Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Minderheitenpolitik ist Friedenspolitik

Wir sprechen mit Natalie Pawlik, der Bundesbeauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, über ihre Herkunft, die Aufgaben in ihrem Amt sowie die Situation der Deutschen in Polen und der Ukraine.


Sie selbst stammen aus einer russlanddeutschen Familie. Wie sehr hat Sie diese Herkunft geprägt?

Meine persönliche Biografie hat mich stark geprägt. Bis zu meinem sechsten Lebensjahr lebte ich mit meiner Familie als Deutsche aus Russland in Sibirien. Im Jahr 1999 sind wir als sogenannte Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Ich kenne die Geschichte von Aussiedlern, auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen, die sich nach der Aussiedlung in ein neues Land ergeben: sprachliche Hürden, ein neues gesellschaftliches System mit eigenen Regeln, Wohnungs- und Jobsuche, ein unterschiedliches Bildungssystem.
Eine Erfahrung, die mich stark geprägt hat, ist das Aufwachsen in und mit zwei Kulturen und in zwei Gesellschaftsformen. Dies ist eine Erfahrung, die einen großen Beitrag zu gegenseitigem Verständnis und Freundschaft zwischen zwei Bevölkerungen leisten kann. Es ist eine Erfahrung, die nicht nur Aussiedlerinnen und Aussiedler machen und gemacht haben, sondern die sich auch mit den Erfahrungen der Minderheiten in Deutschland und der deutschen Minderheiten im Ausland deckt. Wer sich in zwei Kulturen zuhause fühlt und die Herausforderungen versteht, kann einen entscheidenden Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben leisten.
Diese Erfahrungen fließen in mein Amt als Bundesbeauftragte mit ein und bereichern meine Zusammenarbeit mit den nationalen Minderheiten und den Aussiedlerinnen und Aussiedlern.

Natalie Pawlik
Foto: Henning Schacht

Was sind Ihre Schwerpunkte in der Arbeit als Bundesbeauftragte? Welche Rolle spielen, Ihrer Meinung nach, die deutschen Minderheiten für Deutschland?

Mir persönlich liegen die Sichtbarkeit und gesellschaftliche Teilhabe von Minderheiten, die Jugendarbeit und der Kampf gegen Desinformation auch in diesem Bereich sehr am Herzen.
Ich werde mich auf nationaler wie internationaler Ebene für die Anliegen der nationalen Minderheiten einsetzen. Es ist mir wichtig, möglichst rasch mit den Minderheitenvertretern in den Siedlungsgebieten in Kontakt zu kommen, auch weil die persönlichen Kontakte und Gespräche infolge der Begegnungsbeschränkungen durch die Corona-Pandemie zuletzt stark gelitten haben.
Im aussiedlerpolitischen Bereich lege ich großen Wert sowohl auf die krisensichere Spätaussiedleraufnahme als auch auf die Chancengerechtigkeit gegenüber Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern – ihre Beheimatung und Integration, die vor allem mit gesellschaftlicher Teilhabe und Partizipation einhergehen sollen. Ihre Brückenbaufunktion zwischen alter und neuer Heimat schätze ich sehr.
Die deutschen Minderheiten sind ein bedeutsamer Ansprechpartner für viele Verantwortliche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Durch eine selbstbewusste und engagierte Interessenwahrnehmung sind sie allseits anerkannt und erleichtern und vertiefen so vielfältige persönliche und institutionalisierte Kontakte. Dabei rückt nun verstärkt ins öffentliche Bewusstsein, dass Minderheitenpolitik im Kern auch Friedenspolitik ist. Seit dem Krieg in der Ukraine ist diese Botschaft aktueller denn je.

In Polen sieht sich die deutsche Minderheit derzeit stark aktiv diskriminiert durch die Kürzung des Deutschunterrichts als Minderheitensprache. Schritte in Richtung einer Lösung des Problems kommen vonseiten der polnischen Regierung nicht wirklich, denn sie beharrt darauf, dass Deutschland zunächst beim Polnischunterricht nachbessern müsse. Wie stehen Sie zu den polnischen Forderungen und wie unterstützen Sie die deutsche Minderheit?

