Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Machbar

Mit weitreichenden Sanktionen versucht der Westen, Wladimir Putin auszubremsen. Doch was kann noch getan werden, um den Krieg in der Ukraine zu beenden? Die USA und Kanada sind bereits einen Schritt weiter gegangen und haben ein teilweises Verbot von Energieeinfuhren aus Russland verhängt. In Europa ist die Situation anders. Es wird geschätzt, dass allein Deutschland täglich mehrere hundert Millionen für Energielieferungen an Russland zahlt. Die Regierung in Berlin ist der Ansicht, dass ein sofortiger Stopp der Energielieferungen aus Russland für die deutsche Wirtschaft äußerst schädlich wäre.

Wie groß der Schaden wäre und ob Deutschland ohne russische Energie auskommen würde, wird derzeit unter Experten kontrovers diskutiert. Bereits Anfang März dieses Jahres kam eine Gruppe von Wissenschaftlern der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zu dem Schluss, dass die Auswirkungen eines kurzfristigen Ausfalls der Erdgaslieferungen aus Russland für die deutsche Wirtschaft „überschaubar“ wären. Der Ökonom Rüdiger Bachmann von der University of Notre Dame in den USA sagte kürzlich in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“, dass ein Gasembargo in Deutschland durchaus möglich sei. Gemeinsam mit Ökonomen aus verschiedenen Bereichen berechnete er die Folgen im Detail. Seine Berechnungen beruhen auf „einem detaillierten Modell für 40 Länder, das die globalen Handelsbeziehungen einbezieht und die Input-Output-Struktur auf der Ebene der einzelnen Sektoren berücksichtigt“.

Warnsignale
Laut Rüdiger Bachmann würde ein Stopp der Einfuhren von russischem Gas zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um bis zu drei Prozent führen. Zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft ist während des Lockdowns im Jahr 2020 um fast fünf Prozent eingebrochen. „Das ist natürlich ein enormer Betrag, aber nichts, was nicht durch wirtschaftspolitische Maßnahmen ausgeglichen werden könnte. Selbst wenn der Schaden doppelt so groß wäre“, so Rüdiger Bachmann. Er weist auch darauf hin, dass die Bruttowertschöpfung der Wirtschaftszweige, die während der Corona-Krise geschlossen wurden, nicht geringer ist als die der Sektoren, die derzeit betroffen sind – vor allem die chemische Industrie. Nach Angaben der IG Bergbau, Chemie, Energie müsste bei einer 50-prozentigen Gasreduzierung das weltgrößte Chemiewerk BASF in Ludwigshafen geschlossen werden. Und vor allem aus diesem Bereich gibt es Warnungen, dass es zu massiven Arbeitsplatzverlusten kommen könnte, so die IG Bergbau, Chemie, Energie. Zumindest ohne Entschädigung. Müssten Chemiewerke in Deutschland schließen, würden ihre Produkte in vielen Wirtschaftszweigen wie der Pharmaindustrie oder dem Baugewerbe knapp werden. Dies könnte sogar weltweit zu spüren sein.

Sektorspezifische Bedenken
Besorgte Stimmen kommen auch aus der Metallindustrie. „Ohne Erdgas aus Russland wäre die Stahlproduktion heute nicht möglich“, erklärte die Wirtschaftsvereinigung Stahl letzte Woche. Stahl ist der Grundstoff und Ausgangspunkt für fast alle wichtigen Industrien. Ein Importstopp könnte zu Produktionsausfällen in der Stahlindustrie sowie zu einem Einbruch der Industrieproduktion in Deutschland und der Europäischen Union führen. Auch die Arbeitgeber in der Metall- und Elektroindustrie warnen: Ein solcher Schritt „würde kurzfristig dazu führen, dass die Prozesswärme für die Industrie und das verarbeitende Gewerbe nicht mehr zur Verfügung steht“, sagte Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Gesamtmetall und fügte hinzu: „In kürzester Zeit würde die Produktion in vielen Branchen zum Erliegen kommen. Zum Beispiel in der Lebensmittel-, Fleisch- und Chemieindustrie, das sind also bereits sektorale Bedenken.“ Der Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann hingegen hält einen Produktionsstopp in der chemischen Industrie für verkraftbar, weil die Produkte dieser Branche ersetzt werden könnten.

Deutschland unternimmt große Anstrengungen, um seine Abhängigkeit von Russland zu verringern und die Energiewende voranzutreiben.
Foto: www.dw.com

Eine Bedrohung für die Branchen?
Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln weist im „Tagesspiegel“ darauf hin, dass die deutsche Produktion von Basischemikalien eng mit anderen industriellen Produktionsketten verknüpft ist. „Wenn wir die chemische Industrie für eineinhalb Jahre stilllegen, wie es bei einem Gasembargo der Fall wäre, wäre das nichts anderes als der Abschied von der Grundstoffproduktion in Deutschland“, sagte Michael Hüther. Den Vergleich mit Schließungen aufgrund der Pandemie, den Rüdiger Bachmann anstellt, findet er schwierig. Damals waren, wie er betont, lange Zeit nur die Bereiche des privaten Konsums betroffen, die nicht so stark vernetzt sind wie Hotels, Restaurants oder Großveranstaltungen. „Jetzt aber geht es um eine spezialisierte Prozesskette mit viel mehr Verknüpfungen.“ Auch Moritz Schularick, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bonn, hat in seiner Studie berechnet, dass ein Stopp der Gasimporte aus Russland verkraftbar wäre. Denn das Bruttoinlandsprodukt könnte um 0,5 bis 3 Prozent sinken. „Wir importieren etwa die Hälfte unseres Gases über Pipelines aus Russland, was kurzfristig nicht kompensiert werden kann“, erklärte der Experte in einem Interview mit der Wochenzeitschrift „Der Freitag“.

