Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Aus Respekt vor den Menschen

In Groß Strehlitz, in der Nähe der Strafvollzugsanstalt Nr. 1, an der Ecke der Straßen Dworcowa und Powstańców Śląskich, sind Exhumierungen auf dem ehemaligen Gefängnisfriedhof im Gange. Bei den hier begrabenen Personen handelt es sich höchstwahrscheinlich um Häftlinge, die im Gefängnis gestorben sind. Und da sie keine Angehörigen hatten, wurden sie auf diesem Friedhof beerdigt.

 

Lokale Historiker haben der Stiftung Silesia schon vor vielen Jahren von der Existenz des Friedhofs berichtet, sagt Andrzej Latussek, der Vorsitzende der Stiftung. „Vor einem Jahr haben wir uns an die Firma PPO in Groß Strehlitz gewandt, der das Grundstück gehört. Wir haben um die Erlaubnis gebeten, den Friedhof zu exhumieren. Die Vertreter des Unternehmens waren schockiert, weil sie nichts von der Existenz dieses Friedhofs wussten. Sie hatten es von der Gemeinde gekauft und die hatte dem Unternehmen zugesichert, dass das Gebiet sauber sei. Die Überraschung war dementsprechend groß“, sagt Andrzej Latussek und fügt hinzu: „Wir wollten diese Exhumierung vornehmen, weil das Unternehmen plant, in diesem Gebiet künftig eine Halle zu bauen. Dann würden die Überreste dieser Menschen auf einer Mülldeponie landen. Dabei sind es ja Menschen und sie verdienen Respekt.“ Nach Gesprächen mit der Stiftung Silesia stellte PPO einen Bagger zur Verfügung und die Exhumierung wurde von der Stiftung durchgeführt, nachdem diese die Professorin Magdalena Przysiężna-Pizarska und ihre Studenten zur Unterstützung eingeladen hatte. Der Friedhof ist etwa 100 Meter lang und 50 Meter breit:

 

„Wir schätzen, dass einige der Beerdigten unter dem Bürgersteig und unter der Straße liegen. Wir werden sehen, ob wir die Erlaubnis bekommen, den Bürgersteig aufzureißen und die Leichen dort auszugraben”,

 

erklärt der Stiftungsvorsitzende.

 

Eine großartige Gelegenheit für Studenten

 

Studenten aus Oppeln und Breslau nahmen an der Exhumierung teil.
Foto: Manuela Leibig

 

Exhumiert werden die Gebeine von Studierenden des Instituts für Geschichte der Universität Oppeln mit dem Schwerpunkt Geschichte und Gegenwart, kurz HIT40+, von Studierenden der Universität Breslau mit dem Schwerpunkt Humanbiologie sowie von der Fakultät für Recht und Verwaltung der Universität Oppeln. Letztere haben nun die Möglichkeit zu sehen, wie Menschen mit Schädeltrepanation oder anderen Verletzungen aussehen: „Ich denke, dies ist eine große Chance für künftige Juristen und Staatsanwälte, die vielleicht zum ersten und einzigen Mal vor Beginn ihrer Arbeit mit einem solchen Skelett zu tun bekommen“, sagt Professorin Magdalena Przysiężna-Pizarska.

„Unsere Studenten absolvieren hier ihre Praktika. Es ist ein fantastischer Ort, um praktische Fähigkeiten in Bezug auf die archäologische Forschungsmethodik und das Knochensystem des Menschen zu erwerben. Hier haben die Studierenden die Gelegenheit zu sehen, ob Archäologie und Anthropologie zusammenarbeiten können“, sagt Professorin Magdalena Przysiężna-Pizarska und fügt hinzu, dass es das erste Mal ist, dass die Studierenden an der Suche nach einem Grab beteiligt sind: „Das heißt, sie müssen die Beschaffenheit der Bestattungsschicht der Grabhöhle von der der Grabumgebung unterscheiden“, erklärt die Professorin. Die Studierenden lernen das Knochensystem, die Lokalisierung, die Nivellierung, die Skelettreinigungsverfahren und die pathologische Analyse kennen. Lena Sztotkiewicz vom Team Frühmittelalter „Ryś“ ist eine Geschichtsbegeisterte, die nun erstmals an einer Exhumierung teilnimmt: „Wie die Archäologen sagen, ist dies eine Art, die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken. Für mich ist es unglaublich interessant, was wir hier noch alles finden können“, sagt die Studentin der Tourismus- und Freizeitwissenschaften, die aus Leidenschaft an der Exhumierung teilnimmt.

