Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Es war ein ganz besonderer Zufall“

 

 

So beschreibt der Gründer Dietmar Brehmer die Entstehung der ersten deutschsprachigen Radiosendung in Oberschlesien nach 1945. Die erste Folge wurde am 5. Juni 1991 um 14:00 Uhr im polnischen Radio Katowice ausgestrahlt, bis heute wurden 1.540 Folgen produziert.

 

Die Sendung „Versöhnung und Zukunft“, dieerst einige Jahre später den zusätzlichenNamen „Wahrheit“ erhielt, wäre nicht zustandegekommen, wenn es nicht ein völliger Zufall gewesen wäre. Dietmar Brehmer folgte seinerzeit einer Einladung zu einem Treffen ehemaliger Oppositioneller, Intellektueller und Schriftsteller, das der bekannte Schauspieler Andrzej Łapicki in Warschau organisiert hatte. „Bei diesem Treffen war auch ein Herr aus Kattowitz dabei, mit dem wir uns auf der Rückfahrt im selben Zugabteil wiederfanden. Es stellte sich heraus, dass dieser Herr Edmund Wojnarowski war, der stellvertretendeProgrammdirektor von ‚Polskie Radio Katowice‘. Ich erzählte ihm, dass ich während meines Studiums in Deutschland für die polnische Abteilung des ‚Deutschlandfunk‘ gearbeitet hatte, und irgendwann sagte er: ‚Wie wäre es, wenn Sie eine Sendung auf Deutsch in unserem Radio machen würden?‘ Ich war fassungslos und fragte, ob er scherze.“

 

Sendungserfinder Dietmar Brehmer (oben), umringt von seinen ersten Mitarbeitern (von links) Johann Müller, Eleonore Smyrek, Arno Springorum und Bjorn Becker.
Foto: Deutsche Gemeinschaft/facebook.com

 

Mit dem Vertrag im Hintergrund
Edmund Wojnarowski scherzte jedoch nicht. Er lud Dietmar Brehmer am nächsten Tag zu einem Interview in den Sender ein, bei dem auch der damalige Vorstandsvorsitzende anwesend war. Noch am selben Tag fiel die Entscheidung, dass Brehmer eine deutschsprachige Sendung machen würde. Die erste Folge sollte auch schonam Tag darauf ausgestrahlt werden. „Es sollte eine einstündige Sendung werden, doch obwohl ich bereits journalistische Erfahrung hatte, hatte ich weder Leute noch eine Idee dafür, eine einstündige Sendung mit Inhalt zu füllen. Ich hatte damals gerade mal eine Musikkassette mit Heintje-Liedern. Trotzdem ist es mir gelungen, diese erste Sendung zu produzieren“, erinnert sich Dietmar Brehmer und betont, dass sie zwei Wochen vor der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages entstanden ist. „Deshalb hat mir der Vorsitzende des Radiosenders am Start gesagt, ich solle bitte keine Sauerei in der Sendung machen, denn der Moment sei wirklich historisch.“

Für Aufsehen sorgte die Sendung auch bei der polnischen Delegation zur Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages. In dieser war Dietmar Brehmerebenfalls vertreten, der so die Gelegenheit bekam, mit dem damaligen Premierminister Jan Krzysztof Bielecki zu sprechen. „Im Flugzeug kam der Premierminister auf mich zu, wir unterhielten uns eine Weileund ich erzählte ihm von unserer deutschsprachigen Sendung. Das hat Bielecki gleich genutzt und obwohl der Vertrag den Zugang zu Medien nicht explizit erwähnt, hat er offiziell verkündet, dass die polnische Seite eines der Postulate bereits erfüllt hat, indem sie den Minderheiten in Kattowitz Sendezeit zur Verfügung gestellt hat“, lacht Dietmar Brehmer.

In der Anfangszeit wurden Sendungen noch auf solchen Bändern gemacht.
Foto: Deutsche Gemeinschaft/facebook.com

 

Ein Team von Enthusiasten
Das Team, das die Sendung „Wahrheit, Versöhnung und Zukunft“gestaltete, bestand von Anfang an aus Freiwilligen, denn, wie Dietmar Brehmer mit Bedauern feststellt, erhielten sie weder von polnischer noch von deutscher Seite Geld für die Produktion. „Am Anfang habe ich Leute um mich versammelt, die Deutsch sprachen.Später habe ich es geschafft, im Rahmen einer Kooperation mit einer deutschen katholischen Organisation zwei junge Deutsche zu gewinnen, die zwei Jahre lang ihren Zivildienst bei uns gemacht haben“, sagt Dietmar Brehmer.