Wo wären Einsparungen zu finden
Gas wird zu fast gleichen Teilen an Haushalte zum Heizen und an die Industrie geliefert, wo es auch hauptsächlich zur Wärmeerzeugung verwendet wird. „Etwa fünf Prozent gehen in die sogenannte stoffliche Nutzung in der chemischen Industrie, die nicht ersetzt werden kann, weil das Gas genau in dieser Form benötigt wird. Zum Teil könnte aber auch eine Senkung des Gasverbrauchs durch niedrigere Heiztemperaturen, Gebäudesanierung und Effizienzsteigerung dazu beitragen, auf diesen Rohstoff zu verzichten. Offenbar denkt das Wirtschaftsministerium recht statisch über eine Versorgungslücke, berechnet diese im Vergleich zum Vorjahr und überlegt, wie sie ohne Russland gefüllt werden kann“, sagt Moritz Schularick und fügt hinzu: „Dabei könnte man mit etwas Einfallsreichtum und Engineering die Nachfrage nach Gas reduzieren. Unter bestimmten Umständen könnte der Verbrauch auch gesenkt werden, wenn bestimmte energieintensive Produkte eingeführt werden.“ Nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) liegt das Einsparpotenzial in den Haushalten bei 15 Prozent des Gasbedarfs, im gewerblichen Bereich, im Handel und bei den Dienstleistungen bei 10 Prozent. Die Industrie kann ihrerseits weitere 8 Prozent beitragen. Das größte Einsparpotenzial liegt laut der Studie in der Stromversorgung – hier können 36 Prozent des Gasverbrauchs eingespart werden.

Importstopp und politische Erschütterungen
Achim Wambach vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim warnt: „Ein solches Energie-Embargo wäre einmalig in der Geschichte und würde erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Eine solche politische Ökonomie würde sich auswirken. Denken Sie nur an die ,gelben Westen’ in Frankreich.“ Auch Christoph M. Schmidt, Präsident des Essener Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), warnt, dass es derzeit „kaum möglich ist, verlässliche Aussagen über das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen zu formulieren“. Derweil arbeitet Wirtschaftsminister Robert Habeck intensiv daran, die Energieversorgung Deutschlands von Russland unabhängig zu machen. Dazu reiste er kürzlich nach Katar. Trotz der Zweifel unterzeichneten am 25. März 2022 zahlreiche ehemalige und aktuelle Spitzenvertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus dem In- und Ausland einen öffentlichen Appell an die Bundesregierung: „Stoppen wir die Finanzierung des Krieges. Sofortiges Verbot der Einfuhr von russischem Öl und Gas“!

Problem mit Pipelines
In der Wirtschaftszeitung Handelsblatt kritisiert Moritz Schularick übrigens auch die Entscheidungsprozesse in der Politik: „Wirtschaftswissenschaftler geben seit Jahrzehnten evidenzbasierte politische Ratschläge. Und wenn es darauf ankommt, dann machen wir Politik auf der Grundlage von Vermutungen.“ Die Politik wendet sich an dieselben Verbände und Unternehmen, die seit zehn Jahren sagen, dass die Energieabhängigkeit von Russland überhaupt kein Problem ist“, sagte Moritz Schularick und fügte hinzu: „Das sind dieselben, die jetzt sagen, dass wir uns nicht so schnell von den Energielieferungen aus Russland lösen können.“ In der ARD kritisierte Bundeskanzler Olaf Scholz die Ökonomen: „Es ist unverantwortlich, mathematische Modelle zu erstellen, die dann nicht funktionieren.“ Wirtschaftsvertreter wissen jedoch sehr wohl, dass die Realität anders aussieht, argumentiert Moritz Schularick. Das Gas muss vorhanden sein und dorthin gelangen, wo es gebraucht wird. Aber die Pipelines sind dafür noch nicht bereit. Viele Pipelines in den osteuropäischen Ländern sind ganz auf die Versorgung aus dem Osten ausgerichtet.

Von Russland unabhängig werden
Deutschland unternimmt bereits große Anstrengungen, um seine Abhängigkeit von Russland zu verringern und die Energiewende voranzutreiben. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums werden sich die deutschen Einfuhren von russischem Öl bis zum Sommer halbieren. Mehr noch: „Am Ende des Sommers und im Herbst kann Deutschland vollständig auf russische Kohle verzichten“, versicherte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck. Nach Angaben des Ministeriums ist der Anteil der Gaslieferungen aus Russland bereits von 55 auf 40 Prozent gesunken. Allerdings wird es erst im Sommer 2024 möglich sein, vom russischen Gas unabhängig zu werden (mit Ausnahme einiger weniger Anteile). Dies hängt jedoch auch von der Geschwindigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien in Deutschland sowie von einer konsequenten Reduzierung des Verbrauchs auf allen Ebenen ab.

Johann Engel

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