Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Ich bin inspiriert

Bernard Gaida.
Bernard Gaida.

Mit Bernard Gaida, dem neuen Vorsitzenden der AGDM, sprach Krzysztof Świerc.

 

Herr Gaida, Sie sind am 9. November in Berlin beim Zusammentreffen der für Europa und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion zuständigen Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) zu ihrem Vorsitzenden gewählt worden. Wie kam es dazu? Weshalb hat man gerade auf Sie gesetzt und hatten die Erfolge der Deutschen Minderheit in Polen in den vergangenen 25 Jahren einen Einfluss auf diese Wahl?

 

Das müssten Sie eher diejenigen fragen, die diese Wahl getroffen haben. Ich sehe es aber auf jeden Fall als eine Würdigung sowohl für das Potenzial, als auch für das Wirken einer zigtausende Menschen umfassenden, aktiven und kreativen Organisationsstruktur, die den Deutschen in Polen heute zur Verfügung steht. Wir sind die größte deutsche Volksgruppe in Mitteleuropa und sind über unsere Kontakte mit der Regierung Deutschlands sowie Abgeordneten des Bundestages auch im Alltag sichtbar. Bedenken Sie nur die Treffen der letzten Monate mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Frau Prof. Monika Grütters oder dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, die Auszeichnung unserer Breslauer DSKG mit dem Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen. Nicht ohne Bedeutung war auch der im Mai in Breslau stattgefundene Kongress der FUEV, aber auch meine internationale Aktivität auf der Ebene der FUEV oder des Dialogforums. Da wir nun sichtbar und bekannt sind, sieht man sowohl unsere Erfolge wie etwa unser klares Plädoyer für eine verantwortungsvolle partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der polnischen Regierung trotz der besonderen geschichtlichen Altlasten und der zurzeit problematischen Gegenwart, als auch die Schwierigkeiten, die wir mühevoll zu bewältigen suchen, wie z.B. eine bessere Bildung für deutschstämmige Schüler bei den enormen Versäumnissen des Staates in der Implementierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Im Leben einer nationalen Minderheit haben sowohl ihre Erfolge, als auch die Art und Weise, wie man trotz objektiver Schwierigkeiten versucht, das Weiterbestehen der Sprache und Kultur zu sichern, eine wesentliche Bedeutung. Darüber hinaus gab es bei der AGDM die Erwartung, dass die Stimme der Organisationen aus Mitteleuropa künftig besser bei der FUEV vertreten ist. Die Wahl ergibt sich somit aus vielen Faktoren.

 

Die deutschen Minderheiten aus Westeuropa, Mitteleuropa und den Nachfolgestaaten der UdSSR haben jeweils unterschiedliche Besonderheiten. Haben Sie ein Rezept dafür, einen gemeinsamen Nenner für Gespräche mit ihnen zu finden und sie für ein gemeinsames Handeln, eine gemeinsame Entwicklung und noch mehr Sorge um die Identität zu mobilisieren?

 

Nach einem gemeinsamen Nenner sucht man bei der AGDM seit 25 Jahren. Dennoch ist die Tatsache, dass die Organisation nicht zerfallen ist, dass sie die älteste Arbeitsgemeinschaft innerhalb der FUEV ist und dass sich Arbeitsgruppen der slawischen und türkischsprachigen Volksgruppen an ihr ein Beispiel genommen haben, ein Beleg dafür, dass wir, ob wir ihn immer finden oder nicht, uns gegenseitig brauchen. Ich denke, dass wir auch und gerade deshalb – dank der Gemeinschaft von Deutschen aus 21 Ländern – uns gegenseitig inspirieren können. Für mich persönlich ist die AGDM eine enorme Inspiration, denn sie zeigt mir, wie stark das gemeinsame Deutschtum, die Verwurzelung in einer Kultur und Sprache Menschen von Kasachstan bis Frankreich oder Serbien trotz aller Schwierigkeiten zusammenbringt. Ich habe kein besonderes Rezept außer Dialog. Dieses haben allerdings die Mitglieder beim Jahrestreffen letzte Woche in Berlin selbst mit dem Ausspruch „Große helfen Kleinen” definiert. Die Idee ist, dass die größeren Gemeinschaften den kleinen Gruppen von Deutschen in ihrer jeweiligen Region mehr helfen könnten. So könnten beispielsweise die Deutschen aus Polen unsere Minderheiten in den baltischen Ländern aktiver unterstützen.

