Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Zeit kommt Wiedergutmachungen zuvor

Skizze eines der sowjetischen Lager, in denen Deutsche Zwangsarbeit leisteten. Foto: Sammlung des IPN Kattowitz.
Skizze eines der sowjetischen Lager, in denen Deutsche Zwangsarbeit leisteten. Foto: Sammlung des IPN Kattowitz.

Wie vielen Menschen wird die historische Entscheidung des Bundestages tatsächlich zugutekommen? Diese Frage stellt sich die deutsche Minderheit in Polen bereits seit Monaten. Es geht um 50 Millionen Euro, mit denen die deutsche Bundesregierung diejenigen Deutschen entschädigen will, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und auch danach zwangsweise in Polen und in der UdSSR arbeiten mussten. Experten zufolge handelt es sich womöglich nur noch um eine Handvoll dieser Menschen. Ihre Erzählungen sind erschütternde Geschichten voller Gegensätze. Einer dieser Menschen ist am vergangenen Samstag gestorben.

 

„Da viele der Zwangsarbeiter aus dem Gebiet des heutigen Polens kamen, sind wir an dem Thema natürlich lebhaft interessiert. Beim Jahrestreffen des Bundes der Vertriebenen haben wir darüber mit dem Minderheitenbeauftragten der deutschen Regierung Hartmut Koschyk gesprochen“, berichtet der Vorsitzende des Verbandes deutscher Gesellschaften Bernard Gaida. Koschyk übermittelte den Vertretern der Minderheit neueste Informationen zur Auszahlung von Entschädigungen für die infolge des von den Nazis entfesselten Krieges geleitete Zwangsarbeit.

 

Hintergründe

 

Die Entscheidung über die Auszahlung von Entschädigungen traf im November letzten Jahres das deutsche Parlament. Für ihre Arbeit zugunsten des Nachkriegspolens bzw. der UdSSR wurden deutsche Zivilisten niemals entschädigt, es war typische Sklavenarbeit. Die Entscheidung des Bundestages über die Gewährung von Mitteln für Wiedergutmachungen ist somit ein Präzedenzfall, der für viele Interessierte einer Erklärung bedarf. „Der Bundesbeauftragte Koschyk teilte mit, dass die Einzelheiten bis zum Sommer dieses Jahres bekannt sein sollen. Schon jetzt steht allerdings fest, dass diejenigen, die zum Zeitpunkt der Bundestagsentscheidung im November 2015 noch am Leben waren, auf jeden Fall entschädigt werden. Bei Personen, die zwischenzeitlich verstorben sind bzw. bis zum Beginn der Auszahlungen sterben werden, sollen die Erben das Geld erhalten“, erklärt Bernard Gaida.

 

Eine Frage der Zeit

 

Bei aller Symbolik hinter der Zuerkennung der Entschädigungen durch die Bundesregierung muss mit Bedauern festgestellt werden, dass in den meisten Fällen die Zeit dieser Wiedergutmachung zuvorgekommen ist. Sebastian Rosenbaum, Historiker des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), der sich mit den Deportationen in die UdSSR und der Zwangsarbeit befasst hat, geht davon aus, dass von den tausenden Menschen, die damals Sklavenarbeit leisteten, heute nur noch eine Handvoll am Leben geblieben ist. „Ich persönlich konnte zu sechs solchen Menschen in Oberschlesien Kontakt aufnehmen. Es leben vermutlich noch einige weitere Personen, mit denen ich mich nicht treffen konnte, doch insgesamt kann es in Polen 20, höchstens 30 von diesen Menschen geben“, schätzt Rosenbaum.

 

Der IPN-Historiker ist Mitverfasser des unlängst erschienenen Buches „Wywieziono nas bydlęcymi wagonami” („In Viehwaggons verschleppt“) mit Zeitzeugnissen von Menschen, die aus den heutigen Woiwodschaften Schlesien und Oppeln – damals Deutsches Reich – in die Sowjetunion deportiert wurden. Einer von ihnen ist Wiktor Kik, ein deutscher Oberschlesier, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und auch danach Sklavenarbeit leisten mussten.

