Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Vernunft und Mäßigkeit braucht man (+Video)

Manuela Leibig sprach mit Christoph Ralla aus Ottmütz (Jahrgang 1930) über sein Leben und die deutsche Minderheit

 

Herr Ralla, Sie leben seit Ihrer Geburt in Ottmütz. Wie kam ihre Familie nach Ottmütz?

Meine Kindheit war ziemlich hart, denn ich stamme aus einer kinderreichen Familie. Mein Familienhaus wurde von meinen Eltern und meinem Onkel aufgebaut, sie kamen 1921 hierher. Das war gerodeter Wald, erstmal mussten mein Vater und sein Bruder die Wurzeln herausholen. Erst dann konnten sie bauen. 20 Hektar Land haben sie von einem Großbauern gekauft. Sie haben Ottmütz gewählt, weil es hier in der Nähe keine Mühle gab. Die Wassermühlen, die damals oft gebaut wurden, waren mehr nördlich von hier, wo es Wasserstränge gab, unsere Mühle funktionierte mit Maschinenantrieb. Die erste mit Dampf, dann mit Dieselmotor, Gasmotor und zu allerletzt elektrisch. Wir hatten auch eine Bäckerei.

 

Wie haben sie nach dem Krieg als Deutscher weiter gemacht?

Ich konnte schlesisch, deswegen durften wir hier bleiben. Wenn jemand nur deutsch sprach, wurde er als Deutscher erkannt und musste in den Westen. Da war ja alles zerbombt, und eine noch größere Not als hier, und wer wollte das schon.

 

Christoph Ralla
Foto: Schlesien Journal

Herr Ralla, sie sind in die Volksschule gegangen, wie lange?

Bis die Russen kamen. Wäre nicht der Krieg gewesen, hätte ich ein halbes Jahr später meinen Schulabschluss gemacht. Ich bin Jahrgang 1930 und musste nicht mehr in die polnische Schule Aber alle Kinder ab Jahrgang 1931 mussten da hin. Die Russen haben die Volksschule abgebrannt und in der neuen Schule wurde ein Kurs für die „Analphabeten“ gemacht, also für die Kinder, die kaum polnisch sprachen, das waren die sog. Analphabeten. Ich habe den Kurs gemacht und hatte dann meinen Abschluss der achten Klasse. Ich habe ab 1947 eine Lehre in einer Mühle in Malnia, unweit der Oder, gemacht. Ich bekam ein Fahrrad, da bin ich am Montag losgefahren und kam am Samstag zurück. Das ging so über eineinhalb Jahre.

 

Wie haben Sie Arbeit gefunden?

Das war höhst interessant. Mein Vater hat mich als Nachfolger gesehen, er schickte mich nach Stubendorf in das Gemeindeamt, um die Steuern zu bezahlen. Die Kassiererin sagte mir, dass ich mich verspätet habe, und jetzt ein paar Prozent Steuern mehr bezahlen muss. Mein Vater hatte mir Geld für die Steuer gegeben, aber ich hatte noch etwas dabei. Ich fragte, wie viele Prozent es sind. Sie sagte es mir, ich weiß nicht mehr, wie viel es war. Ich habe es errechnet und das bisschen, was ich in der Tasche hatte, hat gereicht. Die Kassiererin hat die Rechnung mit dem Kopierstift durch das Kopierpapier ausgestellt, und als ich die Rechnung gesehen habe, war da mehr, als ich errechnet habe. Ich hatte ein bisschen Angst, dass sie sich beleidigt fühlen wird, wenn ich sage, sie hätte sich verrechnet. Sie hat nochmal nachgerechnet und verwundert fragte sie, woher ich das wusste? Na ja, ich habe es errechnet. Sie hat aber nicht gesehen, dass ich was gerechnet habe und wenn ich so gut Kopfrechnen kann, dann kann ich hier ja arbeiten, denn ein Büro sucht seit Längerem nach einem Arbeiter, der gut im Rechnen ist. Ich werde aber die ganzen Tage auf einem Stuhl zu sitzen nicht aushalten, habe ich ihr gesagt. Sie meinte, dass sie mich rauslassen werde, dass ich im Dorf etwas rumlaufen kann, und dann wiederkommen soll. Dass ich nicht so gut Polnisch schreiben konnte, war nicht schlimm, ich brauchte nur Zahlen zu schreiben und eben viel rechnen. Nach zwei Jahren wurden wir nach Groß Strehlitz verlegt. Da kam der Nachbar mit einem Pferdewagen, wir haben mein Schreibtisch drauf geladen und so fuhren wir. Im Finanzamt waren sechs Mädchen aus dem ganzen Kreis und ich der einzige Junge.

