Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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So entstand die neue „Ordnung“

 

Am 8. Mai 1921 ergab sich die Stadt Lublinitz kampflos den aufständischen Einheiten, weil man keine Möglichkeit sah, sich zu verteidigen, keine Hoffnung auf ein Eingreifen der interalliierten Kräfte hatte und weil man Zerstörung und unnötiges Blutvergießen vermeiden wollte. Lublinitz (Lubliniec) war seit 1913 zwar eine Garnisonsstadt, doch gemäß dem Versailler Vertrag hatten die letzten Soldaten die Stadt Anfang Januar 1920 verlassen und es gab keinen organisierten Zivilschutz.

Am 8. Mai 1921 wurde der Einsatzbefehl Nr. 9 erlassen, der an die Untergruppe „Bogdan“ gerichtet war. Der Stabschef der Untergruppe „Bogdan“, der seinen Befehl mit dem Pseudonym „Roman“ unterzeichnete, war Roman Horoszkiewicz, der in einer polnischen Intelligenzfamilie im heute ehemaligen Ostpolen bei Tarnopol geboren wurde. Er studierte an der Jagiellonen-Universität und kämpfte in polnischen Legionen. Als Hauptmann der polnischen Armee wurde er am 5. Mai 1921 nach Oberschlesien in den Raum Groß Strehlitz beordert. In der Zeit Volkspolens lebte er in Oppeln und war ein aktiver Kulturaktivist und an der Gründung des Schlesischen Instituts in Oppeln beteiligt. Eine Straße in Oppeln ist nach Roman Horoszkiewicz benannt. Der Befehl von Roman Horoszkiewicz sah einen weiteren Marsch aufständischer Truppen vor, um die Oder zu erreichen und enthielt Einsatzziele für einzelne Bataillone, darunter das von Karl Brandys befehligte Bataillon, das die Städte Stubendorf und Ottmütz besetzte und den Befehl erhielt, Patrouillen nach Groß Stein und Nakel, Raschau und Kroschnitz zu schicken.

 

Jahrhunderte lang funktionierende, in mühevoller Arbeit in Frieden errichtete Anwesen existierten nicht mehr, wie zum Beispiel das Schloss Strachwitz in Stubendorf bei Groß Strehlitz.
Quelle: Wikipedia

 

Unbequeme Erinnerungen

Man mag sich fragen, wie die Kämpfe der Aufständischen denn ausgesehen haben. War es so, wie wir es uns aus Schulappellen und Aufstandsliedern des Ensembles „Śląsk” vorstellen: „Hey, Germany, hey! Eure Kohlköpfe sind wohl erfroren, statt zu gewinnen, habt ihr verloren.“? Die Antwort auf diese Frage findet sich wohl kaum in den Memoiren von Aufständischen, die in der Volksrepublik Polen veröffentlicht wurden [z. B.: Henryk Goraj: „Pamiętniki powstańców śląskich“, Kattowitz 1957], in denen von heftigen Kämpfen mit dem Selbstschutz (der damals noch nicht existierte und sich erst zu bilden begann) oder sogar Reichswehreinheiten (die in Breslau stationiert waren) die Rede war. Die Antworten sind in Archiven verborgen. Im Kattowitzer Staatsarchiv zum Beispiel befinden sich Aufständischen-Memoiren, die nie veröffentlicht werden durften. Unter der Aktennummer 2/15 (Karte 39) finden wir die folgende Schilderung jener Ereignisse durch den Aufständischen Karol Baron, beginnend mit den Vorfällen in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1921: „In dieser Nacht wurden alle wichtigen Objekte in Tichau wie Bahnhof, Post, Gemeindeamt, Brauereien und Schule unter Kontrolle gebracht und die APO [Plebiszitpolizei, die je zur Hälfte aus Oberschlesiern bestand, die sich für einen Verbleib des Plebiszitgebietes bei Deutschland und für eine Angliederung an Polen plädierten, und die für die öffentliche Ordnung und die Einhaltung der Gesetze sorgen sollte – Anm. d. Verf.] entwaffnet, woraufhin sich die meisten sofort den aufständischen Einheiten anschlossen. Am nächsten Morgen wurde der Tichauer Marktplatz in ein Militärlager verwandelt. […] Vom herzoglichen Gutshof wurden zwei Landwagen mit Pferden requiriert, von denen einer für eine improvisierte Feldküche zur Verfügung gestellt wurde, während der andere als Munitionswagen diente. Die gesamte Kompanie erhielt weiße und rote Armbinden am Ärmel. In der Zwischenzeit wurden etwa ein Dutzend deutsche Gendarmen, deutsche Vorarbeiter aus nahegelegenen Bergwerken und deutsche Lehrer aus benachbarten Dörfern in die Kommandantur der polnischen Armee nach Tichau überstellt. Ich bekam den Befehl, sie in Ortschaften an der polnischen Grenze zu transportieren, wo ein Internierungslager eröffnet wurde. Unsere Kompanie brach gleich danach nach Podlesie und Petrowitz in der Stärke eines ganzen Bataillons auf […], wir gelangten nach Knurow. Nach einem mehrtägigen Zwischenstopp machten wir uns von dort aus über Ujest und Slawentzitz auf den Weg zum Sankt Annaberg.“

