Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Ein historischer Tag in Kreisau

Der Friedensgruß zwischen Mazowiecki und Kohl ist in die Geschichte der beiderseitigen Beziehungen eingegangen.
Foto: Andrzej Ślusarczyk, © Fundacja “Krzyżowa” dla Porozumienia Europejskiego

 

Vor 30 Jahren kamen der damalige polnische Premierminister Tadeusz Mazowiecki und der seinerzeit regierende Bundeskanzler Helmut Kohl im niederschlesischen Kreisau zu einem Gottesdienst zusammen, der später als Versöhnungsmesse in die Geschichte eingegangen ist. Der 12. November 1989 bedeutete einen symbolischen Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen und war zugleich für die deutsche Minderheit in Oberschlesien der Tag, an dem sie zum ersten Mal polenweit in Erscheinung getreten ist.

 

Kreisau heute ist mit dem von vor 30 Jahren nicht zu vergleichen. Die Gebäude des ehemaligen Gutes – ob nun Kuhstall, Scheune oder das Schloss – wurden saniert und dienen seit 21 Jahren als internationale Jugendbegegnungsstätte, in der sich nicht nur Polen und Deutsche zu gemeinsamen Projekten treffen. Das erlebten auch viele Teilnehmer der Versöhnungsmesse am 12. November 1989, als sie in diesem Jubiläumsjahr, u.a. im Rahmen des vom VdG koordinierten Projektes “Begegnungsstättenarbeit” den historischen Ort nahe Schweidnitz, nicht selten zum ersten Mal, wieder besucht haben.

 

 

In Kreisau wurde Bundeskanzler Helmut Kohl von vielen Oberschlesiern begeistert begrüßt.
Foto: Andrzej Ślusarczyk, © Fundacja “Krzyżowa” dla Porozumienia Europejskiego

 

Die Angst fuhr mit
Unter den damaligen Zeitzeugen ist Teresa Olschowska aus Reinschdorf, die sich vor 30 Jahren nicht wie viele andere in einem Bus, sondern mit einem PKW auf den Weg nach Kreisau gemacht hat.

 

“Damals war alles eine Ruine. Besonders das Schloss ist mir in Erinnerung geblieben, dessen Fensteröffnungen allesamt mit Brettern zugenagelt waren. Und auf dem Platz gab es keinen Rasen oder gepflegte Wege wie heute, sondern Erde und Sand, in denen man versinken konnte”, erinnert sich Teresa Olschowska.

Trotz dieser nicht besonders einladenden Umgebung und des schlechten Wetters machten sich viele Hundert Mitglieder der sich gründenden deutschen Minderheit vor allem aus Oberschlesien, wenn auch nicht ohne Bedenken, auf den Weg. Bernard Gaida, der heutige Vorsitzender des Verbandes deutscher Gesellschaften in Polen, erinnerte sich in einem Interview mit der Deutschen Welle: “Zum ersten Mal sollten wir offiziell zeigen, dass wir uns zu unserem Deutschtum bekennen. Und wir sollten außerhalb Oberschlesiens, wo wir uns relativ sicher gefühlt haben, in ein fremdes Gebiet fahren. Mein Vater sagte auf einmal, dass nur einer von uns fahren könne, denn ein Mann muss in der Familie bleiben. Schließlich hat er sich doch überzeugen lassen und wir sind beide gefahren. Doch wir fuhren mit einem bangen Gefühl”.

