Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Ich empfinde es als ein Wunder

prof. Krzysztof Ruchniewicz
Foto: www.wbz.uni.wroc.pl

 

Vor 30 Jahren wurde der deutsch-polnische Grenzvertrag geschlossen, vor 55 Jahren richteten die polnischen Bischöfe den historischen Brief an ihre deutschen Amtsbrüder. Über diese beiden bedeutenden Ereignisse in der deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte sprechen wir mit dem Historiker und Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien in Breslau, Prof. Krzysztof Ruchniewicz.

 

Die deutsch-polnische Nachkriegsgrenze war, auch wenn sie faktisch im Jahr 1945 bestimmt wurde, über viele Jahre ein wichtiges Thema in beiden Ländern. Der Grenzvertrag dagegen scheint aber nur eine reine Formsache gewesen zu sein.

 

Es ist tatsächlich so, dass die Grenzfrage die wichtigste zwischen Deutschland und Polen gewesen ist. Aber eine der Folgen des Zwei-Plus-Vier-Vertrages, der einige Wochen vorher unterzeichnet wurde, war die Versicherung Deutschlands, dass diese deutsch-polnische Grenze an Oder und Neiße als endgültige Grenze anerkannt wird. D. h., es war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Gegenstand jedweder Diskussionen, sondern die Anerkennung war u. a. Voraussetzung für die deutsche Einheit. Deutschland hat sich also verpflichtet, mit Polen nach der Vereinigung einen separaten Vertrag zu unterzeichnen und dies ist ja auch erfolgt.

 

Am 14. November 1990 unterzeichneten die Außenminister Polens und Deutschlands den Grenzvertrag. Foto: PAP/Jan Morek

 

Es hieß aber seit dem Kriegsende, dass die endgültige Grenzfrage in einem Friedensvertrag geregelt werden sollte. Ein solcher ist der Grenzvertrag aber im Grunde nicht und trotzdem ist er völkerrechtlich bindend.

 

Sie sprechen hier gleich zwei Fragen an. Zum einen über deutsch-polnische Verträge, die vor dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag unterzeichnet worden sind und zum anderen über die Auslegung des Grenzvertrages. Also der Reihe nach.

Tatsächlich ist es so, dass die Staaten der Anti-Hitler-Koalition sich in Potsdam geeinigt haben, dass Polen einen Zuwachs im Westen bekommt und die Gebiete, die einmal zu Deutschland gehört haben, unter polnische Verwaltung gestellt werden. Die endgültige Festlegung der deutsch-polnischen Grenze sollte dann in einem Friedensvertrag bestätigt werden.

Hier haben wir es mit zwei Interpretationen des Potsdamer Abkommens zu tun. Zum einen die polnische, die argumentierte, mit der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung sei die Endgültigkeit der Entscheidung bestätigt. Es hieß also, Polen hat diese Gebiete übernommen, die zwar nur unter Verwaltung standen, aber jetzt eben ohne deutsche Bevölkerung waren, weshalb auch eine polnische Ansiedlung begonnen hat. Zum anderen hat die deutsche Seite jahrzehntelang die Meinung vertreten, dass es nur im Zuge der Vereinigung Deutschlands möglich ist, die Grenze anzuerkennen. Sie hat also die Grenzziehung nicht anerkannt. Sogar nach 1970, nach der Unterzeichnung der Normalisierungsverträge durch Bundeskanzler Brandt wurde diese Frage noch einmal innerhalb Deutschlands behandelt und vom Bundesverfassungsgericht entschieden. Das Gericht stellte mehr oder weniger fest, dass diese Frage tatsächlich erst infolge eines Friedensvertrages geregelt werden kann.

Etwas anders war es im Fall der DDR. Im Jahr 1950 wurde nämlich ein sog. Friedensvertrag zwischen der DDR und Polen unterzeichnet, in dem es auch um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Friedensgrenze ging. Wie wir aber aus der Geschichte wissen, wurde dieser Vertrag politisch instrumentalisiert. So war es z. B. nach den Ereignissen 1956 in Polen, die von Ostberlin argwöhnisch beobachtet wurden. Anfang 1957 dann wurde die Grenzfrage wieder aufgerollt. Die DDR hat sich als Garant für deren Verlauf gezeigt, wenn Polen im sozialistischen Lager bleibt.

