Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Letzte, die noch pauert

Wenn man heute von der schlesischen Mundart spricht, denken viele sofort an Oberschlesien und den slawischen Dialekt. Die schlesische Sprache, die in Niederschlesien gesprochen wurde, ist nach dem Zweiten Weltkrieg in Schlesien fast ausgestorben, da ja die meisten Menschen, die des Dialekts mächtig waren, vertrieben wurden. Wir stellen heute Steffi Wróbel, geborene Fuhrmann, vor, die immer noch in Schlesien lebt und wohl die Einzige ist, die noch schlesisch „pauert“. Die rüstige Dame lebt in Zobten, am Fuße des Zobtenberges und feiert am 30. April ihren 93. Geburtstag.

Steffi Wróbel schreibt Gedichte in schlesischer Sprache: „Die müssen irgendwie mit unserer Gegend zu tun haben. Das erste Gedicht handelte von Klein Silsterwitz, dem Ort, wo wir lebten. Dort hängt mein Herz bis heute. Ich träume fast jede Nacht, ich bin in Klein Silsterwitz, da habe ich so vieles erlebt“, erzählt Steffi Wróbel.
In der Schule mussten die Kinder Hochdeutsch sprechen: „Ich habe das so schnell von den Kindern im Dorf gelernt. Und wenn ich nach Hause kam und vergessen habe, dass ich Hochdeutsch sprechen soll, da hat mir die Mutter immer eine gewischt. Sie ‚pauert‘, bedeutet so viel wie ‚mówi jak chlop‘.“ Doch die Gesprächspartner in der Sprache aus den Kindertagen sind alle vertrieben oder ausgereist: „Mit allen konnte ich den Dialekt sprechen. Doch die sind alle schon tot. Als meine Freunde zu Besuch kamen, da haben wir auch gepauert. Hier ist niemand mehr, der mich verstehen würde. Wenn ich mich manchmal so vergesse, da pauere ich eigentlich vor mich hin“, so Steffi Wróbel.

Kindheit
Der Vater von Steffi Fuhrmann war Förster im Staatsforst und wurde oft dienstlich innerhalb von Niederschlesien versetzt. Das Leben der kleinen Steffi ist geprägt vom Umziehen, sie muss in der Schule immer wieder neue Freundinnen gewinnen. Ab 1936 lebt die Familie in Klein Silsterwitz. „Bei uns im Dorf hatte der Sohn aus dem Gasthaus eine Ziehharmonika bekommen. Und da lief er gleich durchs Dorf und dudelte herum, aber er konnte doch nicht spielen. Da habe ich ihn gebeten, mir die Ziehharmonika zu borgen. Ich habe sie mir umgehängt und ich hab sofort eine Melodie gespielt! Und sogar mit Bass gleich! Und da bin ich reingerannt zu meiner Mama, und hab gesagt: ‚Ich kann spielen! Ihr müsst mir auch so eine kaufen!‘“ Zu Weihnachten bekommt Steffi eine Pappziehharmonika für Kinder, aber sie wünscht sich eine echte. Zum 10. Geburtstag löst sie ihr Sparbuch ein, die Eltern legen etwas dazu und ihr Traum wird erfüllt. Sie spielt nach Gehör, eine Musikschule kommt für ihre Eltern nicht in Frage. Von einer Nachbarin bekommt Steffi auch ein Schifferklavier geliehen. Doch das Glück dauert nicht lange: „Dann haben mir die Russen 1945 gleich beides geklaut. Alles war weg.“

Steffi Wróbel: „Hier ist niemand mehr, der mich verstehen würde.“
Foto: Dariusz Panza/Schlesien Journal

Zäsur 1945
In Klein Silsterwitz erlebt Steffi Fuhrmann den Krieg und die Front, hier wird sie erwachsen. Im August 1945 bekommt der junge polnische Förster Eugeniusz Wróbel die Försterei zugewiesen. „Er hat beim Anschauen unserer Försterei gemerkt, dass die Mama Polnisch versteht, weil sie Wasserpolnisch gesprochen hat. Er sagte, dass sie keine Angst haben soll, dass wir hier wohnen bleiben können, denn er braucht jemanden, der ihm den Haushalt führt, während er seiner Arbeit im Wald nachgeht. Und so sind wir eben geblieben“, erinnert sich die damals 16-jährige Steffi. „Der Wróbel hatte von Anfang an ein Auge auf mich. Aber ich habe da einen Jungen gehabt, aus dem Nachbardorf, den habe ich so gerne gehabt. Aber wir durften dann ja keinen Kontakt mehr haben, dann wurde er ausgesiedelt“, schwebt Steffi Wróbel in Erinnerungen.

