Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Handlich-praktische Dinosaurier

An Weihnachten werden sie noch geschrieben und verschickt, zu Geburts- und Namenstagen oder aus dem Urlaub. Aber im Grunde sind Post- und Ansichtskarten nach einer zeitweise glorreichen Existenz von etwas mehr als 150 Jahren im Begriff auszusterben. Sie waren ein Kind der wirtschaftlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts – und sind Dokumente der Geschichte. Im November hat Rafał Bętkowski vom Museum der Moderne in Allenstein sie in einem Vortrag genauer vorgestellt.

„Wir erleben gerade eine stille, durchgreifende Revolution. Die Technik ändert sich, die Medien, die Kommunikation“, so Rafał Bętkowski in der Einleitung zu seinem Vortrag. „Und das war damals mit den Postkarten nicht anders.“ In ihrer Glanzzeit zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie – wie heute die Chatnachricht – das wichtigste und billigste Mittel der Massenkommunikation. Es gab noch kein Radio und kein Fernsehen; kurze Nachrichten kamen bei viermaligem Austragen der Post hingegen noch am selben Tag an und auf den freien Feldern der Karten war Platz für Zeichnungen, Texte und vermutlich auch für damalige Varianten der Emoticons.

Die älteste Allensteiner Ansichtskarte Foto: Uwe Hahnkamp

Schwierige Anfänge, stürmischer Aufstieg

Die Postkarte wird mit einer Denkschrift von Heinrich von Stephan (1831-1897) aus Stolp (Słupsk) zur fünften Konferenz des deutschen Postvereins im November 1865 in Karlsruhe verbunden. Die Idee des späteren Generalpostdirektors des Deutschen Reichs wurde aber nicht umgesetzt. Das gelang erst zum 1. Oktober 1869 in Österreich-Ungarn auf Vorschlag des Wirtschaftsprofessors Emanuel Herrmann (1839-1902). Die „Correspondenz-Karte“ als erste offene Postsache schlug dort ein wie eine Bombe. In Preußen verbreitete sie sich anfangs im Deutsch-Französischen Krieg 1870-1871 als portofreie Feldpostkarte, später als „Postkarte“, und 1873 dann mit bereits aufgedruckter Briefmarke. Mit dem 1. Juli 1875 wurde sie auch vom Internationalen Weltpostverband akzeptiert. Der Preis sank von einem Silbergroschen auf einen halben, also etwa sechs Pfennige und im späteren Dezimalsystem des Deutschen Reichs auf fünf Pfennige.

Billig zu schicken, kunstvoll, wertvoll

„Schon in den 1870er-Jahren verlockte der freie Platz auf der Postkarte nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Zeichnen. Daraus entwickelten sich dann die Ansichtskarten“, fasst Rafał Bętkowski die Entwicklung kurz zusammen. In den kleinen Städten wie Allenstein tauchten sie relativ spät auf; die älteste bekannte Serie ließ der Buch- und Papierhändler E. Buchholz etwa 1890 in Leipzig drucken. Bilder des Stadtwaldes, aber auch wichtiger Gebäude waren gefragt, ab 1895 gab es sogar Werbung für Postkarten, die damals richtig in Mode kamen. „Ob eine Gratulationskarte im gleichen Haus, Werbung für Restaurant, Hotel oder Geschäft, Grüße nach Hause aus der Kaserne oder Terminvereinbarungen – jeder verschickte sie“, gibt Rafał Bętkowski einen Überblick über die Funktionen der Karten. Relativ schnell waren sie auch: Aus Pittsburgh in den USA nach Löbau in Westpreußen (Lubawa) war eine Karte – dank der Stempel nachweislich – knapp zwei Wochen unterwegs.

Mit der Schönheit der Motive, die immer professioneller gedruckt wurden, wurde das Sammeln der Karten eine Leidenschaft vieler Menschen. Dank der Bahn entwickelte sich der Tourismus, auch zu bestimmten großen Ereignissen gab es Karten, und die Sammler suchten und verlangten Vielfalt. Der Platz für den Text auf der Karte wurde zu gering, daher entstand 1905 die heute übliche Zweiteilung in Text- und Adressfeld, während die zweite Seite dem Bild überlassen wurde. Das damalige Sammeln hat für heutige Forscher übrigens einen großen Vorteil, meint Rafał Bętkowski: „Da es noch so viele Postkarten von damals gibt, eignen sie sich gut als historische Quelle. Sie sind aber mit Vorsicht zu nutzen, denn sie zeigen häufig ein idealisierendes Bild.“ Zukünftige Erforscher der heutigen Zeit werden diese Quelle aber kaum mehr nutzen können – denn wer schreibt heute noch Postkarten?

Uwe Hahnkamp

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