Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Ein Werk aktiver Mitbürger

In Pitschen gibt es an der Hauptstraße durch die Stadt einen alten Friedhof. Auf einem Hügel gelegen, mit betagten Bäumen bepflanzt, mit einer Kapelle der Heiligen Hedwig aus dem 14. Jahrhundert. Im Jahr 2016 wurde der Friedhof dank der Bemühungen des Vereins zum Schutz des kulturellen Erbes von Pitschen in das Denkmalregister eingetragen. Es handelt sich um einen Kommunalfriedhof, auf dem nach 1945 noch einige Menschen bestattet wurden. Beerdigungen finden immer noch im evangelischen Teil des Friedhofs statt.

Die gebürtige Pitschenerin Jadwiga Pliszek-Kostur, die seit über 30 Jahren in Oppeln wohnt und in der dortigen Universitätsbibliothek tätig ist, engagiert sich seit mehreren Jahren für den Erhalt des Friedhofs. Zusammen mit einer Gruppe von etwa zehn begeisterten Sozialaktivisten gründete sie den Verein zum Schutz des kulturellen Erbes von Pitschen, der sich um den Friedhof kümmert. „Meine Freundinnen und ich bezeichnen uns selbst – für andere vielleicht abwertend, aber wir finden es eher lustig – als ,Friedhofsmädchen’. Wir verbringen praktisch jedes freie Wochenende und auch unsere Urlaubstage auf dem Friedhof“, sagt Jadwiga Pliszek-Kostur.

 

Aktivisten des Vereins zum Schutz des kulturellen Erbes von Pitschen verbringen jedes freie Wochenende mit der Reinigung des Friedhofs.
Foto: Manuela Leibig

Mit Zustimmung der Denkmalbehörde haben die Aktivisten bereits 20 umgestürzte Grabsteine wieder an ihren Platz gesetzt. „Da wir weder Kunsthistoriker noch Museumskundige sind, stimmen wir jeden Schritt mit der Denkmalbehörde unserer Woiwodschaft ab. Ein paar Männer, einige Geräte und wir stellen wieder auf, was Zeit, Wind oder Vandalen zerstört haben“, erklärt Jadwiga Pliszek-Kostur.

 

1500 Studentenblumen werden jährlich auf dem alten Friedhof in Pitschen von den Mitgliedern des Vereins zum Schutz des kulturellen Erbes von Pitschen gepflanzt.
Foto: Manuela Leibig

Im Herbst reinigen die Aktivisten den Friedhof von Laub, im Frühjahr pflanzen sie Blumen auf die Gräber, wo dies noch möglich ist. Sie pflanzen jedes Jahr 1.500 Studentenblumen-Setzlinge. Jeder Setzling wird aus den Samen der letztjährigen Pflanzung gezogen. Im Sommer gießen sie die Blumen, reinigen die Grabsteine und zünden Kerzen an. Nicht nur Mitglieder des Vereins kümmern sich um die Gräber, sondern auch Menschen, die hier die Gräber ihrer Angehörigen haben. Der Rasen wird von einem von der Gemeinde empfohlenen Unternehmen gemäht.

Die Geschichte Pitschens

Hier, auf dem alten Friedhof, entdecken die Aktivisten die Geschichte Pitschens, wenn sie beschädigte Grabsteine ausgraben, diese reinigen und lesen, was auf dem jeweiligen Grab steht. „Viele ältere Menschen sagen, dass dies ein deutscher Friedhof ist. Für mich ist es ein Friedhof von Pitschenern. Menschen, die hier lebten, die die Geschichte ihrer Stadt mitgestaltet haben“, sagt Jadwiga Pliszek-Kostur. Früher war der Friedhof viel kleiner, der verbleibende Teil war ein Garten. „Wir haben viele Fotos erhalten, auf denen der Garten zu sehen ist. Viele der alten Grabsteine auf den Fotos sind natürlich nicht mehr vorhanden, sie wurden geplündert. Vermutlich so, wie Karolina Kuszyk es in ihrem Buch ,Poniemieckie’ (,Ehemals Deutsch’) beschreibt“, überlegt Jadwiga Pliszek-Kostur.

