Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Fremdsprachige Volksteile“ oder Minderheit?

Mit Prof. Krzysztof Ruchniewicz, Historiker und Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau, sprachen wir über die Polen in Deutschland und ihr Schicksal vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

 In der aktuellen Diskussion um eine mangelnde Symmetrie des Unterrichts der deutschen Sprache in Polen und der polnischen Sprache in Deutschland wird auch die Frage nach dem Minderheitenstatus, den die Polen vor dem Krieg in Deutschland gehabt haben sollen und der bis heute nicht wiederhergestellt sei, aufgeworfen. Wurden die Polen tatsächlich formell als Minderheit anerkannt?

 

Nein, natürlich nicht. In der Weimarer Republik gab es keine Gesetzgebung, wie wir sie heute kennen, die detailliert definierte, wer zu einer nationalen, religiösen oder sonstigen Minderheit gehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Stellung der nationalen Gruppen in Deutschland durch die Verfassung bestimmt, in der in Artikel 113 von „fremdsprachigen Volksteilen“ die Rede war, wie die verschiedenen nationalen Gruppen in Deutschland definiert wurden. Dies gab ihnen das Recht, sich selbst zu organisieren. Auf dieser allgemeinen Grundlage wurde beispielsweise vor einem Jahrhundert die wichtigste polnische Organisation in Deutschland – der Bund der Polen in Deutschland (ZPwN) – gegründet, der eine Reihe anderer Organisationen unter seinem Dach vereinte. Was wir heute über den Status von Minderheiten wissen, lässt sich nicht auf die Zwischenkriegszeit übertragen, was nicht bedeutet, dass die damals in Deutschland lebenden Polen sich nicht organisiert, keine Zeitschriften herausgegeben, keine Schulen gegründet, kein Gemeinschaftsleben geführt hätten usw.

 

Was ist mit dem so genannten Göring-Erlass, der angeblich die polnische Minderheit verbot?

 

Diese Frage muss ein für alle Mal geklärt werden, denn durch die Verwendung des Begriffs „Göring-Erlass“ wird eine gewisse Verkürzung vorgenommen. Gemeint ist ein Gesetzesdekret vom 27. Februar 1940, das polnische Organisationen verbot und ihre Auflösung ankündigte. Die polnische Minderheit als Volksgruppe in Deutschland wurde jedoch nicht erwähnt, sodass es heute einfach ein Missverständnis ist, wenn man sich darauf beruft, dass das Dekret die polnische Minderheit in Deutschland irgendwie aufgelöst hat. Diejenigen, die solche Behauptungen aufstellen, sollten sich das Dokument ansehen und es lesen.

Ob dieser Erlass heute noch in Kraft ist, steht auf einem anderen Blatt. Auch hier sei gleich angemerkt und daran erinnert, dass verschiedene nach 1933 erlassene Verordnungen von den Alliierten aufgehoben wurden, was spätestens 1949 mit der Verabschiedung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland geschah. In Artikel 123 dieses Gesetzes wurden alle Rechtsakte, die diesem Grundgesetz zuwiderliefen, für ungültig erklärt. Der so genannte „Göring-Erlass“ verstößt auf jeden Fall gegen das Grundgesetz, da er die Gründung von Organisationen durch deutsche Staatsangehörige, in diesem Fall speziell Polen, verbietet und somit antidemokratisch ist und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Er ist daher spätestens seit 1949 nicht mehr in Kraft. Heute ist dieser Erlass lediglich ein historisches Dokument, auf das wir im Zusammenhang mit der Geschichte der Polen in Deutschland verweisen.

 

prof. Krzysztof Ruchniewicz
Foto: www.wbz.uni.wroc.pl

Spätestens ab diesem Zeitpunkt, 1949, konnten sich die Polen in Deutschland also neu organisieren und taten dies auch. Sie konnten daher auch Entschädigungen oder die Rückgabe von geraubtem Eigentum beantragen.

 

Hier ist anzumerken, dass die polnischen Diaspora-Organisationen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder auflebten, wobei ihre Entwicklung im westlichen Teil des Landes nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland stattfand. Die Situation der Polen wurde jedoch vielfältiger, denn zu der sogenannten alten polnischen Gemeinschaft (Polonia), die im Zeichen des Rodło und des Bundes der Polen in Deutschland stand, gesellten sich andere Gruppen von Polen, wie z. B. demobilisierte polnische Soldaten, die in Deutschland blieben, oder auch ehemalige Zwangsarbeiter und Häftlinge von Konzentrationslagern, die beschlossen, in Deutschland zu bleiben, weil sie nicht ins kommunistische Polen zurückkehren wollten. Diese Menschen bildeten die sogenannte neue, kriegsbedingte Emigration.