 

Wie ging es weiter?

Nach einigen Jahren wurde ich entlassen, der Chef sagte, es tue ihm leid. Ich wusste nicht, was der Grund war, aber nach einiger Zeit habe ich es erfahren: bei einer Kontrolle in unserer Mühle zu Hause wurde bemängelt, dass wir unsere Papiere schlecht führen. Mein Vater sagte, dass ich die Papiere mache und ich arbeite im Finanzamt. Ein Sohn von einem Kapitalisten durfte nicht im Finanzamt arbeiten. So schnell wie ich die Arbeit bekommen habe, so schnell bin ich sie wieder losgeworden. Das war das Ende meiner Kariere hinter dem Schreibtisch. Also habe ich wieder in der Mühle gearbeitet. Bis sie mich aus der Spółdzielnia in Stubendorf angesprochen haben, ob ich bei ihnen anfangen möchte. In der Mühle gab es immer weniger zu tun, also habe ich das Angebot angenommen, und da bin ich auch 26 Jahre geblieben.
Sie sind auch bei der Deutschen Minderheit von Anfang an dabei.

 

Das stimmt, ich war der Älteste im DFK. Zum Sekretär wurde ich ernannt und habe vieles übersetzt. Wir haben anfangs Volkslieder gesungen, „Hohe Tannen“ und so. Als auf dem Flugplatz bei Ottmütz eine Siedlung mit Einfamilienhäusern entstand, mussten neue Straßennamen her. Es wurden Namen von polnischen Schriftstellern gewählt, und ich kam auf die Idee, dass es auch Schriftsteller sein können, die über Schlesien geschrieben haben und aus Schlesien stammen. Und unser DFK Vorsitzender war damals Gemeinderatsmitglied und hat es durchgeboxt, auch Graf Strachwitz aus Stubendorf ist auf einem Straßenschild verewigt.

 

Herr Ralla, viele aus Ihrer Familie leben in Deutschland, doch Sie sind in Ottmütz geblieben.

Ich bedauere es nicht. Ich war stolz drauf, als mich der Vater zum Nachfolger der Mühle gemacht hat und ich kann meine Familie nicht auf dem Friedhof in Stubendorf liegen lassen und nach Deutschland gehen, ich bin heimattreu.
Sie schreiben auch immer ihre Erinnerungen auf.

2010 hat das angefangen, mittlerweile sind über 100 Themen zur Geschichte von Ottmütz und der ganzen Gegend in der Publikation „Wspomnienia do utrwalenia“ drin. Ich schreibe immer noch etwas dazu, was ich interessant finde. Ich schreibe per Hand, lasse es abtippen und drucken. Die Publikation kann man bei mir oder im DFK Ottmütz erwerben.

 

Herr Ralla, Sie züchten auch Bienen.

Ja, und einige Hühner. Früher hatten wir jahrelang Schafe. Mir war der Honig immer sehr teuer gewesen, und ein Imker sagte mir, dass ich mir doch selbst Bienen anlegen kann, Platz habe ich ja genug. Und so hat das angefangen, bis ich 20 Völker hatte. Als ich in Rente ging, beschloss ich, einen Bienenwanderwagen anzulegen, dass die Bienen keinen weiten Weg haben, um den Blütenstaub zu sammeln. Den Honig verkaufe ich auch, und die Menschen kommen immer wieder, um Honig bei mir zu kaufen, das freut mich.

 

 

Herr Ralla, Sie sind vor kurzem 90 geworden, was ist Ihr Rezept für ein langes Leben?

Ich halte mich an einen Spruch, der bei mir in der Küche auf einer Porzellantafel hängt. Die Tafel habe ich von einen Freund bekommen, der auch über 90 Jahre gelebt hat. „Der beste Arzt ist jederzeit des Menschen eigene Mäßigkeit“. Arbeit sollte man ja auch haben, deswegen die Bienen. Vernunft braucht man auch. Mich halten auch der Glaube und das Bekenntnis zur deutschen Minderheit.

 

 

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