Das andere ist der Grenzvertrag von 1990 selbst, dem der schon angesprochene Zwei-Plus-Vier-Vertrag vorausging, der ja von Vertretern der ehemaligen Anti-Hitler-Koalition unterzeichnet wurde und bei dem es auch um die Grenzfragen in Europa ging. Mit der Unterzeichnung des Vertrages am 14. November 1990 wurde diese Grenzfrage endgültig geregelt und sie wird auch als geregelt geachtet, somit ist sie gleichfalls völkerrechtlich bindend.

 

Es war also eine reine Formsache, die Grenze von 1945 anzuerkennen. Streitpunkte, Gebietsansprüche gab es dann keine mehr.

 

Ja, das könnte man vielleicht so erklären, dennoch gibt es ein Aber. Denn man darf nicht vergessen, dass mit dem Verlust der sog. deutschen Ostgebiete das Thema immer wieder in der bundesdeutschen Politik eine Rolle spielte. In den 50er Jahren wurde mehr oder weniger deutlich gemacht, dass diese Gebiete eines Tages doch wieder an Deutschland fallen werden. Es wurde also auch seitens der Politik der Anschein erweckt, dass diese Grenzziehung nicht endgültig ist. Dabei war aber der Standpunkt der Bundesregierungen immer, dass Veränderungen möglich sind, aber nur friedlich. Diese Frage wurde also auf die lange Bank geschoben. Trotzdem hatte man immer wieder die Aktualität dieser Frage betont, was auch mit den Vertriebenenverbänden zusammenhing, die eine ganz große Rolle in der bundesdeutschen Politik der 50er und 60er Jahre gespielt haben.

Das Problem, dass man dieses Thema in Westdeutschland nun nicht so klar und deutlich gesehen hat, wie es die polnische Seite tat, hatte zur Folge, dass östlich der Grenze Unsicherheit geherrscht hat. Es war also keine Formalie, sondern hing sehr mit der Mentalität zusammen. Man musste hier ein neues Denken entwickeln. Wie schwierig dies war, sieht man u. a. auch am Beispiel einiger Menschen, die sich um die deutsch-polnische Versöhnung verdient gemacht haben. Z. B. sollte in der Delegation Willy Brandts nach Polen im Jahr 1970 auch Marion Gräfin Dönhoff dabei sein. Sie hat aber als Antwort auf diese Einladung Brandts einen ganz langen Brief geschrieben, in dem sie erklärte, wieso sie nicht mit nach Polen fahren wolle. Für sie sei die Unterzeichnung des Grundlagenvertrages gleichzeitig ein Verzicht auf ihre alte Heimat.

Es war also auch eine mentale Frage. Es ging über die Jahre nicht nur um juristische Fragen, sondern wirklich um die Gefühle, die man zur alten Heimat hatte. Auf einmal war man aber damit konfrontiert, dass diese alte Heimat verloren ist. Wie emotional diese Frage gewesen ist, sehen wir dann in den Jahren 1989/90, wo es zu Gesprächen zwischen Bundeskanzler Kohl und den Vertriebenenvertretern kam, in denen er immer wieder versucht hat zu erklären, dass die Grenzanerkennung eine notwendige Entscheidung ist. Damit waren die Vertriebenen natürlich nicht einverstanden. Man sieht also, dass der Verzicht sehr problematisch und emotionsgeladen gewesen ist.

Dass diese Frage heute nicht mehr angesprochen wird und keine Emotionen befördert, empfinde ich als ein Wunder. Und das hängt sicher auch damit zusammen, dass Polen und Deutsche sich nach 1989 besser kennengelernt haben, einen Dialog begonnen haben, auch über die schwierigen Fragen wie Grenzveränderungen und den Umgang mit dem deutschen Kulturerbe. Wir sind also heute in unserer Nachbarschaft viel weiter, als es Ende der 80er Jahre gewesen ist.

 

Die Statue von Bischof Kominek in Breslau erinnert an den berühmten Brief der polnischen Bischöfe.
Foto: Klaudia Kandzia.

 

Über die Grenze und ihren Verlauf diskutieren Polen und Deutsche heute wahrlich nicht mehr. Aber das Thema Versöhnung ist immer noch aktuell. Und ein symbolischer Schritt auf dem Weg zur Versöhnung war der sog. Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe vom 18. November 1965 mit den historischen Worten „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Waren, aus heutiger Sicht, die polnischen Bischöfe damals nicht zu forsch mit diesem Satz, 20 Jahre nach dem Kriegsende? Die Gesellschaft war damals wohl noch nicht bereit für einen solchen Schritt.