 

Grabstein von Wilhelm Goy, Er hat einen Teil seines Feldes für den Friedhof überlassen.
Foto: Manuela Leibig

Viele Menschen aus aller Welt melden sich bei dem Verein, um ihre Verwandten zu finden. „Es war für mich ein großes Erlebnis, als sich ein ehemaliger deutscher Pitschener wiederfand. Er hatte seine Stadt vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als kleiner Junge von etwa 5 Jahren verlassen. Nach vielen, vielen Jahren kam er nach Pitschen als ein betagter Mann, über 80 Jahre alt. Er war sehr bewegt, als er das Grab seines Urgroßvaters Wilhelm sah, dass es noch existiert, dass sich jemand darum kümmert. Es war ein Schock für ihn, dass völlig fremde Leute Respekt für die hier begrabenen Menschen haben“, erinnert sich Jadwiga Pliszek-Kostur. Aus dem Gespräch mit dem ehemaligen Pitschener, der als Arzt in Deutschland gearbeitet hat, ging hervor, dass seine Vorfahren, die Familie Goy, gegenüber dem Friedhof wohnten und eine eigene Brauerei besaßen. Die Gebäude sind heute noch vorhanden und das Wohnhaus hat eine charakteristische Fassade mit Verzierungen um jedes Fenster. Es war die Familie Goy, die einen Teil ihres Landes für den Friedhof zur Verfügung stellte.

 

Auf dem alten Friedhof in Pitschen sind alte und ungewöhnliche Grabplatten zu sehen. Foto: Manuela Leibig

Bekannte Pitschener
„Wir suchen in den Quellen, viele Archive sind bereits digitalisiert und es genügt dann, im Internet nachzuschauen. Aber das ist nicht das Ende unserer geschichtlichen Recherche, wir besuchen auch das Staatsarchiv in Oppeln, schauen in Bibliotheken nach und sind froh, wenn wir herausfinden, wer eine bestimmte Person war. Wir erfahren so über Lebensgeschichten und darüber, was die jeweilige Person für die Stadt getan hat. Wir wissen zum Beispiel, dass hier eine sehr bekannte Familie von Breslauer Ärzten begraben ist, die Vorfahren von Wilhelm Kutta, einem berühmten Physiker und Mathematiker. Weitere prominente Bürger, die hier ihre ewige Ruhe fanden, waren Tomasz Tomala, Mitglied des Sejm nach dem Ersten Weltkrieg, Pastor Hermann Koelling, Pfarrer Lewandowski, der in Dachau inhaftiert war und viele andere“, zählt Jadwiga Pliszek-Kostur auf.

Auf dem alten Friedhof in Pitschen sind alte und ungewöhnliche Grabplatten zu sehen. Foto: Manuela Leibig

Der älteste erhaltene Grabstein auf dem Pitschener Friedhof stammt aus dem Jahr 1778. „Wir haben viele Grabsteine aus dem Boden geholt. Die meisten von ihnen trugen Inschriften in deutscher Sprache. Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Auf dem Grab eines jungen Mädchens, Susanne Janus, steht zum Beispiel auf der einen Seite eine Beschreibung in deutscher Sprache: ‚Zu früh ins Grab rief Gott Dich ab‘, während auf der anderen Seite des Grabes ein ganzes Gedicht in polnischer Sprache steht“, sagt Anna Bereska-Trybuś, Expertin für Epitaphien im Pitschener Verein. „Leider wissen viele Menschen nicht um den enormen historischen Wert dieses Friedhofs und das Potenzial dieses Ortes. Wenn man sich mit dem Thema Thanatotourismus oder Friedhofstourismus beschäftigt, den es ja überall auf der Welt gibt, stellt man fest, dass man daraus enorme Vorteile ziehen könnte, auch materiell. Aber man muss eben eine Idee dafür haben“, so Jadwiga Pliszek-Kostur.

 

Die Grabplatte von Susanne Janus ist zweiseitig. Auf der einen Seite deutchsprachig, auf der anderen Seite gibt es ein Gedicht in Polnisch.
Foto: Manuela Leibig

 

Kapelle aus dem 14. Jahrhundert
Im Jahr 2019 wurde eine Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, die derzeit als Begräbniskapelle genutzt wird, dank der Stadtverwaltung restauriert. „Die Gemeinde beantragte einen Zuschuss, sodass diese äußerst wertvolle Kapelle restauriert werden konnte. Nach Meinung vieler Historiker und Geschichtsinteressierter ist es das einzige historische Objekt in Pitschen, das in den letzten 40 Jahren komplett renoviert wurde“, berichtet Jadwiga Pliszek-Kostur. Das letzte Mal wurde die Kapelle 1977/78 von Pitschener Aktivisten renoviert. „Es mag einigen seltsam erscheinen, dass wir so viel unserer privaten Freizeit auf dem Friedhof verbringen. Für mich ist das eines der wichtigsten Elemente dessen, was ich im Leben tue. Abgesehen vom Familienleben und der Arbeit natürlich. Ich setze damit das Werk meines Vaters fort, der zusammen mit Józef Magot in den Jahren 1977 und 1978 die Kapelle renovierte. Und die Person, die den Friedhof in die Denkmalliste eingetragen hat, war mein Sohn“, gesteht Jadwiga Pliszek-Kostur.

 

Manuela Leibig

 

Show More