Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Zweisprachige Botschaft aus vergangener Zeit

Landsberg (Gorzów Śląski). Eine Zeitkapsel, die in Oberschlesien gefunden wurde, beweist: Die Region war ein Schmelztiegel der Kulturen. Die Dokumente in deutscher und polnischer Sprache zeugen von einem friedlichen Miteinander beider Völker.

 

 

In den Bibliotheksräumen seiner Pfarrei bewahrt Pfarrer Józef Dziuk einige ganz besondere Schätze auf. Foto: Marie Baumgarten

In den Bibliotheksräumen seiner Pfarrei bewahrt Pfarrer Józef Dziuk seit Kurzem einige ganz besondere Schätze auf: Zeitungen, Dokumente, Fotos – alles aus dem Jahr 1894, dem Entstehungsjahr der katholischen Dreifaltigkeitskirche in der oberschlesischen Kleinstadt, die auf Deutsch Landsberg heißt und auf Polnisch Gorzów Śląski.

 

„Schauen Sie“, sagt der Pfarrer und deutet auf die Gazetten, die er auf dem Tisch ausgebreitet hat. Nach all der Zeit riechen sie überraschenderweise nicht nach Muff und sehen nur ein bisschen gilb aus. Der ‚Katolik‘ ist auf Polnisch, daneben liegt die ‚Kreuzburger Zeitung‘. In deutscher Sprache ist auch die ‚Schlesische Volkszeitung‘. Aktuelle Themen im November vor 124 Jahren: die Beisetzung von Alexander III. in der russischen Botschaft Berlin im Beisein des Kaisers und der Kaiserin, das 50-jährige Geschäftsjubiläum des Gastwirts Friedrich Mahwald aus Kreuzburg und die große Frage, wie man den Mittelstand stärken könnte. Außerdem Werbeanzeigen über Werbeanzeigen: Wo gibt es den besten Kaffee zu kaufen, wer sucht Arbeit, wer bietet welche an. „Man sieht, die Menschen hatten damals die gleichen Probleme wie heute“, stellt Pfarrer Dziuk fest.

 

Dann zeigt er auf ein handschriftliches Dokument in lateinischer Sprache, aus dem man etwas über die Erbauung der Kirche erfährt. Unterschrieben vom Pfarr-Rat. „Hier finden wir interessante Nachnamen“, sagt der Pfarrer und wirkt ein bisschen aufgeregt, als er sie vorliest: „Jung, Glazöl, Stachowski, Wozny. Außerdem: Robotta, der erste Pfarrer und Architekt Skaletz.“ Zwei Porträtfotos zeigen die beiden Männer. Skaletz mit schneidigem Mittelscheitel und gezwirbeltem Schnauzer erinnert an die Männerfiguren in Historienfilmen. Zeitlos dagegen Pfarrer Robotta mit kurz geschorenem Stoppelhaar, Nickelbrille und Kollar.

 

 

Worauf aber Pfarrer Dziuk hinaus will: Für Landsberg waren zwei gleichzeitig angewandte Sprachen charakteristisch. Die Stadt trug damals sogar zwei Namen. Das belegen verschiedene Enzyklopädien, darunter das Geografische Wörterbuch des Königreichs Polen (Słownik geograficzny Królestwa Polskiego), das sowohl die deutsche als auch die polnische Bezeichnung Landsberg und Gorzów Gorzów Śląski aufführte. „Menschen polnischer und deutscher Abstammung lebten hier in Frieden und gegenseitiger Liebe“, sagt der Pfarrer in einer Art, als würde er von der Kanzel predigen.

 

Die Zeitungen, Fotos und Dokumente sind während der Renovierung der Kirche entdeckt worden – die Renovierung wurde nötig, weil der Blitz eingeschlagen hatte. Ganz oben auf der Spitze des Kirchturms, verborgen in einer Metallkugel mit einem Kreuz darauf: eine Botschaft aus der Vergangenheit. Ein Bergungsteam hat das Dach des Gotteshauses bestiegen, mit Bergsteigerausrüstung, so wie Gipfelstürmer es tun, und hat die Zeitkapsel sichergestellt. Dass das gelungen ist, darüber freut sich besonders der Bürgermeister des knapp 2500-Einwohner-Ortes in der Oppelner Woiwodschaft (Województwo Opolskie), Artur Tomala. Als der ausgebildete Bauingenieur von den Renovierungsplänen erfuhr, hatte er bereits eine Vorahnung. „Es war üblich, bei der Fertigstellung wichtiger Bauten, wie die Kirche eine ist, Dokumente aus jener Zeit an einer sicheren Stelle für die Nachwelt zu hinterlassen. Dass sie aber in einem so guten Zustand sein würden, hatte ich nicht erwartet.“ Die Freude war also groß. „Ich wurde ganz rührselig“, schwärmt er. „ Als ich die Papiere in den Händen hielt, war das wie eine Reise in die Vergangenheit.“

 

Auf die Vergangenheit seiner Stadt ist der Bürgermeister Artur Tomala besonders stolz. Foto: Marie Baumgarten

 

Und auf die Vergangenheit seiner Stadt ist der Bürgermeister besonders stolz, denn sie zeigt, wie Multikulturalität funktionieren kann. Gerade für das gegenwärtige Europa, in dem die nationalen Bewegungen wieder erstarken, lohnt ein Blick in Richtung Oberschlesien – bis heute Schmelztiegel der Sprachen und Kulturen, Vorbild für ein Europa der Regionen.

 

In diesem Sinne leitet auch Pfarrer Dziuk seine Gemeinde und heißt hier nicht nur die polnische Mehrheit willkommen, sondern auch die deutsche Bevölkerung, die laut der Volkszählung von 2002 siebzehn Prozent ausmacht, sowie Schlesier, die als solche deklariert mit 2,6 Prozent in Landsberg vertreten sind.

 

Zu den Fundstücken zählen übrigens auch einige alte Münzen und ein Dokument auf Deutsch, das der Pfarrer zur Renovierung gegeben hat. Es war ziemlich zerstört und befand sich in einer zweiten Zeitkapsel aus demselben Jahr, die allerdings aus weniger robustem Material gefertigt war. Übersetzt werden soll es auch – das übernimmt ein Pfarrer aus der Nachbargemeinde, der Deutsch noch aus dem Elternhaus kann.

 

Wenn die Renovierung der Kirche abgeschlossen ist, wollen Pfarrer Dziuk und Bürgermeister Tomala die Zeitkapsel wieder schließen und eine aktuelle beifügen. „Vielleicht werden 150 Jahre vergehen, bis man sie öffnet, oder noch mehr“, sagt der Pfarrer. „Uns wird es dann nicht mehr geben. Aber jemand wird dann so gerührt sein von diesem Relikt aus der Vergangenheit, wie wir es heute sind.“

 

Marie Baumgarten

 

Über dieses Thema berichtet auch “Schlesien Journal”

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