Heute ist das nicht anders. Nach wie vor helfen engagierte Freiwillige bei der Gestaltung des einstündigen Programms, das aus Vorträgen und Berichten über deutsche Kultur und Sprache, einer Präsentation deutscher Literatur und aktuellen Problemen der deutschen Minderheit in Oberschlesien besteht. In der Vergangenheit war die Sendung ein Hit und, wie Dietmar Brehmer stolz erzählt, erhielt Radio Katowice wöchentlich rund 1.000 Briefe von Hörern, die sich an die deutschsprachige Sendung richteten. „Nicht zuletzt diese Briefe, ganz zu schweigen von der Unterstützung durch Edmund Wojnarowski, haben dazu geführt, dass unsere Sendung, obwohl sie ständig im Visier von Journalisten und Politikern stand, die nicht akzeptieren wollten, dass im polnischen Radio Katowice eine deutschsprachige Sendung ausgestrahlt wird, nie abgesetzt wurde und obwohl wir heute unsere Sendezeit mit dem Programm der Redaktion ‚Mittendrin‘ aus Ratibor abwechseln, können wir auf unsere seit 30 Jahrenununterbrochene Tätigkeit stolz sein.“

 

Schwierige Themen
In den ersten Jahren ihres Bestehens „pflügte“„Wahrheit, Versöhnung und Zukunft“ in den Worten ihres Gründers durch die oberschlesische Gesellschaft und bezog Stellung zu zwei Themen, die bis dahin tabuisiert worden waren. „Bereits zwei Jahre nach seiner Gründung beschäftigte sich unser Radioprogramm mit dem Schicksal der Oberschlesier, die in der Wehrmacht gekämpft hatten. Diese Menschen waren von Polen verfolgt und von den Deutschen vergessen worden, deshalb haben wir die Frage der finanziellen Hilfe für sie aufgegriffen. Es begann mit einem Aufruf, sich mit uns in Verbindung zu setzen, dessen erstes sichtbares Ergebnis kurz darauf ein Treffen ehemaliger Wehrmachtssoldaten in Kattowitz war, zu dem 400 Menschen kamen. Diese Leute bildeten später eine Arbeitsgruppe zur Unterstützung ehemaliger Wehrmachtssoldaten, von denen, wie sich bald herausstellte, noch einige Tausend in Polen lebten. Schließlich erhielten diese Menschen nach langen Verhandlungen mit der polnischen und der deutschen Regierung Einmalzahlungen, die zwar nicht besonders hoch waren, aber eine symbolische Dimension hatten und uns erlaubten, dieses schwierige Thema abzuschließen“, erzählt Dietmar Brehmer.

In der Sendung „Wahrheit, Versöhnung und Zukunft“geschah es auch das erste Mal, dass das Thema der Nachkriegslager für Oberschlesier öffentlich diskutiert wurde. Damals meldeten sich mehr als 180 Opfer dieser Repression bei der Redaktion, die auch eine Arbeitsgruppe bildete und ihre Erinnerungen aufschrieb. „Beide Gruppen trafen sich einige Zeit recht regelmäßig und die Ergebnisse ihrer Arbeit sind ein sichtbarer Erfolg unserer Sendung“, so Dietmar Brehmer.
Heute werden, wie Dietmar Brehmer betont, in der Sendung seltener schwierige, kontroverse politische Themen besprochen, vielmehr liegt der Schwerpunkt aktuell auf der Kultur. Die neueste Folge von „Wahrheit, Versöhnung und Zukunft“ läuft am kommenden Montag (26. Juli) um 20:05 Uhr im polnischen Radio Katowice.

Rudolf Urban

 

Foto2: Sendungserfinder Dietmar Brehmer (oben), umringt von seinen ersten Mitarbeitern (von links) Johann Müller, Eleonore Smyrek, Arno Springorum und Bjorn Becker.
Foto: Deutsche Gemeinschaft/facebook.com

 

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