte, Polen und Deutschland sind befreundete Nachbarn innerhalb der EU, die Grenzen trennen uns nicht mehr. Aber die gemeinsame Geschichte gerät trotzdem allmählich in Vergessenheit. Ich weiß gar nicht, wie vielen jungen Menschen in Deutschland zum Beispiel Schlesien überhaupt noch ein Begriff ist.

 

Was macht „Die erste Polka“ besonders lesenswert?
Bienek, der übrigens als Lyriker begonnen hat und wahrlich mit der Sprache umzugehen verstand, ist es gelungen, eine sehr vielschichtige und komplexe geschichtliche Phase enorm zu verdichten – auf die Geschichte einer Familie an einem einzigen bedeutenden Tag, eben dem Tag des Überfalls auf den Sender Gleiwitz, zufällig der fiktive Hochzeitstag der Tochter der Familie Piontek. Da spielt sich eine Liebesgeschichte unter Jugendlichen ab (nicht die der Braut), man erlebt das Wirken familiärer Zwänge und erlebt auf der Hochzeitsfeier, in der das Geschehen kulminiert, ein ganzes Panoptikum an Gestalten – Oberschlesier, Polen und Deutsche aus dem „Reich“. Vor allem aber bekommt man die politischen Spannungen zu spüren, teils schon vorhanden, zum größeren Teil aber „importiert“ von den Nazis aus dem „Reich“, die den Charakter Oberschlesiens nicht verstehen. In einer eindrucksvollen Rede des Pfarrers über die „Wortmusik“ der teils deutschen, teils slawischen Ortsnamen wird zum Beispiel eine Welt sichtbar, in der ein friedliches Miteinander verschiedenster Kulturen möglich war, die letztlich durch Nationalismus zerstört wurde. Ein Thema also, das auch heute durchaus aktuell ist.
Bienek ist auch deswegen so bemerkenswert, weil er wirklich frei ist von Ressentiments und Revanchismus: Er war ein deutscher Schriftsteller, der sich wehmütig an das Schlesien seiner Kindheit erinnerte, aber sich auch Polen eng verbunden fühlte. Das gefiel in den 1970er-Jahren nicht jedem, aber es war eine Haltung, die auch heute, im gemeinsamen Europa, Bestand haben kann.

 

Der genaue Verlauf des Überfalls ist bis heute nicht vollständig geklärt worden. Was erfahren wir im Buch über die historischen Gegebenheiten jener Zeit und wo kreuzen sich Fiktion und Tatsache?
Bienek hat ja einen Roman geschrieben, also Literatur und kein Geschichtsbuch. Allerdings fließen nicht nur eigene Kindheitserinnerungen des Autors ein, sondern auch die Ergebnisse umfangreicher Recherchen. Deren Resultate werden geschickt einmontiert, wie etwa eine Liste mit Personen- und Straßennamen, die unter nationalsozialistischem Druck eingedeutscht wurden. Und Bienek wirft einen Blick in die deutsch-polnische Geschichte durch die Figur des Dr. Montag, der an einer Biographie über Korfanty arbeitet. Dort kreuzen sich also Fiktion und Fakten, wobei „Die letzte Polka“ eben, wie gesagt, ein Roman ist. Sollte die historische Forschung in manchen Feldern neuere Erkenntnisse gewonnen haben, ändert das also nichts an der Qualität des Werkes.

 

Die „Erste Polka“ ist der erste Teil der Tetralogie „Gleiwitz. Eine oberschlesische Chronik in vier Romanen“, für die der 1990 verstorbene Autor zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Wie viel Chronik steckt in dieser Chronik?
Für die „Chronik“ insgesamt gilt das bereits Gesagte: Die Werke sind in erster Linie Literatur, aber sie beziehen sich sehr deutlich auf einen Zeitraum der deutsch-polnisch-schlesischen Geschichte. Bienek bemüht sich da um ein möglichst genaues Bild – aber eben ein Bild, eine künstlerische Deutung eines historischen Geschehens.

 

Werden Sie auch die anderen Teile neu auflegen?
Geplant ist das, allerdings müssen Verlagsentscheidungen natürlich immer auch die wirtschaftliche Seite im Blick haben. Wenn die Neuausgabe der „Ersten Polka“ aber ein hinreichend großes Publikum findet, spricht nichts gegen eine Weiterführung.

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