 

Vorgehen nach Schema

Das Vorgehensmuster wurde in allen Fällen wiederholt. Nach der kampflosen Eroberung einer Stadt identifizierte die örtliche Agentur Oberschlesier, die auf deutscher Seite bei der Volksabstimmung engagiert waren, Lehrer mit einer Abneigung gegenüber Polen, Intelligenzler, politisch unzuverlässige Männer, die Waffen tragen konnten, sowie kommunalpolitische Aktivisten – sie alle wurden verhaftet und in verschiedene polnische Internierungslager gebracht. Nicht einmal ein wissenschaftlicher Artikel, der die Struktur und Funktionsweise dieser Lager beschreiben würde, ist bisher in Polen veröffentlicht worden. Viele Menschen kamen in das Lager in Neu-Bierun. Drastische Zeugnisse von Menschen, die dort inhaftiert waren, sind erhalten geblieben. Ein wichtiges Element beim Aufbau der Besatzungsverwaltung war es, den Kommunalverwaltungen ihre Macht zu nehmen, d. h. Bürgermeister, Gemeindevorsteher und Beamte ihrer Siegel zu berauben und Räte, die in legalen Kommunalwahlen gewählt wurden, illegal aufzulösen und ihre eigenen Leute mit Gewalt zu installieren, wie z. B. in Peiskretscham, wo der demokratisch gewählte Bürgermeister Tschauder von der aufständischen Armee entmachtet und durch einen Vertrauten ersetzt wurde.

 

In den Memoiren von Henryk Goraj „Pamiętniki powstańców śląskich”, (Kattowitz 1957) ist die Rede von heftigen Kämpfen mit dem Selbstschutz (der damals noch nicht existierte und sich erst zu bilden begann) oder sogar Reichswehreinheiten (die in Breslau stationiert waren). Quelle: Tezeusz.pl

 

Eine andere Normalität

Damals spielten sich in Oberschlesien danteske Szenen ab. Die Straßen waren voll mit Flüchtlingen. Wie man in der Biografie des Grafen Hyazinth Strachwitz nachlesen kann [Hans-Joachim Röll: Strachwitz, Posen 2013, ebd. S. 69-69], gelang es ihm gerade noch, seine betagten Eltern und seine schwangere Frau mit einer Kutsche aus dem Schloss in Groß Stein zu evakuieren und mit seinem zweiten Sohn auf dem Arm schlug er sich auf mit Flüchtlingen gefüllten Straßen nach Oppeln durch. Die Kutsche wurde sogar einmal beschossen, aber über einen Umweg gelang es ihm, Oppeln zu erreichen, wo bereits das totale Chaos herrschte. Der Aufmarsch der Aufständischen löste Schrecken unter der wehrlosen Bevölkerung aus, die sich seit dem Tag des Plebiszits bereits sicher gefühlt hatte und glaubte, dass nun wieder Normalität einkehren würde.

Viele Menschen konnten erst nach der Verdrängung der aufständischen Einheiten durch den Selbstschutz Oberschlesiens Ende Mai 1921 in ihre Häuser zurückkehren und fanden dabei geplünderte und verbrannte Häuser und Gutshöfe vor. Jahrhunderte lang funktionierende, in mühevoller Arbeit in Frieden errichtete Anwesen existierten nicht mehr, wie zum Beispiel das Schloss Strachwitz in Stubendorf bei Groß Strehlitz.

Die Menschen, ob sie sich beim Plebiszit für eine Angliederung an Polen oder für den Verbleib in der Weimarer Republik entschieden hatten, sahen nun mit eigenen Augen, wie die versprochene gerechte Neuordnung aussah und was eine Befreiung „von 600 Jahren deutschem Joch“ werden sollte.

 

Waldemar Gielzok
Vorsitzender der Deutschen Bildungsgesellschaft und Erforscher der schlesischen Geschichte

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