Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Besondere Orte

Die im Vorgebirge des historischen Oberschlesiens gelegenen südlichen Landkreise Neisse, Neustadt und Leobschütz gehören zweifelsohne zu den interessantesten in der Region. Neben malerischen Landschaften und zahlreichen Architekturdenkmälern haben diese Gebiete auch eine weniger offenkundige touristische Attraktion zu bieten: Dörfer, die zwar seit 270 Jahren durch eine Staatsgrenze voneinander getrennt sind, doch sie bilden nach wie vor nicht nur zusammengewachsene Organismen, sondern tragen auch meistens ähnliche Namen.

 

Geschlossene Brücke zwischen dem polnischen Dorf Krasne Pole und dem tschechischen Dorf Krasne Loučky. 2007, vor dem Beitritt Polens und Tschechiens zum Schengen-Raum.

 

 

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts kam das bis dahin habsburgische Schlesien größtenteils unter die Herrschaft Berlins. Zwar wurde die neue Grenze zwischen Preußen und Österreich nach den später als schlesisch bezeichneten Kriegen nicht linealgetreu gezeichnet, die königlichen und kaiserlichen Unterhändler machten es sich aber offenbar in einigen Fällen leicht und legten die Trennungslinie auf Flüsse, Bäche und Wege fest. Und wenn es sich fügte, dass diese mitten durch eine Ortschaft verliefen, teilte man den Ort schlichtweg in einen preußischen und einen österreichischen Teil.

 

 

Teilungen bis heute

Auf diese Weise wurden im Gebiet zwischen Patschkau und Troppau gut ein Dutzend Dörfer durch die Grenze durchschnitten. Auch wenn die schlesischen Kriege mittlerweile eine graue Vorzeit zu sein scheinen, trennt in den dortigen Gegenden dieselbe Linie mit nur kleinen Abweichungen bis heute den polnischen und den tschechischen Teil der Region voneinander. Die Trennungen von vor zweieinhalb Jahrhunderten bleiben somit bis in unsere Zeit aktuell. Eine der Ortschaften, die seit 1742 gewissermaßen in zwei verschiedenen Wirklichkeiten funktionieren, ist das Dorf Gostitz bei Patschkau. Sein nördlicher Teil gehört zu Polen und trägt den amtlichen Namen Gościce, der südliche ist Horní Hoštice in der Tschechischen Republik. Etwa zehn Kilometer weiter östlich schließt polnischerseits Jasienica Górna an die Grenze an. Ein Blick auf das Satellitenbild zeigt deutlich, dass das Dorf zusammen mit dem heute tschechischen Horní Heřmanice ursprünglich eine Ortschaft bildete. Alte Chroniken nennen auch ihren Namen: Ober Hermsdorf. Eine kompakte Struktur hat bis in unsere Zeit auch Groß Kunzendorf beibehalten, dessen polnischer Teil Sławniowice und der tschechische Velké Kunětice heißen.

 

Weitere geteilte Dörfer finden wir im Leobschützer Land. An das polnische Chomiąża grenzt dort das tschechische Chomyž, gegenüber dem polnischen Krasne Pole liegt Krasne Loučky und das polnische Opawica hat das tschechische Opavice zum Nachbarn. Auch hier sind die jeweils ähnlichen Ortsnamen kein Zufall, sondern die Erinnerung an Zeiten, in denen das gesamte Schlesien zu Österreich gehörte und die heutigen Zwillingsorte entsprechend Komeise, Schönwiese und Troplowitz hießen. Etwas weiter nördlich ist das tschechische Pelhřimovy mit dem polnischen Pielgrzymów benachbart. Es sind die beiden Teile des einstigen Pilgersdorf. Und bereits am Stadtrand von Troppau, der Traditionshauptstadt des österreichischen und später tschechischen Schlesiens, befindet sich Držkovice. Ein Grenzfluss trennt sie vom polnischen Dzierżkowice. Auch diese Dörfer bildeten bis zu den schlesischen Kriegen eine Ortschaft, die man offiziell Dirschkowitz nannte.

 

 

„Freundschaftsgrenze“

Wir können nur spekulieren, wie auf die Teilung der Region um die Mitte des 18. Jahrhunderts die damaligen Bewohner reagiert haben. Die schlesischen Adelsgeschlechter, die seit Jahrhunderten mit Prag und Wien verbunden waren, durfte noch fünf Jahre nach der Grenzziehung aus den an Preußen angeschlossenen Gebieten auf die österreichische Seite umziehen. Die niederen Schichten wurden nicht nach ihrem Wohlbefinden gefragt. Allerdings ist anzunehmen, dass die neue Situation nur wenig in ihrem Leben änderte. In den ersten zwei Jahrhunderten stellte die Grenze zwischen den beiden Teilen Schlesiens zwar eine Barriere für Warenflüsse dar – sie war ja schließlich eine Zollgrenze – sie zu überschreiten war für die Menschen jedoch unproblematisch, weder zu der Zeit, als sie Preußen und später das vereinte Deutschland von Österreich trennte, noch nachdem anstatt der Habsburger Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg auf ihrer südlichen Seite die Tschechoslowakei ins Dasein gekommen war.

