Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Menschen, Krieg und Bauwerke

Vor einem Jahr, am 24. Februar 2022, hat Putins Russland die Ukraine angegriffen und überzieht sie seither mit Krieg. Einen sehr persönlichen Rückblick auf das vergangene Jahr brachte in seinem Vortrag „Menschen, Krieg und Bauwerke“ am 5. Februar im Mendelsohn-Haus bei der Kulturgemeinschaft „Borussia“ in Allenstein der Kiewer Journalist Dmytro Antoniuk seinen Zuhörern nahe. Mit dem Erlös aus dem Verkauf seiner Bücher und Kalender unterstützt er die Ukraine im Kampf gegen Russland.

Ein überraschendes erstes Foto startete den Vortrag von Dmytro Antoniuk unter der Kuppel des Mendelsohn-Hauses in Allenstein, zu dem ihn die Kulturgemeinschaft „Borussia“ eingeladen hatte. Es zeigt einen jungen Hund in den Händen eines Kindes in Kiew und ist datiert auf den 23. Februar 2022. „Wir kamen gerade in die Stadt zurück, als meine Tochter die Tiere in einem Karton entdeckte und natürlich eins davon haben wollte“, erzählte Dmytro Antoniuk vom letzten Tag des Friedens in der Ukraine.

Dokumentation des Krieges

Tags darauf begann der russische Angriff; vor allem in Kiew schlugen Raketen ein, in anderen Teilen der Ukraine rückten russische Truppen ein. Aus dem Journalisten, Reiseleiter und am ukrainisch-polnischen kulturellen Erbe interessierten Dmytro Antoniuk wurde ein Berichterstatter, der die Kriegsschäden an Menschen und Bauten überall im Land dokumentiert. Etwa Beschädigungen an einem Hochhaus in Kiew zu Beginn des Krieges, die eine Reparatur unwahrscheinlich erscheinen ließen. „Das Haus steht noch und ist wieder intakt“, berichtet Antoniuk stolz von dem Wiederaufbau. Viele der gezeigten Gebäude aus jenem Zeitraum hätten, so Antoniuk, wieder Gestalt angenommen.

Kiew, Cherson, Charkiw, Saporischschja, Lwiw (Lemberg) – Dmytro Antoniuk ist im Laufe des vergangenen Jahres viel herumgekommen. Ruinenfelder, Bagger, neues Leben, Brachland ohne Chance in frontnahen Gebieten, ein trauriger Blick über den ehemals lebendigen, früher zweitgrößten Platz der Sowjetunion in Charkiw. Ein anderes Foto zeigt auf den ersten Blick vor allem gut erhaltene Bausubstanz, bis die Stapel von hellgrauen Leichensäcken im Vordergrund des Bildes klar machen, wie viele Menschen dort ihr Leben lassen mussten.

Dmytro Antoniuk während seines Vortrags bei der Kulturgemeinschaft ,,Borussia” in Allenstein Foto: Uwe Hahnkamp

Dokumentation der Vergangenheit

Der Vortrag ist vor allem ergreifend durch die tagtägliche Seite des Krieges und durch den ständigen Wechsel zwischen umkämpften, bedrohten und friedlichen, historisch bedeutsamen Gegenden, in denen Dmytro Antoniuk seiner Arbeit nachgeht. Denn eigentlich ist Antoniuk Fachmann für polnische Burgen und Residenzen in der Ukraine, für römisch-katholische Klöster und für Spuren des polnisch-bolschewistischen Krieges 1920 im Gebiet Lemberg und Stanislau (Iwano-Frankiwsk), also an der Grenze zu Polen. Darüber hat er Bücher geschrieben und auch einen aktuellen Kalender mitgebracht.

Das ist die andere Seite der Ukraine, die gerade jetzt zur selben Zeit wie der Krieg existiert. Es sind Bilder eines früheren jüdischen Friedhofs, eines künstlichen Wasserfalls im Park eines polnischen Guts, der Ruine einer ehemaligen Grenzburg, eines Denkmals für Polen in der Ukraine, die Dmytro Antoniuk ebenfalls in diesem Jahr gemacht hat. „Das gemeinsame kulturelle Erbe reicht bis ins 16./17. Jahrhundert zurück“, so der Journalist. „Leider werden viele der Bauwerke vernachlässigt.“ Zerstört sind sie aber trotz mehrerer großer Kriege bis heute nicht; es gehen jedoch auch welche verloren, wie er berichtet: „In Saporischschja fiel gerade eine historische römisch-katholische Kirche den Angriffen zum Opfer.“

Zeichen der Hoffnung?

Es sind diese anderen Bilder, die in den Zuhörern die Hoffnung wecken, dass von der Ukraine mehr bleibt als die Trümmerhaufen der großen Städte im Osten des Landes. Auf Frieden hofft Dmytro Antoniuk, denn er würde gern auch noch das deutsche kulturelle Erbe in der Ukraine dokumentieren. Doch diesen großen Plan muss er derzeit aufschieben, denn nach Warschau und Allenstein geht es nach Deutschland, wo er in Frankfurt geflohene Freunde besuchen und mit Vorträgen sowie dem Verkauf seiner Bücher und Kalender Geld für den Kampf der Ukraine gegen Russland sammeln wird.

Denn obwohl in Kiew nach seiner Schilderung das Leben wieder aufblüht, Cafés und Restaurants öffnen, die Menschen Theater, Kinos und Museen besuchen – es ist immer noch Krieg, die russischen Raketen drohen weiterhin. „Manchmal war und ist so häufig Alarm, dass man es gar nicht in den Keller schafft. Also schlafen viele Menschen nach der Regel der zwei Wände: wo diese zusammenstoßen, ist das Gebäude am stabilsten, da liegt man am sichersten“, schildert Dmytro Antoniuk zu Bildern aus seiner Wohnung. Ein kalkuliertes Risiko im Alltag, die trotzige Reaktion von Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen wollen.

Uwe Hahnkamp

Show More