Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Freude ist groß, die Gespräche lang

Manfred Kruczek aus Potsdam ist im Herzen Oberschlesier. Ein Besuch in Brandenburgs Hauptstadt.
Manfred Kruczek ist 70 Jahre alt, Ehefrau Bärbel 69.

Die Potsdamer Innenstadt: Wäre nicht Corona, tobte hier das Leben, die angrenzenden Viertel dagegen sind ruhig, Villen und stattliche Häuser, aber auch schlichte Bauten säumendie Alleen. Hier, zwischen derRussischen Kolonie Alexandrowka und dem Holländerviertel, haben die Kruczeks ihr Zuhause. Das teilen sie mit Manfreds Bruder und seiner Familie, denen das Haus gehört.„Die Gegend zeugt davon, wie selbstverständlich man schon vor Jahrhunderten in Preußen andere Nationen aufnahm und alles dafür tat, dass sich hier Holländer, Russen, aber auch Belgier oder Franzosen heimisch fühlen, ohne ihre nationale Identität aufgeben zu müssen“, erklärt Manfred Kruczek. Dieser Umstand gefällt ihm, er erinnert ihn an einen Ort auf der anderen Seite der Oder.

 

Manfred und Bärber Krucyek kennen sich seit 50 Jahren. Foto: Marie Baumgarten

Potsdam bemüht sich nicht um Partnerstadt Oppeln

In der geräumigen Küche ist schon die lange Tafel gedeckt, Abstand halten kein Problem. Bärbel Kruczekbereitetden Kaffee vor, während Manfred Kruczekstolz das Familienporträt präsentiert, das auf dem Büffet seinen Platz hat. Der Sohn mit Ehefrau und den drei Enkelkindern – Manfred Kruczek weiß, das hat er gut gemacht. Er ist Familienmensch durch und durch. Der Sohn ist zwarlängst aus dem Haus, aber die Enkel sind jetzt ein paar Tage da gewesen. Doch das Wichtigste: Manfred und Bärbel haben einander, und das seit genau fünfzig Jahren. „Ohne meine Frau wäre ich nicht mehr lebensfähig“, gesteht er.
Es ist drei Jahre her, dass ich Manfred Kruczek kennengelernt habe. Wenn man das so nennen kann, kennengelernt. Tatsächlich haben wir einander nur E-Mails ausgetauscht. Er hat mich kontaktiert, nachdem er einen Artikel von mir gelesen hatte, darin ging es um jenen Ort auf der anderen Seite der Oder. Erst heute treffen wir zum ersten Mal aufeinander. Die Freude ist groß, die Gespräche lang. Manfred Kruszek hat viel auf dem Herzen. Dass Potsdam, seine Stadt, sich so wenig um die Partnerstadt Oppeln bemüht, dass Deutschlands Polenbeauftragter Dietmar Woidke, ein Brandenburger wie er, dem gleichgültig gegenübersteht, zumindest in den Augen von Manfred Kruczekund dass der SPD-Politiker bisher kein einziges Mal die deutsche Minderheit besucht hat – an jenem Ort auf der anderen Seite der Oder.

 

Erinnerungsstücke aus dem geteilten Oberschlesien der 1930er Jahre: Das zweisprachige Schulzeignis der Mutter aus der deutschen Minderheitenschule mit Polnisch als Fremdsprache. Foto: privat

Heimat als Gefühl

Dieser Ort heißt Schlesien und ist etwas Zentrales im Leben von Manfred Kruczek. „Ich bin Schlesier“, sagt er, obwohl im Nachkriegs-Deutschland zur Welt gekommen und aufgewachsen. „In Brandenburg hab ich mich nie heimisch gefühlt.“ Heimisch dagegen fühlten sich die Erinnerungen an, die die Eltern aus Schlesien mitgenommen hatten. Und der schlesische Dialekt, den Manfred Kruczek zwar nicht beherrscht, aber noch immer im Ohr hat.Das oberschlesische Königshütte mit seinen prägnanten Backsteinbauten, die bis heute bestehen, ist die Heimat der Eltern und dem Gefühl folgend,ist es auch die Heimat von Manfred Kruczek.

Nach der von den drei schlesischen Aufständen begleiteten Volksabstimmung 1920-1921 und der anschließenden Teilung Oberschlesiens ein Jahr später war die Industriestadt, die auf Polnisch Chorzów heißt, von Deutschland an Polen gefallen. Ebenso die Kohleregion Kattowitz. Plötzlich werden die Deutschen zur Minderheit und sehen sich mit einer neuen Realität konfrontiert. Bis Ende der 1930er Jahre ist es für Vater Georg als bekennenden Deutschen unmöglich, auf polnischem Gebiet Arbeit zu finden. Doch er hat Glück: Im Nachbarort Beuthen (Bytom), der bei Deutschland verblieben war, bekommt er eine Anstellung. Er lehrt junge Damen den Umgang mit der Schreibmaschine. Die schöne Eleonore gefällt ihm besonders, sie soll später seine Frau werden. Vorher aber kommen der Krieg und die Flucht aus Oberschlesien.

Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Grenzverschiebungen in Schlesien über das Schicksal der Menschen richten. Mit der Machtergreifung verleiben die Nazis die Gebiete ins Deutsche Reich ein, nach Ende des Zweiten Weltkrieges holt Polen sich das Land zurück, bis heute wird von Schlesien als den sogenannten „wiedergewonnenen Gebieten“ gesprochen. Polens Ostgrenze wird zeitgleich nach Westen verschoben, ein riesiger Bevölkerungsaustausch wird in Gang gesetzt und bedeutet für unzählige Menschen Flucht und Vertreibung unter Lebensgefahr und denVerlust der Heimat.

 

Georg und Eleonore Kruczek bei ihrer Hochzeit am 24. April 1948 vor der evangelischen Dorfkirche in Manfred Kruczeks späterem Geburtsort Markendorf, Kreis Jütebog.
Foto: privat

Der erste Besuch

Erst nach dem Krieg sind Georg und Eleonore die Ehe eingegangen.Die begehrte Dame hatte eine Zeit lang zwei weitere Verehrer an der Hand. Die Frage, welchen von ihnen sie zum Ehemann nehmen würde, ergab sich von selbst, als am Ende nur einer der drei Soldaten aus dem Krieg zurückkehrte.1957, da war Manfred Kruczek sieben Jahre alt, ist es den Eltern nach vielen Anträgen gelungen, erstmalig wieder die Heimat zu besuchen. Manfred Kruczek erinnert sich: „Ich weiß noch genau, wie unser Nachtzug einrollte und uns die rund 30 Familienmitglieder am Gleiwitzer Bahnhofmit einem Gedicht empfangen haben.“
In einer jeden Familie ist es wohl so: Es gibt diese eine Person, die alle zusammenhält. Bei den Kruczeks war das der Großvater. So kehren sie 15 Jahre langmit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks für einige Tage nach Oberschlesien zurück, bis zum Tod des Großvaters 1972, dann werden die Besuche weniger. Manfred fühlt sich wohl im heimeligen Nest der Verwandtschaft, die es auch in den kargsten Zeiten irgendwie schafft, den Tisch mit allerlei Köstlichkeiten zu bereiten, damit es den Besuchern an nichts mangelt. Nur eines verwundert den Jungen von damals: „Ich sollte auf dem Hof mit den anderen Kindern kein Deutsch sprechen, das bedeutete für mich, gar nicht sprechen, ich konnte ja weder Schlesisch noch Polnisch.“In Oberschlesien dagegen, einem über Jahrhunderte gewachsenen Schmelztiegel von Nationen, Sprache und Kulturen, beherrschten viele auch Deutsch. Nur durfte es keiner hören, denn Deutsch war nach dem Krieg verboten und ein unbedachtes Wort konnte bisweilen Gefängnis bedeuten, zumindest aber eine Benachteiligung durch die kommunistische Regierung in allen Lebensbereichen. Erst zu Solidarnosc-Zeitenändert sich das, und Manfred Kruczek erlebt in seiner oberschlesischen Familie ein neues Gefühl der Freiheit. „Meine Eltern hätten sich sehr gefreut, wenn sie das noch hätten erleben können. Meine Mutter hat immer gesagt: Wenn der Kommunismus fällt, dann dank der Polen.“

 

“Ich bin Schlesier” sagt Manfred Kruczek Foto: Manfred Kruczek

Unterstützung für deutsche Minderheit

Als um die Wendezeit immer mehr Verwandte in den Westen aussiedeln, versiegen die Reisen ins Schlesierland fast gänzlich. Das ändert sich erst vor fünf Jahren, als Manfred Kruczek Rentner wird. Gemeinsam mit Ehefrau Bärbel bereist er viele schlesische Städte, dabei bleibt ihm Oppeln, Potsdams Partnerstadt, in besonderer Erinnerung: „Was ich bei unserem Besuch in Oppeln erleben durfte: Eine engagierte deutsche Minderheit“, freut sich Manfred Kruczek. Aktuell verfolgt erdie von April bis Juli stattfindende Volkszählung in Polen, bei der jeder im Land gemeldete Bürger aufgerufen ist, seine Nationalität und Sprache zu benennen.Bei der letzten Erhebung vor zehn Jahren gaben rund 100.000 Menschen eine deutsche Volkszugehörigkeit an. „Ich hoffe für den Erhalt der deutschen Minderheit, dass sich viele bei der Volkszählung zu ihren deutschen Wurzeln bekennen, um im vereinten Europa eine Zukunft mit eigener Identität zu haben.“

Dazu will auch Manfred Kruczek einen Beitrag leisten. „Wenn die Corona-Beschränkungen wegfallen, wird uns der Vorsitzende der Jugend der Deutschen Minderheit in Potsdam besuchen und ich will alles dafür tun, dass er auf den Chef der Brandenburgischen Sportjugend trifft und wir gemeinsame Sport-Projekte starten. Vielleicht lassen sich auch dieMiro-Deutschen Fußballschulen aus Schlesien einbinden.“

Potsdam Innenstadt, zwischen der Russischen Kolonie Alexandrowka und dem Holländerviertelverabschiede ich mich von den Kruczeks und nehme einen Gruß mit auf meinem Weg, der mich zu jenem Ort auf der anderen Seite der Oder führt. Von Manfred Kruczek wird man hier noch hören.

Marie Baumgarten

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