 

Ja, in der Tat, aber wir sehen, dass damals die Amtskirche den Mut hatte, diese klugen Worte auszusprechen. Denn man muss sich vergegenwärtigen, dass dieser Brief nicht nur auf diesen einen Satz zu reduzieren ist, sondern dass die polnischen Bischöfe versucht haben, 1000 Jahre der deutsch-polnischen Beziehungen darzustellen und als Folge der Feindschaft des 19. und 20. Jahrhunderts kamen sie zu einem solchen Schluss. Das ist auch sehr christlich: Wir sehen die Schuld nicht nur auf der anderen Seite, sondern auch bei uns. Ich finde diesen Satz immer noch sehr aktuell und es ist eine große Herausforderung nach so vielen Jahren, wo wir unter ganz anderen Bedingungen und in ganz anderen Systemen leben, sich trotzdem zu vergegenwärtigen, wie mutig die Bischöfe damals im Jahr 1965 waren.

Im Rückblick auf die deutsch-polnische Geschichte muss man sagen, dass dies ein sehr wichtiger Schritt für die Versöhnung gewesen ist. Er wurde damals aber natürlich nicht von allen Polen mitgetragen. 20 Jahre seit dem Kriegsende waren für viele Polen zu wenig Zeit, um zu begreifen, was Polen erleiden musste – und trotzdem auf Versöhnungskurs zu gehen. Auf einmal die Hand auszustrecken, war nur für wenige damals möglich. Aber die Bischöfe und die Laien, die diesen Weg gegangen sind, sie haben uns einen Kurs vorgegeben, wie wir zueinanderkommen können. Und ich glaube, die heutigen guten deutsch-polnischen Beziehungen, auch wenn wir uns über ihren aktuellen Stand streiten können, basieren auf dieser Entscheidung von damals, dass man versuchte, aufeinander zuzugehen und die Schuld nicht nur bei den anderen zu suchen. Das war damals etwas Neues, was wir z. B. aus den deutsch-französischen Beziehungen nicht kennen. Es gibt auch dort Symbole, aber nicht in dieser Form. Das finde ich immer noch beachtenswert und sehr mutig.

 

 

Sie haben angesprochen, dass die polnische Gesellschaft generell für diesen Schritt damals noch nicht bereit gewesen ist. Und wie hat es die deutsche, die bundesdeutsche Gesellschaft gesehen?

 

Wenn wir die enttäuschende Reaktion der deutschen Bischöfe auf den Brief der polnischen Amtsbrüder berücksichtigen, wäre die Antwort auf den ersten Blick, man hat den Brief nicht richtig verstanden oder seine Bedeutung nicht richtig eingeschätzt. Aber wir sehen gleichzeitig, dass dieser Brief einem anderen folgte, nämlich dem Memorandum der Evangelischen Kirche Deutschland vom 1. Oktober 1965, das die bundesdeutsche Gesellschaft aufgefordert hat, die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen. In der bundesdeutschen Gesellschaft wurde damals generell eine neue Situation geschaffen: es kam zum Generationswechsel und die SPD ist mit der neuen Ostpolitik an die Macht gekommen. In dieser Zeit kam es auch noch zu einem ganz anderen Schritt, nämlich der Gründung des „Bensberger Kreises“ und dessen Memorandum. Der Kreis war eine Laienorganisation, die ebenfalls die Katholiken aufforderte, im Geiste der polnischen Bischöfe zu handeln. Und da kam auch wieder die Grenzfrage ins Spiel, an die man angeknüpft und die Einstellung ihr gegenüber als Lackmustest angesehen hatte, wie man jetzt zur Aufforderung der polnischen Bischöfe steht: Herrscht in der bundesdeutschen Gesellschaft eine ähnlich positive Einstellung, um den Satz „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ auszusprechen. Auf der einen Seite war die Antwort der deutschen Bischöfe also sehr enttäuschend. Auf der anderen Seite aber hat gleichzeitig die bundesdeutsche Gesellschaft, haben die Katholiken, sehr aktiv reagiert und sind auch ermuntert worden, den Dialog mit Polen zu suchen, weil sie die Bedeutung des Briefes erkannt und anerkannt haben.

 

Das Gespräch führte Rudolf Urban

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