Die vom polnischen Staat vorgesehene Kürzung der Mittel für den Unterricht von Deutsch als Minderheitensprache und die Reduzierung der Unterrichtsstunden von drei auf eine Stunde sehe ich mit großer Sorge. Die Förderung der Minderheitensprache ist ein substanzielles Element für die ethnokulturelle Identität.
Die von der polnischen Regierung behaupteten Defizite bei der Bereitstellung von Lernangeboten zum herkunftssprachlichen Polnischunterricht kann ich nicht bestätigen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat zuletzt im Jahr 2020 eine Abfrage unter den Ländern zur Situation des Polnischunterrichts in Deutschland durchgeführt. Der aktualisierte Bericht zur Situation des Polnischunterrichts in Deutschland von 2020 ist auf der Internetseite der Kultusministerkonferenz veröffentlicht. Die Abfrage ergab unter anderem, dass die Zahl der Polnisch lernenden Schülerinnen und Schüler im Querschnitt der Bundesländer seit der letzten Länderabfrage im Jahr 2016 gestiegen ist. In mehreren Bundesländern besteht zudem die Möglichkeit, die polnische Herkunftssprache als Pflichtfremdsprache im Rahmen des Erwerbs des allgemeinen Schulabschlusses zu belegen oder anerkannt zu bekommen, etwa bei Schülerinnen und Schülern, die neu aus Polen zugewandert sind.
Die Länder nehmen damit besondere Rücksicht auf die Situation von Schülerinnen und Schülern mit Polnisch als Herkunftssprache. Eine ergänzende Abfrage der KMK bei den Ländern ergab, dass das derzeitige Angebot an schulischem herkunftssprachlichem Polnischunterricht im Wesentlichen bedarfsgerecht ist und eine zusätzliche Nachfrage grundsätzlich nicht besteht.
Der polnische Staat hat sich in der Vergangenheit zu seiner deutschen Minderheit bekannt. Dies ist in verschiedenen Normen – in der eigenen Gesetzeslage, im Nachbarschaftsvertrag mit der Bundesrepublik Deutschland und der darauffolgenden gemeinsamen Erklärung sowie in EU-Vereinbarungen niedergelegt. Es kommt nun aber entscheidend darauf an, dass der Geist dieser Regelungswerke auch gelebt wird. Gemeinsam mit der Fachabteilung aus dem Bundesministerium des Inneren und für Heimat arbeiten wir derzeit an einer Lösung im Interesse der deutschen Minderheit in Polen.

Wann kann man Sie beim ersten Besuch der deutschen Minderheit in Polen erwarten?

In meinem Amt als Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten möchte ich Ansprechpartnerin für sämtliche Minderheitenbelange sein. Ein persönliches Gespräch und die dabei vermittelten Eindrücke sind für mich von unschätzbarem Wert: Sei es bei Kaffee und Kuchen in einem Begegnungszentrum oder bei hochrangigen politischen Gesprächen. Deshalb werde ich so rasch wie möglich den persönlichen Kontakt suchen und auch die deutsche Minderheit in Polen besuchen.

Lassen Sie uns zum Schluss noch über die aktuelle Lage in der Ukraine sprechen. Dort lebt ja auch eine deutsche Minderheit. Wie wird sie unterstützt und gibt es evtl. erste Pläne für eine besondere Unterstützung nach dem Ende des Krieges?

Der völkerrechtswidrige und menschenverachtende Angriffskrieg Russlands ist zutiefst erschütternd. Die Bilder und Nachrichten, die uns jeden Tag aus der Ukraine erreichen, machen mich fassungslos. Von diesem Krieg ist leider auch die deutsche Minderheit betroffen, denn wichtige Siedlungsschwerpunkte befinden sich im umkämpften Osten und Süden des Landes. Einige Angehörige der deutschen Minderheit haben deswegen die Ukraine verlassen. Die überwiegende Zahl der Angehörigen der deutschen Minderheit ist jedoch im Land geblieben.
Die Bundesregierung fördert die deutsche Minderheit vor Ort bereits seit längerem. Erfolgreiche Projekte, etwa in der Spracharbeit, können derzeit nur teilweise, vor allem online, umgesetzt werden. Dafür liegt der Schwerpunkt unseres Förderprogramms nun in der Bereitstellung von dringend notwendigen finanziellen und humanitären Hilfen.
Nach Ende der Kampfhandlungen muss es eine gründliche Bestandsaufnahme über den Zustand der deutschen Minderheit und ihrer Strukturen vor Ort geben. Erst dann kann geprüft werden, welche Unterstützungsmaßnahmen seitens der Bundesregierung notwendig und sinnvoll sind. Ich persönlich stehe im regelmäßigen Austausch mit dem Vorsitzenden des Rats der Deutschen in der Ukraine, damit wir die aktuelle Lage stets im Blick haben und bedarfsgerecht unterstützen können.

Das Gespräch führte Rudolf Urban

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