 

Was wird zur Priorität der AGDM unter Ihrer Leitung? Ein neuer Besen bedeutet ja meistens auch eine Neuordnung, und da man Sie gewählt hat, erwartet man vermutlich auch Änderungen…

 

Wir haben zunächst vereinbart, dass unser nächstes Jahrestreffen im Juni 2017 in Berlin stattfindet. Bis dahin müssen wir ein Dokument erarbeiten, in dem wir unsere Erwartungen an Deutschlands Förderpolitik formulieren wollen, denn die Unterstützung unserer Mitgliedsorganisationen fällt sehr unterschiedlich aus. Einige erhalten gar keine. Kritisch sehen wir teilweise die Kompetenzteilung zwischen Behörden und Ministerien. Das Dokument muss im Juni vorgestellt werden und die endgültige Fassung muss vor der Bundestagswahl fertig sein, die bekanntlich im Herbst 2017 stattfindet. Eine weitere meiner Aufgaben ist es, neue Mitglieder für die AGDM zu gewinnen. Meines Wissens leben deutsche Einheimische in 27 Ländern Europas und der ehemaligen UdSSR und die AGDM vereint zurzeit Organisationen aus nur 21 Ländern. Ich möchte deutsche Organisationen auch aus den übrigen Staaten für uns gewinnen. Es bleiben noch recht viele Aufgaben im Bereich der Zusammenarbeit zwischen unserem Koordinationsbüro in Berlin und der FUEV-Zentrale in Flensburg sowie Behörden in der deutschen Hauptstadt. Auch personell sollte es verstärkt werden. Ich wünschte mir zudem einen engeren kulturellen Austausch zwischen Gruppen in den einzelnen Ländern, denn ich glaube, dass im Gemeinschaftsgefühl über Grenzen hinweg eine große Kraft zur Erhaltung der deutschen Identität liegt.

 

Bei dem diesjährigen 25. Jubiläumstreffen der AGDM kam es zu Gesprächen mit Angela Merkel. Worüber sprach die Kanzlerin konkret und auch Sie als neuer Chef der AGDM?

 

Ich sprach wenig, da ich wusste, dass jeder der einigen Dutzend Teilnehmer wenigstens etwas Zeit bekommen wollte. Ich bat Frau Merkel daher nur, daran zu denken, dass wir in unseren Ländern oft als diejenigen betrachtet werden, die man nach verschiedenen Aspekten der Politik Deutschlands fragt. Als Beweis dafür überreichte ich der Kanzlerin ein Exemplar des Wochenblattes vom 15. Oktober 2016 mit dem Aufmacher über deutsche Empathie. Rafał Bartek wiederum brachte in seiner Eigenschaft als Mitvorsitzender der Gemeinsamen Kommission der Regierung und der nationalen Minderheiten das besorgniserregende Phänomen einer zunehmenden Abneigung gegen die nationalen Minderheiten und sonstige kulturfremde Menschen zur Sprache. Diese Haltung findet keine angemessene Missbilligung, ja es wird sogar mitunter, wie etwa im Falle der Vergrößerung Oppelns, sehr nonchalant mit Argumenten der Deutschen Minderheit umgegangen. Die Kanzlerin gratulierte mir zu meiner Wahl und bemerkte, dass dies das erste Mal in der Geschichte Deutschlands war, dass sich eine so breite Repräsentanz von Deutschen, die als autochthone Minderheiten in so vielen Ländern leben, mit einem amtierenden Bundeskanzler getroffen haben. Sie verwies darauf, dass die Unterstützung Deutschlands in letzter Zeit zugenommen hat und dass sich das vermutlich nicht ändern wird. Es war ein gutes Treffen.

 

Wie wollen Sie jetzt Ihr Amt als Vorsityender der AGDM und ihren ebenso wichtigen VdG-Vorsitz in Polen sowie Ihren stellvertretenden Vorsitz bei der Oppelner SKGD unter einen Hut bringen? Sind alle diese Ämter für Sie vorrangig oder gibt es ab jetzt vielleicht eine Wertstufung?

 

Es gibt für mich keine Wertstufung. Diese Ämter sind miteinander verzahnt, was aber nicht bedeutet, dass es möglich wäre, für jedes von ihnen gleich viel Zeit aufzuwenden. Ich stehe jetzt vor Zusammentreffen und Gesprächen mit meinen Mitarbeitern und Kollegen in diesem Organisationen. So gibt es Anfang Dezember eine Präsidiumssitzung der FUEV in Berlin und ein Treffen beim Bundesinnenministerium. Ich hoffe, dass alle dann bereit sind, mir bei der Ausübung meiner Pflichten zu helfen, und ich möchte, dass einige Vorstandsmitglieder des VdG manche davon in stärkerem Maße als bisher übernehmen. Da meine Wahl zweifellos ein Ausdruck der Anerkennung für die Deutsche Minderheit in Polen war und diese damit als reif genug erachtet wird, um mit ihrem Potenzial andere zu unterstützen und sie durch ein internationales Netzwerk hindurch zu lenken, ist es auch nicht nur meine Aufgabe, diesem Vertrauen gerecht zu werden.

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