Ein Pole heiratet 1947 eine Deutsche
Die Eltern von Steffi denken an eine Ausreise nach Deutschland, doch auf den Transportlisten waren sie nicht drauf. „Ich sagte ihnen, sie können fahren, aber ich bleibe hier! Ich wollte nicht weg. Aber ich war noch nicht bis über beide Ohren verliebt. Nein, wirklich nicht. Wir hatten so viel Angst, so viel Flucht hinter uns und wir wussten nicht, was auf uns in der Fremde noch zukommt“, erinnert sich Steffi. So bleibt die ganze Familie in Klein Silsterwitz in der Försterei. „Der Wróbel wollte mich nirgendwo alleine hingehen lassen, er hat auf mich aufgepasst wie auf einen kleinen Hund. Und das hat mich schon geärgert. Ich sagte ihm: ‚Heirate mich, oder lass mich in Ruhe!’ Als Ehefrau würde ich was zu sagen haben, und nicht, als so eine służąca!“. Im Oktober 1947 heiratet Eugen Wróbel Steffi Führmann. Das Leben nimmt langsam seinen Lauf.

Matura mit 41 Jahren
Die polnische Sprache ist für Steffi kein Hindernis, sie liest polnische Bücher, vor allem die von Sienkiewicz gefallen ihr sehr. Steffi Wróbel wird vom Pfarrer in Groß Silsterwitz gebeten, in der Kirche zu spielen. Mit dem Fahrrad radelte sie, an der DGalgeneiche vorbei, in die Kirche: „Weil die jungen Weiber aus Groß Silsterwitz gegen mich gestichelt haben, mich als ‚niemra‘ bezeichneten, beschloss ich, das hinzuschmeißen. Wir setzten uns in die Bank, wo wir auch zu deutschen Zeiten saßen. Und da kamen die angerannt und haben mich gebeten, ich soll doch raufkommen. Na ja, und da sind wir eben rauf.“ Ab Pfingsten 1947 spielt sie fast 10 Jahre lang bei den Messen in Groß Silsterwitz. Dann zieht die Familie nach Zobten, in ein neu erbautes Haus, das Steffi mit ihrem Ehrgeiz, trotz Materialienmangel, erbauen ließ. Sie besucht die Försterabendschule in Militsch und schreibt mit 41 Jahren ihr Abitur: „Ich dachte, dass ich so viel noch in mir habe, um das zu schaffen. Ich wurde extra etwas mehr von den Lehrern abgefragt, weil ich doch eine Deutsche bin, aber ich freue mich, dass ich es geschafft habe.“

Die Galgeneiche
Foto: Manuela Leibig

 

Die Heimatsänger
Zufällig erfährt Steffi Wróbel von der Existenz der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in Breslau. Zwei Mal fährt sie nach Breslau, um den Sitz der Gesellschaft zu suchen und wird schließlich fündig. Sie schreibt sofort sich und ihre Töchter in die Gesellschaft ein. Im April 1992 verabreden sich die Mitglieder zu einem Treffen, bei dem gesungen wird. So entstand der Chor „Die Heimatsänger“. „Wir sangen die Lieder, die wir im Kopf hatten, Volkslieder. Es gab ja damals keine Liederbücher“, so Steffi Wróbel. Mit der Ziehharmonika begleitet Steffi die Auftritte der Heimatsänger in Polen und in Deutschland, fast 30 Jahre lang. Musik und die Liebe zu ihrer Heimat Schlesien heitern Steffi Wróbel ihr Leben lang auf: „Ich hab ja ein schweres Leben gehabt, habe aber dann zu Gott gebetet und zu meiner Musik bin ich geflüchtet, und da bin ich immer irgendwie rausgekommen aus den Löchern“, sagt Steffi Wróbel und lacht.

Manuela Leibig

Die Erinnerungen von Steffi Wróbel sind unter dem Titel “Ich bin eine Deutsche in Polen” von der DSKG-Breslau herausgegeben worden. Bereits die zweite Auflage ist komplett vergriffen. Zu finden ist das zweisprachige Buch in Bibliotheken, beispielsweise in der Joseph-von-Eichendorff-Bibliothek in Oppeln.

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