Am 20. Juni wird an die Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht. Kurz davor, am 8. Juni, wurde im Ortsteil von Hoyerswerda, Knappenrode, die außerschulische Bildungs- und Begegnungsstätte „Transferraum Heimat“ eingeweiht. Mit von der Partie waren Vertreter der deutschen Minderheit.
Das Areal, auf dem die Begegnungsstätte „Transferraum Heimat“ beheimatet ist, und wo auch der Landesverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) mit seinem Vorsitzenden Frank Hirche seinen Sitz hat, ergänzt das Gelände der riesigen alten Brikettfabrik. Dieses Gelände dokumentiert heute die Geschichte des Lausitzer Reviers und seine Umstrukturierung zum Urlaubsparadies mit zahlreichen Seen. Genau einen Tag vor der Europawahl waren zahlreiche Busse mit Vertriebenengruppen nach Knappenrode angereist. Ehrengast war Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Er ist Görlitzer und seine Großeltern stammen aus dem Kreis Sprotau (Szprotawa).
“Transferraum Heimat” erzählt vom Heimatverlust, Entwurzelung, Enteignung und Neuanfang.
Zum Geschehen waren auch BdV-Präsident Bernd Fabritius und aus Polen Rafał Bartek, Vorsitzender des Verbandes deutscher Gesellschaften sowie Bernard Gaida, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) im Volksgruppenverband „Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten“ (FUEN) angereist.
Familiare Bezüge
Rafał Bartek hat für den Chronstauer Bildungsverein „Wunder“ (Chrząstowickie Stowarzyszenie Edukacyjne „Cud”) 2.000 Euro im Rahmen des Zukunftserbepreises 2024 aus den Händen des Ministerpräsidenten entgegengenommen. In seiner Dankesrede freute er sich über die Auszeichnung „in Sachsen“, obwohl Hoyerswerda-Knappenrode im niederschlesischen Teil des Landes liegt. In der Gegend sieht man viele schlesische Fahnen und die Bewohner betonen oft, in erster Linie Schlesier zu sein. Besonders jene waren von seiner Familiengeschichte, die er erzählte, gerührt. Barteks 85-jährige Mutter frage ihn jedes Mal nach dem Ziel seiner Reisen. Als er die Einladung nach Hoyerswerda erwähnte, „fragte sie, ‘du weißt, was für ein Ort das ist? Dort landete dein Opa 1945, auf seiner Rückreise aus der russischen Gefangenschaft’“, so Bartek. Der Zug, in dem der Großvater saß, habe sogar in Oppeln gehalten, doch ohne Entlassungsschein durfte er diesen nicht verlassen.
Er hatte Hunger und so soll er einen Fremden gebeten haben, die Ehefrau in Chronstau zu benachrichtigen. „Die Mutter meiner Mutter war an dem Tag nicht zu Hause, denn sie war beim Ablass in Dembio (Dębie). Der Mann gab nicht auf, fuhr zum Pfarrer in Dembio und bat ihn, er solle verkünden, dass der Franz, mein Opa, auf dem Oppelner Bahnhof steht, nicht aussteigen kann, aber hungrig ist“, erzählte Frau Bartek ihrem Sohn. Die Geschichte sei gut ausgegangen, so Bartek. Großvater Franz bekam seinen Entlassungsschein in Hoyerswerda und kehrte in die Heimat zurück: „Meine Mutter sagte, er hatte den Entlassungsschein aus Hoyerswerda bis zu seinem Tode immer in seinem Geldbeutel getragen. Deswegen haben wir heute als Erinnerungsstück nur noch die Hälfte dieses Entlassungsschreibens zu Hause“, so der Chronstauer Bartek.
Symbole für Heimat
Dieses Artefakt und seine Geschichte würden ohne Weiteres in die Sammlung des „Transferraums Heimat“ hineinpassen. Dort wird von ehemals deutschen Heimatgebieten wie Schlesien, Böhmen, Pommern und Ostpreußen stellvertretend für viele andere Regionen in Texten, Bildern, durch auf der Flucht mitgenommene Artefakte sowie in Zeitzeugeninterviews erzählt.
Litfaßsäulen – das damals gängige Informationsmedium – berichten über die Weimarer Zeit, den Krieg und den Untergang Nazi-Deutschlands. Fotografien und Texte dokumentieren die Machtergreifung, den Synagogenbrand, den Vernichtungsfeldzug bis hin zum „Totalen Krieg“, der in Flucht und Vertreibung endete. Leiter- und Handwagen, mit denen nur wenig Hab und Gut wochenlang gen Westen transportiert wurde oder ein Eisenbahnwaggon erinnern an den Exodus der Vertriebenen. Auch ein Film über den Untergang der Wilhelm Gustloff mit mehr als 9.000 Toten informiert über das Schicksal der Flüchtlinge. Links neben dem Bildschirm machen das Schiff wie auch auf das letzte erhaltene Beiboot der Gustloff, die Seabreeze, auf sich aufmerksam. Eine Fahrt mit diesem Beiboot sei ein besonderer Clou: „zum Abschluss von Begegnungen können Jugendliche über den aus der Tagebauumstrukturierung geschaffenen Geierswalder See schippern“, verspricht Frank Hirche. Er erläuterte, dass auch Deutsche aus Polen problemlos und gefördert zu Begegnungen nach Knappenrode eingeladen sind. Schwierig stelle sich eher dar, Lehrer aus der Lausitz und anderen Regionen Deutschlands von der Relevanz der ostdeutschen Kulturarbeit zu überzeugen, damit diese mit ihren Klassen zu Projekten nach Knappenrode kommen.
Der Begriff „Transfer“-Raum geht auf den Vorschlag der polnischen Kuratoren Julita Izabela Zaprucka, Museumsdirektorin in Hirschberg (Jelenia Góra) und ihres Ehemannes, Dr. Józef Zaprucki von der Riesengebirgshochschule in Hirschberg zurück. „Wir fanden den Namen passend, er erregt erst einmal Aufmerksamkeit. Heimat ist wichtig, ist etwas, was jeder braucht“, erklärt der Beauftragte für Vertriebene und Spätaussiedler im Freistaat Sachsen, Dr. Jens Baumann. Heimat wechsele und verändere sich, sagt er, „insofern soll es die Veränderung zeigen und dass man auch manchmal einfach ‚geschoben‘ wird und keinen Einfluss darauf hat, wohin man kommt“, so Staatssekretär Baumann.
Flüchtlinge einst und heute
Ins Hier und Jetzt wird der Besucher durch die Themeninsel „Demokratie und Menschenrechte“ versetzt: Auf einer Bank sitzen zwei Frauenpuppen – eine oberschlesische Trachtlerin und neben ihr eine schwarzafrikanische Migrantin mit Säugling. Auf einem Monitor daneben läuft eine Einblendung „Flucht gestern – Flucht heute“. Links davon ein polnischer Vertreibungsbefehl in deutscher Sprache – rechts ein Foto von politischen und/oder Wirtschaftsmigranten im Fluchtboot Marke Eigenbau. Diese Themeninsel rief zum Einweihungsfest bei Besuchern aus Oberschlesien oder seitens der Russlanddeutschen starke Emotionen hervor. In der vermeintlichen Sicherheit, nicht verstanden zu werden, tuschelten sie sich zu: „Unsere Leute haben ihr Baby im Winter 45 im Graben verscharrt und jetzt müssen wir dafür herhalten, Migration auf eine Ebene zu stellen.“ Eine Oberschlesierin ergänzte: „Ohne das gäbe es für uns heute kein Geld mehr.“
Klaudia Kandzia