 

Eine persönliche Geschichte

 

Als Wiktor Kik 1945 in einen Viehwaggon gepfercht wurde, war er gerade mal 18 Jahre alt. Zuvor soll er einer der jungen Burschen gewesen sein, die Adolf Hitler kurz vor dem Kriegsende in den Kampf gegen die Rote Armee schickte, als erfahrene Soldaten zunehmend knapp wurden. Den Prozess der Einberufung in die Wehrmacht beendete jedoch der Einmarsch sowjetischer Truppen im Januar 1945 in seinen Heimatort Schierokau (Sieraków Śląski). Laut Entscheidung der russischen Führung unterlagen alle Männer zwischen 16 und 50 Jahren der Deportation zur Zwangsarbeit. Zu ihnen gehörte auch Kik.

 

Nach mehrtägiger Reise in einem Viehwaggon durch Schlesien und weiter in die UdSSR kam Kik schließlich nach Dnipropetrowsk, eine heute moderne ukrainische Metropole mit fast einer Million Einwohnern. Es war die südliche und zentrale Ukraine, wohin deutsche Zivilisten zur Zwangsarbeit verwiesen wurden. Während man Soldaten hauptsächlich nach Sibirien zu elementaren Arbeiten schickte, deportierten die Russen unter den Zivilisten besonders gern Fachleute, vor allem Bergarbeiter und Handwerker, die man in Industrieregionen mit vielen Bergwerken einsetzen konnte.

 

Trotz seiner geringen handwerklichen Erfahrung kam Wiktor Kik als ein fleißiger Oberschlesier ganz gut im Lager zurecht. „Wir arbeiteten jeweils zwölf Stunden am Stück, mal am Tag, mal in der Nacht. Mich machte man zu einem Dreher. Ich hatte eigentlich keine blasse Ahnung, was eine Drehmaschine ist und wie man sie bedient, aber ich muss zugeben, dass mir das trotzdem irgendwie gefiel. Unser russischer Meister hatte fünf ,Sklaven’, aber er sah, dass ich meine Arbeit gern tat und nicht herumlungerte, weshalb mir der Meister sehr zugetan war“, erinnert sich Kik.

 

Alles fürs Essen

 

Der Bericht von Wiktor Kika über seine Zwangsarbeit ist voll von emotionalen Widersprüchen. So erzählt er, wie sein russischer Vorgesetzter, der seinen Fleiß sah, sich mit ihm ab und zu mal in die Lagerküche schlich, wo ihm Ukrainerinnen „ein Stück Brot oder etwas Warmes zum Essen” anboten. Andererseits aber erinnert er sich daran, dass Hunger, Auszehrung und Krankheiten einen schrecklichen Tribut an Menschenleben forderten. „Wir hatten im Lager nur wenig Kleidung, weil alles fürs Essen verkauft wurde. Als einer aus Schierokau im Sterben lag und die Männer wussten, dass er schon aus dem letzten Loch pfiff, begannen sie ihm die Kleider abzunehmen, aber er spürte das und sagte auf Deutsch: ,Lasst mich in meiner Kleidung sterben, zieht mich noch nicht aus’. Traurige Momente waren es“, schildert Wiktor Kik bitter.

 

1946 kam Kik heraus aus dem Lager, nachdem er eine Beamtin bestach, die diejenigen zurück nach Schlesien schickte, die in ihrer Not sagten, sie seien Polen, obwohl sie Deutsche waren. Als Schmiergeld diente ihm seine letzte Jacke.

 

Nach der Deportation

 

Einst Zwangsarbeiter, wurde Wiktor Kik nach der demokratischen Wende in Polen zum langjährigen Vorsitzenden der deutschen Minderheit in Schierokau. Vor kurzem feierte er seinen 89. Geburtstag. Leider wird Herr Kik diesen Artikel nicht mehr lesen können, denn fünf tage vor seiner Veröffentlichung ist Wiktor Kik am 16. April nach langer Krankheit gestorben. Das Begräbnis fand nach am 20. April in Schierokau statt. Für ihn und viele seiner Leidensgenossen kam die Geste der Wiedergutmachung leider zu spät.

 

Łukasz Biły

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