Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Nicht erst seit 30 Jahren

Die Deutsche Sozial-Kulturelle Gesellschaft in Liegnitz feierte ihr 30-jähriges Bestehen. Es war nicht nur Zeit für gemeinsame Gespräche, sondern auch für Erinnerungen, denn die organisierte deutsche Minderheit in Liegnitz gibt es nicht erst seit 30 Jahren.

 

Mitglieder und Freunde aus Organisationen der deutschen Minderheit in Niederschlesien sowie anderen nationalen Minderheiten in Liegnitz, Vertreter aus Politik und Gesellschaft kamen am Samstag im Hotel Gwarna zusammen, um das 30. Jubiläum der Gesellschaft der Deutschen zu feiern. Unter den ca. 50 Gästen waren u.a. der VdG-Vorsitzende Bernard Gaida, der Liegnitzer stellvertretende Stadtpräsident Krzysztof Duszkiewicz sowie die deutsche Konsulin in Oppeln, Birgit Fisel-Rösle. „Ich bin beeindruckt, auf welch‘ langjährige Geschichte die Deutsche Sozial-Kulturelle Gesellschaft in Liegnitz zurückblicken kann. Zwar wurde am Samstag das 30-jährige Jubiläum der DSKG Liegnitz gefeiert, doch tatsächlich fanden erste Aktivitäten zur Pflege der deutschen Sprache und Kultur bereits Ende der 50er Jahre statt. Ich freue mich, dass sich das Bedürfnis der Bewahrung von deutscher Tradition und Kultur bis heute erhalten hat. Es ist zugleich ein wunderbares Beispiel, wie wichtig ein Engagement in den Strukturen der Deutschen Minderheit ist und macht deutlich, wie wichtig die Arbeit der Deutschen Minderheit in Polen ist“, sagt die Konsulin.

An der Jubiäumsveranstaltung nahmen rund 50 Personen teil.
Foto: VdG

Nachkriegszeit
Die Veranstaltung bot dann auch Raum zur Präsentation der langen Geschichte der Deutschen in Liegnitz nach 1945. Dr. Andrzej Szczepański von der Liegnitzer Berufshochschule sprach über die Deutsche Sozial-Kulturelle Gesellschaft in den Jahren von 1956 bis 1989 und dabei vor allem über den Deutschunterricht für die Minderheit. Hedwig Hübner (geb. 1890) war damals federführend bei der Organisierung des Deutschunterrichts in der Stadt und den umliegenden Dörfern und war bis 1970 aktiv als Lehrerin tätig. Auch in der DSKG Liegnitz war sie nicht nur aktives Mitglied, sondern Vorsitzende, und zwar von 1958 bis zu ihrem Tod im Jahr 1985.

Wie viele andere Deutsche in Niederschlesien hätte sie zwar nach den ersten Nachkriegsjahren Polen verlassen können. Ihre Tochter wohnte bereits in Deutschland, sie entschied sich jedoch für ein Leben in ihrer Heimat. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Liegnitzer Friedhof, ihr Grab wird bis heute vom deutschen Verein „Niederschlesische Heimat“ und der DSKG gepflegt.

 

Neuanfang
Die DSKG in Liegnitz nach dem politischen Umbruch wäre dann aber ohne eine andere Persönlichkeit nicht möglich gewesen – Jürgen Gretschel. Ebenfalls in Liegnitz im Jahr 1941 geboren war er derjenige, der die Gesellschaft der Deutschen im Jahr 1991 wieder aufleben ließ und sie bis zu seinem Tod im Jahr 2016 geleitet hat.

Obwohl er noch zu klein war, um die Schrecken des Zweiten Weltkriegs zu verstehen, zeichnete ihn diese Zeit ein Leben lang schwer. Im Krieg verlor Gretschel beide Eltern, erzogen wurde er von den Großeltern, die, anstatt aus Schlesien mit der Welle der Flüchtlinge zu fliehen, sich entschieden hatten, in ihrer Heimat zu blieben. Im Kommunismus stand Jürgen Gretschel immer zu seiner deutschen Herkunft. Während andere ihre deutsche Identität oft aus Angst versteckten, sagte Gretschel immer wieder, dass er „nie ein Geheimnis daraus gemacht habe, dass er ein Helmut sei“. Zunächst war er in der Volksrepublik Polen ein sog. „Staatenloser deutschen Nationalität“, später bekam er die polnische Staatsbürgerschaft.