 

 

Das Schloss in Kreisau während der Versöhnungsmesse 1989
Foto: Andrzej Ślusarczyk, © Fundacja “Krzyżowa” dla Porozumienia Europejskiego

 

Transparente
In Kreisau angekommen, fühlten sich die einen deutschen Oberschlesier sofort wie neugeboren, denn es waren gerade sie, die den Platz des alten Gutes füllten und sich da oftmals zum ersten Mal als Vertreter der jeweiligen Deutschen Freundschaftskreise getroffen haben. Bei anderen hielt die Unsicherheit noch eine Weile an, bis sie die vielen deutschsprachigen Plakate und Schriftzüge gesehen haben, unter denen eines besonders hervorstach: “Helmut, Du bist auch unser Kanzler”.
Dieser Satz, der manch einem Oberschlesier wie aus dem Herzen gesprochen vorkam und von den Himmelwitzer Deutschen um Richard Urban mitgebracht wurde, sorgte aber nicht nur medial für Furore. Das Banner wurde zum Symbol der nun offen und selbstbewusst auftretenden Deutschen Minderheit. Die polnische Gesellschaft und Politik haben dies aber durchaus als Provokation angesehen. Jahre später erinnerte sich Tadeusz Mazowiecki, dass ihm dieser Schriftzug überhaupt nicht gefallen hatte und er sich pikiert fühlte. Mazowiecki zeigte aber letztendlich Verständnis für die sich erst seit kurzem im neuen Polen öffentlich bekennenden Deutschen.

 

 

Die deutsch-polnische Versöhnungsmesse vor 30 Jahren
Foto: Andrzej Ślusarczyk, © Fundacja “Krzyżowa” dla Porozumienia Europejskiego

 

Friedensgruß
Dieses Verständnis und die wenig später auch formal erreichte Anerkennung als nationale Minderheit waren es, was die deutschen Oberschlesier gefordert und schließlich erreicht haben. Für sie, wie Bernard Gaida sagt, war aber auch die Versöhnung mit den polnischen Mitbürgern wichtig, mit denen man schließlich seit Jahrzehnten sprichwörtlich Tür an Tür gelebt hatte. “Von ihnen kamen aber letztendlich nur wenige nach Kreisau, sodass wir keine polnischen Partner hatten, mit denen wir den Friedensgruß hätten teilen können, wie es Mazowiecki und Kohl vorgemacht haben. Den Friedensgruß gaben wir also untereinander und boten ihn nicht den Polen an, weil sie schlicht nicht da waren”, sagte Bernard Gaida.

 

Heute wie damals war der emeritierte Oppelner Erybischof Alfons Nossol Hauptzelebrant des Gottesdienstes in Kreisau.
Foto: Rudolf Urban

 

Das Symbol
Heute 30 Jahre später sind beide Staaten und Nationen einander viel näher, was bei den Jubiläumsfeierlichkeiten am Dienstag (12.11.2019) in Kreisau besonders betont wurde, so aus polnischer wie auch deutscher Seite. Was allerdings als Herausforderung bleibt, ist die deutsch-polnische Versöhnung, die mit der Messe in Kreisau ihren offiziellen Lauf genommen hat, im öffentlichen Bewusstsein zu etablieren. “Kreisau ist ein wichtiger Ort, aber wir möchten, dass er noch an Bedeutung gewinnt. Dabei geht es nicht nur um Kreisau selbst, sondern um den Versöhnungsgedanken an sich. Denn, würden wir fragen, was die deutsch-polnische Versöhung für die Menschen in beiden Ländern bedeutet, wäre es schwer eine eindeutige Antwort zu bekommen. Beim Stichtwort deutsch-französische Versöhnung weiß man, dass die sie ein Symbol der Überwindung der Feindschaft und des Aufbaus der Europäischen Union ist. Die deutsch-polnische Versöhnung und Kreisau sind dagegen von der Aussage her schwächer und haben nicht so eine klare und sichtbare Funktion. Das bedeutet für uns, dass wir noch internsiver daran arbeiten müssen, damit die kommenden Generationen in zehn oder 15 Jahren sehen, ohne die deutsch-polnische Versöhnung gäbe es keine aus Ost und West zusammengewachsende EU”, sagt Prof. Waldemar Czachur, Vorsitzender des Rates der Stiftung Kreisau.
An die Bedeutung Kreisaus glaubt der emeritierte Oppelner Erzbischof Alfons Nossol, der die Jubiläumsmesse, ähnlich wie die Versöhnungsmesse vor 30 Jahren zelebrierte. In seiner Predigt konzerntrierte er sich zwar auf die Begebenheiten von damals und spannte den Bogen zu den Vorkriegseigentümern von Kreisau, also der Familie von Moltke, die sich in der Antihtiler-Opposition engagiert hatte, er verwies aber auch auf die auch heute noch symbolische Rolle dieses Ortes.