Erwähnt sei überdies, dass die Staatsgrenze in dieser Gegend weder eine ethnische, noch eine sprachliche Grenze war. Bis 1945 waren zu beiden Seiten die allermeisten Bewohner nämlich Deutsche. Erst nach dem kompletten Bevölkerungsaustausch, der sich dort auf Beschluss der Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog, wurden die Polen und Tschechen, die sich anstelle der vertriebenen Deutschen in den schönen Tälern des Vorlandes der Sudeten niederließen, durch Grenznetze, gepflügte Bodenstreifen und militärische Patrouillen voneinander getrennt. Kurzum: Die sozialistische Wirklichkeit hielt Einzug.

Seltsam muss das Leben in den Ortschaften gewesen sein, in denen man jeden Tag Nachbarn von jenseits der Grenze sehen und hören konnte, aber man tat besser daran, sie zu übersehen. Wer das nicht akzeptierte, riskierte beträchtliche Unannehmlichkeiten durch Behörden und Grenzschutz. In der kommunistischen Zeit war die polnisch-tschechoslowakische Grenze zwar offiziell eine „Freundschaftsgrenze“, doch außer einer kurzen Zeit der Liberalisierung in den 70er-Jahren war ihr Überschreiten durch viele bürokratische Formalitäten bedingt und nur an einigen offiziellen Grenzübergängen möglich.

Ein aussagekräftiges Symbol dieser „Freundschaft” waren Straßen, die in fest geschlossenen Schlagbäumen, Panzersperren oder grasbewachsenen und mit Zäunen gesicherten Brücken endeten. Ein Besuch im „fremden” Teil der eigenen Ortschaft war über lange Jahre hinweg zwar nicht unrealistisch, aber in der Praxis schwierig. Erst der Untergang des Kommunismus, die Aufnahme Polens und Tschechiens in die Europäische Union und vor allem der Beitritt beider Länder zum Schengen-Raum 2007 haben das Leben der Menschen in diesem Winkel Schlesiens verändert.

 

Symbol der „sozialistischen Freundschaft”: eine demontierte Brücke zwischen Opawica und Opavice. 2007, vor dem Eintritt Polens und Tschechiens in den Schengen-Raum.

 

Beispiel Opawica

Die einzige Stadt unter den Ortschaften, die 1742 durch eine Grenze durchschnitten wurden, war Opawica, damals Troplowitz. Man mag es heute kaum glauben, doch von dem alten Glanz ist dort nur noch sehr wenig übriggeblieben: eigentlich nur die Kirche sowie barocke Heiligenfiguren am einstigen Marktplatz, derzeit einem mehrheitlich unbebauten Dorfplatz. Sein Stadtrecht hatte Troplowitz noch im 18. Jahrhundert verloren, eben infolge der Teilung zwischen Preußen und Österreich. Ähnlich wie in den benachbarten Ortschaften konnten sich auch in Troplowitz die Bewohner beider Teile der Ortschaft über den Grenzfluss hinweg buchstäblich gegenseitig in die Fenster gucken. Heute können sie sich einander auch problemlos besuchen. In der kommunistischen Zeit beschränkten sich die Kontakte auf Gespräche auf Entfernung und einen – selbstredend illegalen – Warenaustausch. Kinder spielten zwar zusammen im Grenzfluss, aber auch darauf standen Strafen, wenn sich also eine polnische Patrouille näherte, gingen alle auf die tschechische Seite und taten so, als wären sie Tschechen. Und wenn tschechoslowakische Soldaten kamen, liefen auf ans polnische Ufer. Ähnliche Bilder waren vermutlich auch an anderen Orten des schlesisch-schlesischen Grenzlandes zu sehen.

 

 

Geisterdorf

Während die meisten grenzüberschreitenden Dörfer heutzutage ein eher idyllisches Bild abgeben, sieht es damit in Pielgrzymów im Landkreis Leobschütz etwas anders aus. Die Ortschaft ist über den Fluss Troja hinweg mit dem tschechischen Dorf Pelhřimovy benachbart, mit dem sie einst einen Organismus namens Pilgersdorf bildete. In diesem Fall ist die Bezeichnung „benachbart sein” allerdings stark übertrieben, denn der tschechische Teil der Ortschaft ist eigentlich ein von Dickicht überwuchertes Geisterdorf. Seine gesamte Bebauung besteht mittlerweile aus einer Kirche, die ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllt, einer Schlosskapelle und zwei Wohngebäuden, die als Wochenendhäuschen dienen.

