Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Nicht jeder Magister wird gebraucht

Konkrete Berufe sind heute in der polnischen Wirtschaft mehr gefragt als Master und Bachelor.
Konkrete Berufe sind heute in der polnischen Wirtschaft mehr gefragt als Master und Bachelor.

Vor einer Woche titelte eine der meistgelesenen Tageszeitungen „Gazeta Wyborcza“ mit einem Thema, das den Nerv der Zeit getroffen hat: Polen fehle es nämlich laut Arbeitgeberverband an rund 400 Tausend gut ausgebildeten Berufsschulabsolventen. Es ist eine Tatsache, die sehr lange in Polen totgeschwiegen wurde.

 

Bis 1990 war es nur wenigen vergönnt, eine Hochschule zu besuchen und diese mit dem heiß ersehnten Magistertitel abzuschließen. Wer dies geschafft hat, war ein gemachter Mann/eine gemachte Frau in der Gesellschaft und konnte sich einer guten beruflichen Zukunft sicher sein.

 

Nach der politischen Wende blieb dieser Wunsch für viele weiter ein ersehntes Ziel, das nun aber leichter zu erreichen gewesen ist, da auch die Regierenden über die geringen Zahlen von Hochschulabsolventen erschrocken waren. Und in der Tat war es so, dass diejenigen, die in den ersten Jahren nach der Wende ihren Magister gemacht haben, sich eigentlich nicht um ihre Zukunft sorgen mussten. Dieser Hype um den Hochschulabschluss ging aber in Polen so weit, dass letztendlich die Mehrheit studieren wollte und es, wenn sie die Mindestanforderungen geschafft hat, auch konnte, egal welchen Studiengang die jungen Menschen nun besuchten und ob dieser auf dem Arbeitsmarkt überhaupt gebraucht wurde.

 

Die Folgen sind nun zu sehen. Zuhauf gibt es Beispiele von gut ausgebildeten Humanisten, die bei einer Supermarktkette an der Kasse stehen, weil es keinen andren Job für sie gibt, in Oberschlesien arbeiten darüber hinaus viele Master und Bachelors bei BMW, Audi und Co am Fließband. Der Grund ist ganz einfach: Obwohl der Arbeitsmarkt keine weiteren Hochschulabsolventen allein wegen ihres Diploms aufnehmen kann, ist der Mythos von dem sorgenfreien Leben als Magister oder Bachelor in der Gesellschaft immer noch lebendig. Ein Trugschluss, der vielen aber erst bewusst wird, wenn sie die Mauern ihrer Alma Mater verlassen.

 

Denn wie die Gazeta Wyborcza berichtet, braucht Polen heute 400 Tausend Berufsschulabsolventen und viel weniger Akademiker und den Berufsschülern werden nach Schulabschluss auch bessere Löhne gezahlt als den Hochschulabsolventen. Eine verständliche Wendung, die aber für viele Berufsschulen zu spät kommt. Das Ansehen dieser berufsbildenden Einrichtungen wurde in den letzten Jahren soweit ruiniert, dass heute nur noch wenige Gymnasiasten eine solche Schule besuchen wollen. Schade, denn nicht nur die Wirtschaft braucht gut ausgebildete Maurer, Klempner, Elektriker usw. Auch jeder Bürger ist von Zeit zu Zeit auf deren Dienste angewiesen. Und was macht man, wenn diese Spezialisten nicht da sind? Einen Historiker oder Philosophen wird man wohl nicht anrufen.

 

Rudolf Urban

 

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