 

“Wenn es jemand nicht wahr haben will, der schaue auf Kreisau! Die Deutschen haben uns Polen geholfen. Polen haben sich mit Deutschen versöhnt. Deshalb sollten wir uns nicht wieder trennen. Europa braucht uns. Das Europa, dessen Ausruf Motto heute lauten könnte: Türen öffnen! Mauern einreißen! Brücken bauen!”, sagte Erzbischof Nossol.

 

Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten kamen mehrere hundert Vertreter verschiedener Organisationen und Institutionen aus Polen und Deutschland. Foto: Rudolf Urban

 

Deutsche Minderheit
Versöhnung kann aber nicht nur symbolisch betrachtet werden, sondern soll auch für die beiderseitigen Beziehungen eine Grundlage bilden. Das wurde erreicht, meint der deutsche Botschafter in Polen Rolf Nikel: “Wir sind heute in vielen Bereichen sehr nah beieinander, arbeiten sehr gut zusammen in vielen Bereichen, gerade in der Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Und auch in politischen Fragen arbeiten wir eng zusammen. Wir sind zwar nicht immer der gleichen Meinung, aber wir versuchen immer gute Lösungen zu finden für die Menschen in unseren beiden Staaten”.
Auf dem Weg liegen allerdings Steine wie der Streit um die deutsch-russische Pipeline Nordstream, die Forderungen nach Kriegsentschädigungen und letztens auch konkrete Aussagen und Schritte gegen die deutsche Minderheit in Polen. Denn trotz des in diesem Jahr wiederbelebten deutsch-polnischen Runden Tisches, bei dem die Belange der deutschen Minderheit in Polen und der Polonia in Deutschland im Fordergrund stehen, sind keine Fortschritte in ihren Rechten zu sehen. Mehr noch, durch die Aussage des polnischen stellvertretenden Außenministers Szymon Szynkowski vel Sęk, die Deutschen in Polen würden erst dann mehr Rechte erhalten, wenn die Polen in Deutschland als Minderheit anerkannt werden, fühlen sich die Deutschen in Polen als Geisel der polnischen Außenpolitik. Zudem fürchten sie durch die Rechtsauslegung der Bildungsgesetze, die den gleichzeitigen Deutschunterricht als Minderheiten- und Fremdsprache in den grundschulen verbietet, um das Niveau der Sprachkenntnisse bei der jungen Generation.

 

“Wenn wir jetzt, 30 Jahre nach der Versöhnungsmesse sprechen, müssen wir zugeben, dass unsere jetzige Situation nicht mit der damaligen Zeit zu vergleichen ist. Eines ist aber bis heute nicht umgesetzt, was damals auf den Transparenetne zu lesen war. Alle erinnern sich heute an das eine, auf dem geschrieben stand “Helmut, Du ist auch unser Kanzler”. Aber da sind einige Transparente mehr gewesen und auf einem stand geschrieben: “Wir fordern deutsche Schulen”. Und da muss man sagen, nach 30 Jahren fordern wir sie immer noch”, sagt Bernard Gaida, Vorsitzender des Verbandes deutscher Gesellschaften in Polen.

Diese Forderung konnten die in Kreisau zahlreich vertretenen Mitglieder der deutschen Minderheit, die vor allem aus den beiden oberschlesischen Woiwodschaften angereist sind, jedoch keinem polnischen Regierungsmitglied wiederholt vorbringen. Denn während Deutschland vom Botschafter Rolf Nikel repräsentiert wurde, wurde das Grußwort des polnischen Premierministers lediglich von der Generaldirektorin des niederschlesischen Woiwodschaftsamtes vorgetragen.

Rudolf Urban

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