Nach der Vertreibung der Deutschen 1946 wurden im tschechischen Teil Slowaken und Tschechen aus Wolhynien angesiedelt. Doch bereits 1948 führte ein von der Prager Regierung eingeführtes Verbot, neue Gebäude in einem mehrere hundert Meter breiten Streifen vor der Staatsgrenze zu errichten, dazu, dass die meisten neuen Bewohner ins Innere des Landes zogen, da sie keine Perspektive für sich sahen. Entmutigend wirkte sicherlich auch die Anspannung, die damals im Grenzland herrschte. Obwohl Polen und die Tschechoslowakei 1945 in die Einflusszone der Sowjetunion gekommen waren, führten beide Länder untereinander in den ersten Nachkriegsjahren einen scharfen diplomatischen Streit, der periodisch in Phasen überging, die einen Waffenkonflikt streiften. Der Streitherd waren polnische Ansprüche auf das Olsagebiet und tschechoslowakische Gegenansprüche auf südliche Gebiete des bis vor kurzem noch deutschen Schlesiens, das nunmehr durch Warschau verwaltet wurde. Im tschechischen Teil des Dorfes, den zunächst die Deutschen unter Zwang und später auch Neubewohner verlassen hatten, wurde bereits Ende der 40er, Anfang der 50er-Jahre mit systematischen Abrissen begonnen. Insgesamt etwa 70 Haushalte fielen diesen zum Opfer. Zwar wurde auch in Pielgrzymów ein vollständiger Bevölkerungsaustausch vollzogen, doch der polnische Teil bleibt im Unterschied zum tschechischen bis heute ununterbrochen bewohnt.

 

Die „unsichtbare” Grenze zwischen Sławniowice und Velké Kunětice, jetziger Zustand.

 

Positives Beispiel

Zwölf Kilometer von Głuchołazy (Bad Ziegenhals) entfernt befindet sich das wohl interessanteste Paar von Zwillingsdörfern: Sławniowice und Velké Kunĕtice, also das frühere Groß Kunzendorf. Selbst in der kommunistischen Zeit, als ein Zaun dort die Grenzlinie markierte, hörte die Ortschaft nicht auf, ein kompaktes Ganzes zu bilden. Auch heute weiß man auf den ersten Blick kaum, wo der polnische Teil endet und der tschechische beginnt. Die Grenze verläuft hier nämlich entlang einer recht schmalen Straße, sodass die Häuser, die auf beiden Straßenseiten, manchmal nur ca. 20 Meter voneinander entfernt stehen, sich in verschiedenen Staaten befinden. Man kann sich schwerlich vorstellen, dass noch um die Mitte der 90er-Jahre jemand, der Lust auf einen legalen Besuch bei einem im jeweils ausländischen Teil des Dorfes lebenden Nachbarn bekam, etwa 35 Kilometer zurücklegen musste, um ein Haus zu erreichen, das in Sichtweite lag. Das war nämlich die Entfernung zwischen Sławniowice und Velké Kunětice durch den offiziellen Grenzübergang in Głuchołazy. Heute hingegen reist man vom polnischen Sławniowice zum polnischen Głuchołazy durch Tschechien – das ist ganz einfach näher so und es ist die Norm. Ähnlich wie in anderen geteilten Ortschaften sind auch hier zwei Währungen im Umlauf und man macht seine Einkäufe je nach Situation und Bedarf entweder in einem tschechischen oder in einem polnischen Laden. Im Frühling und Sommer flanieren Gruppen von Jugendlichen mal auf die eine, mal auf die andere Seite und überschreiten dabei manchmal mehrmals die Grenze, die nunmehr keine Barriere ist.

Der Integration ist gewissermaßen auch das Fehlen einer Kirche in Sławniowice förderlich. Recht viele Menschen aus dem polnischen Teil des Dorfes besuchen die Sonntagsmesse in Kunětice, denn das dortige Gotteshaus liegt lediglich ca. 400 m von der Grenze entfernt. In der neuen Situation erklingt bei Gottesdiensten in der Kuněticer Kirche Unserer Lieben Frau vom Schnee neben der tschechischen nun auch die polnische Sprache. 270 Jahre nachdem die Ortschaft durch eine Grenze durchschnitten wurde, wächst das alte Groß Kunzendorf nun zusehends zu einer Einheit zusammen und die jungen Bewohner aus beiden Teilen sind inzwischen eine echte „Schengen-Generation”, die sich etwas anderes als eine sperrangelweit offene Grenze gar nicht vorstellen könnte.

 

Text, Fotos: Dawid Smolorz

 

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