Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

„Jeder einzelne Satz ist hier problematisch“

Der Streit über die von Warschau geforderten Weltkriegsreparationen belastet das deutsch-polnische Verhältnis weiter. Nun wurde in der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ ein Kommentar zu diesem Thema veröffentlicht, der auf polnischer Seite für Empörung sorgte – und sogar den Vizeaußenminister zu einer Reaktion veranlasste.

Zu Beginn des Jahres wies die Bundesregierung die von Warschau erhobenen Reparationsforderungen in Billionenhöhe für die von Deutschen während des Zweiten Weltkrieges in Polen verübten Verbrechen und angerichteten Schäden formal zurück. „Nach Angaben der Bundesregierung ist die Frage der Reparationen und der Kriegsentschädigungen nach wie vor abgeschlossen, und die Bundesregierung beabsichtigt nicht, in Verhandlungen über diese Frage einzutreten“, fasste das polnische Außenministerium den Kern der diplomatischen Note zusammen, die es am 3. Januar vom Auswärtigen Amt in Berlin erhalten hatte.

„Selbstdefinition durch Feindmarkierung“

Zwar dürfte die polnische Regierung die Absage an ihre Forderungen erwartet haben; ohne Weiteres akzeptieren wird sie diese aber nicht – schon gar nicht im Angesicht des aufziehenden Parlamentswahlkampfs. Dass dieses Problemfeld die deutsch-polnischen Beziehungen weiter belasten wird, zeigen auch die teils empörten Reaktionen auf einen Kommentar zu diesem Thema in der deutschen Tageszeitung „Die Welt“.

Jacques Schuster, der Chefkommentator des bürgerlich-konservativen Blatts, warf der polnischen Regierung darin vor, die Geschichte zu instrumentalisieren und sie für ihren eigenen Machterhalt zu missbrauchen. Nach dem Motto „Selbstdefinition durch Feindmarkierung“ sei die PiS auf die „Verzerrung ihres Nachbarn zum machthungrigen Möchtegern-Herrn Europas angewiesen, um mit dem feurigen Fusel antideutscher Propaganda das eigene Volk zu berauschen.“ Die PiS brauche „das Bild des hässlichen Deutschen, der Slawen für Sklaven hält, um das eigene schwachbeinige Selbst aufrechtzuerhalten“, so Schuster weiter.

Für Verärgerung im politischen Warschau sorgte aber vor allem die folgende Aussage des deutschen Journalisten: „An einer wirklichen Zusammenarbeit, an einer gemeinsamen, um Wahrhaftigkeit bemühten Aufarbeitung der Geschichte, zu der die deutschen Großverbrechen genauso gehören wie die Frage, aus welchem Grund die Polen die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Getto durch die Deutschen 1943 in weiten Teilen nur beobachteten, den Juden aber kaum halfen – an all diesen Fragen und Selbstbefragungen ist die derzeitige Warschauer Regierung nicht interessiert.“

Aussage ruft scharfe Reaktionen hervor

Die Polen haben dem Leiden und der Vernichtung der Juden nur passiv zugesehen – diese kontroverse Aussage rief in Polen teils scharfe Reaktionen hervor. So sagte Vizeaußenminister Paweł Jabłoński in einem kurzen Clip auf dem Videoportal TikTok: „Lieber Herr Schuster, wissen Sie, warum wir Entschädigungen von Deutschland fordern? Ich werde es Ihnen sagen: Während des Krieges haben Ihre Landsleute fast sechs Millionen meiner Landsleute umgebracht. Sie haben ein ganzes Land geplündert, sie haben ganz Polen und seine Kultur zerstört – und Deutschland hat nie dafür bezahlt.“ Er wolle Schuster zu einer Bildungsreise nach Polen einladen, wo dieser etwas über die Taten seiner Vorfahren lernen könne. „Sie werden erfahren, was ‚Żegota‘ war und wer Irena Sendler war, die Tausende jüdische Kinder gerettet hat. Um über Geschichte sprechen zu können, muss man die grundlegenden Fakten kennen“, fügte Jabłoński hinzu.

Paweł Jabłoński auf dem Videoportal TikTok
Foto: TikTok / Screenshot

Die Berliner Vertretung des Pilecki-Instituts bezog ebenfalls Stellung zu dem Meinungsbeitrag von Jacques Schuster. Dieser bemühe in seinem Text das Bild „des kenntnis- und ahnungslosen Deutschen, wenn es um Ost- und Mitteleuropa geht“, ist in einer längeren Replik der Einrichtung auf Facebook zu lesen. In Anbetracht der Fülle an Beispielen von Polen, die unter Einsatz ihres Lebens den verfolgten Juden und speziell auch den Aufständischen des Warschauer Gettos unter schwierigsten Bedingungen Hilfe leisteten, schockiere das „genauso wie“ in Schusters Artikel umso mehr. Jeder einzelne Satz in seiner Aussage sei problematisch.

Patryk Szostak, der Pressesprecher des Pilecki-Instituts in Berlin, äußerte sich zudem in einem Interview mit Polskie Radio zu Schusters Worten. Er kritisierte dabei auch die aus seiner Sicht unzureichende Erinnerungskultur in Deutschland in Bezug auf die deutsche Besatzung Polens während des Zweiten Weltkrieges.

Unabhängig von diesen Entgegnungen erneuerte kürzlich auch Premierminister Mateusz Morawiecki die Reparationsforderungen Polens. In einem Gastbeitrag in der Onlineausgabe des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ schrieb er: „Die Deutschen haben – aus unserer Sicht – weder für die Zerstörungen auf polnischem Boden noch für die historisch beispiellose Plünderung ihres Nachbarlandes Entschädigungen gezahlt.“ Deutschland müsse daher „endlich die politische, historische, rechtliche und finanzielle Verantwortung für alle Folgen des Überfalls auf unser Land übernehmen.“

Es steht also zu befürchten, dass sich die zum Teil erregt geführte Debatte um die Weltkriegsreparationen in Zukunft noch weiter zuspitzen wird.

Lucas Netter

Titelfoto: Das 1944 von den Deutschen zerstörte Sächsische Palais in Warschau (Foto: Jan Bułhak / wikimedia.org)

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