Die DSKG und die Pflege der deutschen Kultur seiner Heimat, auch der kulinarischen, waren für ihn dabei ebenso wichtig wie die gute Zusammenarbeit mit den polnischen Bewohnern von Liegnitz. Kein Wunder also, dass im Jahr 2018 die Stadt Liegnitz einen nach ihm benannten Preis ins Leben gerufen hatte, der an Personen und Institutionen vergeben wird, die sich für Toleranz, kulturelle Vielfalt sowie Kultur und Geschichte Niederschlesiens und der Stadt Liegnitz engagieren.

 

Es war auch eiine Gelegenheit zu intensiven Gesprächen.
Foto: VdG

DSKG heute
Jürgen Gretschel war es auch, der dem Sing- und Tanzensemble „Legnica“ seinerzeit niederschlesische Trachten sowie Tanzanleitungen und Noten übergeben hatte, damit die Gruppe, die beim Kulturzentrum der Stadt tätig ist, auch das deutsche Kulturgut der Region weiterpflegt. So war es nur natürlich, dass das Ensemble bei den Jubiläumsfeierlichkeiten auftrat und damit Gretschels Engagement für die deutsch-polnische Zusammenarbeit in der Stadt veranschaulichte.

Die DSKG schaute bei ihrem Jubiläum aber nicht nur auf die vergangenen Jahre, sondern auch in die Zukunft. Damian Stefaniak, Enkel Jürgen Gretschels und bis Mitte dieses Jahres Vorsitzender der Liegnitzer Deutschen, schaut mit Optimismus auf die Tätigkeit der DSKG. „Nach der schwierigen Corona-Zeit sehen wir einen deutlichen Aufwärtstrend. Wir können uns über einige neue Mitglieder und höhere Aktivität freuen, sodass ich zwar keine rosarote Brille anziehe, aber trotzdem positiv in die Zukunft unserer Gesellschaft blicke“, sagt Stefaniak.

Sein Nachfolger wurde Dariusz Knitter. Auch er blickt positiv in die Zukunft und hat ein besonderes Anliegen – die Jugend. Die DSKG wolle sich für junge Menschen, nicht nur aus der unmittelbaren Umgebung der Minderheit, öffnen, ihnen so die Sprache und Kultur näherbringen und damit gewiss auch die Nachwuchssorgen mindern. „Zum einen planen wir ab dem nächsten Jahr mit einem Jugendwanderklub zu starten. Die jungen Menschen sollen ihre Heimatregion besser kennenlernen, und zwar persönlich. Das bringt immer mehr, als nur über Geschichte und Kultur zu sprechen. Zum anderen wollen wir Jugendlichen auch beim Deutschlernen helfen. In unserer Begegnungsstätte sollen sie aber nicht nur reine Sprachkurse belegen, wir wollen ihnen u.a. auch die deutsche Literatur näherbringen. Dieses Angebot spricht bestimmt vor allem die an, die Deutsch im Abitur belegen wollen“, erzählt Dariusz Knitter. Das sei aber noch nicht alles. Gerhart Hauptmann und sein literarisches Schaffen werden ab dem kommenden Jahr im Mittelpunkt eines literarischen Wettbewerbs stehen. „Im April soll der Wettbewerb stattfinden, wir sind schon mitten in den Planungen und denken, dass wir den bedeutenden Nobelpreisträger aus Niederschlesien dadurch hier bekannter machen können“, sagt Dariusz Knitter.

Die Zeichen für weitere 30 Jahre der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in Liegnitz stehen also gar nicht so schlecht.

Rudolf Urban

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