Was die Geltendmachung von Ansprüchen auf abhanden gekommenes Eigentum betrifft, so begannen nach der Wiedererrichtung des ZPwN im Januar 1946 verschiedene Gruppen von Polen in Deutschland, vor den Gerichten der jeweiligen Bundesländer die Rückgabe ihres Eigentums zu fordern, und sei es nur aufgrund des oben erwähnten „Göring-Erlasses“. Wann immer dies nicht möglich war, wurde eine finanzielle Entschädigung gefordert. Vor einigen Jahren wurden in einer Bundestagsdebatte zur Frage der Entschädigung von Polen in Deutschland mehrere Beispiele aus den 50er bis 70er Jahren angeführt, in denen in verschiedenen Regionen Deutschlands durch Klagen die Rückgabe von Eigentum oder ein finanzieller Gegenwert im Wege des Vergleichs erreicht werden konnte. Deutschland hat daher zu verschiedenen Zeitpunkten Entschädigungen gezahlt und die Behauptung, die polnische Gemeinschaft habe kein Geld erhalten, ist unwahr.

Mir ist jedoch kein Werk bekannt, das umfassend alle Informationen über die von Polen gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrengten Prozesse zusammenfasst. Ich denke, das wäre ein interessanter Forschungsgegenstand. Wir könnten herausfinden, wie diese Verfahren aussahen, wie die Politik der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die Zahlung solcher Reparationen aussah und nicht zuletzt, was die Polen in Deutschland mit dem zurückgegebenen Eigentum oder dem erhaltenen Geld gemacht haben.

Ebenso interessant ist die Tatsache, dass nach der deutschen Wiedervereinigung Einzelpersonen und Institutionen ein Jahr lang die Möglichkeit hatten, Restitution oder Entschädigung für in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, hinterlassenes Eigentum zu beantragen. Dieses Thema hat mich interessiert, weil man bisher immer nur über Deutschland in den Grenzen vor 1990 gesprochen hat und nicht über die ehemalige DDR. Es stellte sich heraus, dass nach der Wiedervereinigung Deutschlands die Vertreter polnischer Organisationen in Deutschland, deren Eigentum sich auch in der DDR befand, keine derartigen Forderungen stellten. Da stellt sich die Frage: Warum?

 

Und was sind die Polen heute in Deutschland? Schließlich haben wir Nachkommen von Vorkriegsangehörigen der Polonia, die von Ihnen bereits erwähnten Personen, die nach dem Krieg aus verschiedenen Gründen nicht nach Polen zurückgekehrt sind, aber auch viele spätere Auswanderungswellen. Können sich die heutigen Polen in Deutschland auf die polnische Diaspora der Vorkriegszeit, den ZPwN, beziehen und ihre Aktivitäten darauf aufbauen?

 

Ja, man kann sich auf die Tradition der Geschichte der Polen in Deutschland berufen, dem steht nichts im Wege, auch wenn es sich um Gruppen von Polen unterschiedlicher Herkunft handelt. Es ist eine reiche und schöne Tradition. Es stellt sich die Frage, ob die heutige Gruppe von Polen, die nicht in direkter Linie von der „alten“ polnischen Gemeinschaft abstammen, aufgrund des Bezugs auf die Vorkriegstraditionen der Polonia als Minderheit betrachtet werden kann. Meines Erachtens ist dies ein strittiger Punkt. Vor dem Krieg hatten wir historisch gewachsene Gemeinschaften, z. B. autochthone Gemeinschaften in Schlesien oder Masuren (die seit 1945 innerhalb der polnischen Grenzen liegen) oder jüngere Gemeinschaften in Westfalen und im Rheinland. Die derzeitige Rechtslage in Deutschland berücksichtigt nur vier nationale Minderheiten: Sorben, Friesen, Dänen sowie Sinti und Roma. Selbst die große türkische Gruppe hat diesen Status nicht. Hervorzuheben ist auch, dass die deutsche Gesetzgebung und die dortige Zivilgesellschaft ein breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten bieten, die von den Polen auch genutzt werden.

 

Das Gespräch führte Rudolf Urban

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