Unmittelbar nach der Machtübergabe an Adolf Hitler 1933 begann in Deutschland ein bis dahin beispielloses Programm zur „Rassenhygiene“. NS-Ideologen verfolgten die Idee, geistig Behinderte und psychisch Kranke propagandistisch zu kriminalisieren und zu entrechten. Spätestens mit Kriegsbeginn 1939 radikalisierte man das Vorhaben, um betreffende Patienten systematisch zu töten. Dem fielen auch 2500 Menschen in Schlesien zum Opfer. Eine zweisprachige Ausstellung schildert ihr Schicksal.
Das Sächsische Verbindungsbüro in Breslau zeigt eine umfassende Schau zum Thema NS-Euthanasie, konzipiert von Historikern der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein bei Dresden. Einer von ihnen ist Gedenkstätten-Leiter Dr. Boris Böhm, dem die Darstellung der Euthanasie-Geschichte besonders am Herzen liegt: „Wir wollen die Ausstellung nicht nur hier in Breslau zeigen, sondern anschließend auch noch in Zgorzelec (Görlitz) und in der Gedenkstätte des früheren KZ Groß-Rosen. Außerdem sind wir noch im Gespräch, die Ausstellung an weitere Orte in Polen zu bringen. Mit den Informationstafeln in deutscher und polnischer Sprache möchten wir uns an ein breites Publikum richten.“
Kaum Protest gegen Massenmord
Pirna-Sonnenstein war eine von sechs psychiatrischen Anstalten im „Dritten Reich“, die ab 1940/41 das NS-Tötungsprogramm „T4“ an Patienten durchführten, zumeist mittels Kohlenmonoxid-Vergiftung. Bis zum Kriegsende 1945 forderten diese und weitere „Euthanasie“-Aktionen mehr als 150.000 Opfer. Vor der Öffentlichkeit wurde versucht, die massenhafte Tötung zu verheimlichen, was nicht immer gelang. Allerdings ist nur wenig Widerstand belegt. Mit Ausnahme einiger evangelischer und katholischer Geistlicher, die das Tötungsprogramm in ihren Predigten anprangerten, gingen Einsprüche von Angehörigen der Opfer und anderen Augenzeugen der Geschehnisse – wenn überhaupt – nur schriftlich an Behörden, wurden dann aber meist ignoriert, denn der Befehl zum Krankenmord kam direkt aus der Kanzlei Adolf Hitlers.
2500 Opfer aus Schlesien
Die Einrichtung Pirna-Sonnenstein war als Anstaltszentrum nicht nur zuständig für Patientinnen und Patienten aus Sachsen, sondern auch aus Nieder- und Oberschlesien. Von dortigen Heilanstalten aus wurden Patienten nach Sachsen gebracht, um sie dort in umfunktionierte Duschräume zu bringen und zu vergasen. Ärzte kontrollierten durch Sichtfenster den etwa zehnminütigen Sterbeprozess. Möglicherweise diente diese schnelle Art der Tötung als direkte Vorlage für die spätere Einrichtung ganz ähnlicher Gaskammern in Vernichtungslagern wie Auschwitz, Majdanek oder Sobibor.
Die Ausstellung ist noch bis zum 18. April 2018 im Sächsischen Verbindungsbüro am Marktplatz in Breslau zu sehen. Bei gewünschter Besichtigung bittet das Verbindungsbüro um eine vorherige Anmeldung der Besucherinnen und Besucher.
Holger Lühmann