 

Entdeckung der letzten Tage

 

Bei einem der Toten fand sich nicht nur ein Hakenkreuz-Abzeichen, sondern auch eine sog. Hundemarke
Foto: Manuela Leibig

 

Zusätzlich zu den Arbeiten auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofs wurde die Umgebung des Friedhofs ausgegraben, um nach zufälligen Bestattungen aus der Kriegs- oder Nachkriegszeit zu suchen, da auch solche Hinweise bei der Stiftung Silesia eingegangen waren. „Allein auf dem Friedhof stießen wir auf zwei deutsche Soldaten, die sehr tief begraben waren. Einer hatte eine unversehrte Erkennungsmarke des Reichsarbeitsdienstes bei sich, auch nach dieser Person wird noch gesucht. Der Soldat hatte einen Orden der NSDAP, er könnte der Kommandeur einer Einheit des Reichsabwehrdienstes gewesen sein. Es ist nicht bekannt, woher er kam, es gab mehrere Einheiten des Reichsarbeitsdienstes in Groß Strehlitz, vielleicht befehligte er eine. Seine Erkennungsmarke wurde in der Nähe von Münster ausgestellt“, sagt Andrzej Latussek über die Entdeckungen der letzten Tage. Bei den Arbeiten wurde ein slowakischer Helm gefunden, wie er von Tschechen und Slowaken vor und während des Zweiten Weltkriegs getragen wurde. „Die Deutschen beschlagnahmten die Ausrüstung ihrer Gefangenen. Diese erbeuteten Helme und Gewehre wurden in Lagerhäusern untergebracht. Am Ende des Krieges wurden sie für die Ausstattung des Volkssturms oder des Luftschutzes verwendet“, so Andrzej Latussek.

 

Geschichte

 

Zumeist wurden die Toten ohne persönliche Gegenstände beerdigt. Bei manchen fand man dann aber doch einiges.
Foto: Manuela Leibig

 

Das Gefängnis in Groß Strehlitz wurde Ende des 19. Jahrhunderts, um 1885, aus den Kriegsreparationen gebaut, die die Franzosen nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 an Preußen zu zahlen hatten. Damals wurden kommunale Gebäude wie Militäreinrichtungen, Brücken, Schulen, Krankenhäuser und eben Gefängnisse gebaut. Das Gelände des Gefängnisses von Groß Strehlitz war einst sehr groß, sodass das Gefängnis sich selbst versorgen konnte. Die Häftlinge arbeiteten auf den Feldern des Gefängnisses, ernteten und lagerten die Feldfrüchte und wurden auch wahrscheinlich im nahe gelegenen Steinbruch eingesetzt. „Sie wurden nackt begraben, in einem einfachen Sarg, der vermutlich auch auf dem Gefängnisgelände von Häftlingen hergestellt wurde. Einige waren 16 Jahre alt, andere über 60. Einige weisen Verletzungen auf, einen abgetrennten Kopf oder gebrochene Rippen. Aufgrund dieser Verletzungen gehen wir davon aus, dass sie im Steinbruch gearbeitet haben. Nur einem Häftling wurden ein Kreuz und militärische Auszeichnungen aus dem Deutsch-Französischen Krieg und vom Breslauer Kriegsverein in den Sarg gelegt“, erklärt Andrzej Latussek.

 

Nur ein Foto

 

Chef der Stiftung Silesia Andrzej Latusek
Foto: Manuela Leibig

 

Vom Friedhof ist nur eine Fotografie im Schlesischen Bildkalender erhalten. „Aus unseren Ausgrabungen und diesem Foto geht hervor, dass der Friedhof während des Krieges nicht für Bestattungen genutzt wurde, da er während des Krieges nicht größer wurde. Belgier und Niederländer, die während des Krieges dem Widerstand angehörten, waren in diesem Gefängnis inhaftiert, mehrere starben. Bisher sind wir noch nicht auf ihre Überreste gestoßen“, sagt Andrzej Latussek. Die Dokumentation des Friedhofs wurde von einem Pfarrer geführt, der in einem der Gebäude neben dem Gefängnis wohnte, wahrscheinlich dem Gefängniskaplan, vermutet die Stiftung Silesia. „Als die Russen 1945 hierherkamen, haben sie wahrscheinlich diese Dokumente verbrannt, nichts hat überdauert“, berichtet der Stiftungschef und fügt hinzu: „1946 haben die Sicherheitsbehörde, die Bürgermiliz und der Gefängnisdienst das Friedhofsgelände eingeebnet. Schutt von abgebrannten Gebäuden in Groß Strehlitz wurde herbeigeschafft, um das Gelände anzuheben, es wurde mit Erde eingeebnet und ein Spielfeld angelegt.“

Auf dem Friedhof, der rund 50 Jahre lang in Betrieb war, sind wahrscheinlich etwa 50 Menschen begraben. Die Stiftung Silesia beabsichtigt, die sterblichen Überreste auf den städtischen Friedhof in Groß Strehlitz zu überführen und darüber zu informieren, dass sie auf dem ehemaligen Gefängnisfriedhof exhumiert wurden.

Manuela Leibig

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