Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Schlesische Museum“ in Kattowitz: Museum, IKEA oder Ponderosa-Ranch?

Am letzten Juniwochenende wurde in Kattowitz (Katowice) das prestigeträchtige „Schlesische Museum“ (Muzeum Śląskie) mit einem dreitägigen Festival eröffnet. In der Presse wurde kritisiert, zerrissen und gelobt. Wochenblatt-Mitarbeiter Johannes Rasim verschafft sich einen persönlichen Eindruck vor Ort. Ein Rundgang:

 

Johannes Rasim

 

Am Gelände der 80-Millionen-Euro-Anlage angekommen, steuere ich zunächst den schon von Weitem sichtbaren Schachtturm, ein Überbleibsel der stillgelegten „Kopalnia Katowice“ (ehemals Ferdinandgrube), an. Von zwei hilfsbereiten Sicherheitskräften wird mir erklärt, dass der Turm nicht mehr als Schacht und Einlass ins Museum, sondern nur als Aussichtsturm diene und sich der Haupteingang zur Ausstellung „Das Licht der Geschichte“ unter einem der verglasten Würfel befände. Ich steure natürlich den falschen an, aber zwei nette Mitarbeiter erklären mir geduldig den Weg und verweisen auf die Infoblätter in Polnisch, Deutsch und Englisch – alle drei tragen den polnischen Titel „Muzeum Śląskie“. Vor mir eröffnet sich nun ein riesiger, lichtdurchfluteter Eingangsbereich. Nach dem Passieren der Sicherheitsschleusen erwartet mich zunächst die Ausstellung „Galerie der polnischen Kunst von 1800-1945“, die ich aber links liegen lasse. Der weitere Zugang zur Kernausstellung verläuft über lange, stufenlose schräge Ebenen. Wünschenswert wäre, so denke ich mir, diesen Zugang in Form eines Stollens umzubauen – wie im Deutschen Bergbau-Museum Bochum. Eben um den Eindruck eines Bergwerks zu vermitteln.

 

Umständlich Begleittexte

 

Im letzten Viertel des sterilen Betongangs erkenne ich eine Infotafel über die „Schlesische Mundart“. Haben Hauptmanns „Weber“ also die Ehre, am Anfang der Schlesienausstellung zu stehen? Doch zunächst – unten angekommen – stoße ich auf die Ausstellung „Zentrum der Polnischen Bühne“ mit einigen Modellen antiker griechischer und mittelalterlicher Theater. Eine Anspielung für günstige Immobilienkäufe anno 2015?
Aber zur „Schlesischen Mundart“: Es ist ein viel zu langer umständlicher Text, der eigentlich Schlonsakisch und nicht „Schlesisch“ behandelt. Neben sachlichen Fehlern, finden wir im Text auch „Wissenswertes“: „Das Schlesische wird sowohl von Älteren als auch von Jüngeren gesprochen.“

 

Schlesische Literaten bleiben unerwähnt

 

Durch eine Multimediaschau am Eingang wird versucht, das Untertageambiente einer stillgelegten Grube nachzuahmen, bevor es weiter zu einer fragwürdigen Attrappe der Teschener (Cieszyn) Rotunde geht. Nebenan finden wir Regale mit Bücherattrappen – vor ihnen Multimediabücher, die versuchen, auf 17 Seiten die Geschichte Schlesiens zusammenzufassen. Darin finden wir Namen und Darstellungen, die sich fern wissenschaftlicher Genauigkeit bewegen: „der tschechische Herrscher Wenzel II.“ (richtig: „böhmische“), der „Breslauer Chronist Bartlomiej Stein“ (Bartholomäus Stein) usw. Der Übersetzer machte sich scheinbar nicht einmal Mühe, Bildunterschriften zu vergleichen: Links ein Bild von „Johann von Luxemburg, König von Böhmen“ – rechts die Überschrift „Der Übergang Schlesiens unter die tschechische Oberherrschaft.“ Hinzu kommen stilistische Fehler und grobe Vereinfachungen, die einen mittelalterlichen polnischen Nationalstaat auf dem Gebiet Schlesiens suggerieren. Kurios wird es im Kulturbereich: „Ab dem Mittelalter entwickelte sich in Schlesien eine hohe Kultur. Es entstanden historiografische Werke wie z.B. das Gründungsbuch des Klosters Heinrichau, in dem der erste Satz in polnischer Sprache festgehalten wurde, die Chronik der Fürsten Polens, das Poem Officina ferraria von Walenty Roździeński, welches den damaligen Bergbau und die Hüttenindustrie beschrieb.“ Schlesien, das sonst als das „Land der 666 Schriftsteller“ bekannt ist, wird in der gesamten Schlesienausstellung am Beispiel von Roździeński dargestellt. Schlesische Weltliteratur eines Gerhart Hauptmann oder eines Eichendorffs bleiben hingegen unerwähnt.

 

Wildes Durcheinander

 

Die vielfach kritisierte Darstellung des Schlesischen Berghauptmannes Grafen von Reden ist nur ein Teil eines skurril wirkenden Raumes mit einer Miniaturdarstellung der ersten Dampfmaschine in der Tarnowitzer Grube (Tarnowskie Góry). In einer Filmanimation, bei der eine Gruppe Adeliger, die für ein Bild zu posieren scheinen, wirken die Darsteller gelangweilt. Die Kattowitzer Antwort auf die erfolgreiche Ausstellung „Adel in Schlesien“?
Im nächsten Raum gibt es verwirrende Beschriftungen: „Finanzberichte von Karl Godulla für Carl von Ballestrem, seinem Arbeitgeber und späteren Geschäftspartner, aus dem Jahre 1826“ heißt es hier – doch die Originale hinter Glas tragen die Unterschrift: „C Godulla Gleiwitz d. 7. July 1829“. Auf der nächsten Infotafel, einen Meter weiter, ist wiederum von einem „Karol Godulla“ die Rede.

 

Sammelsurium an Kopien und Attrappen

 

Im Bereich „Kult der Heiligen“ (Geistlichkeit bis 1939) tauchen Kuriositäten auf, die an Pietätlosigkeit grenzen. Die Heilige Hedwig, die wichtigste Schutzpatronin Schlesiens, wird bei der Auflistung der wichtigsten Heiligen Schlesiens erst an sechster Stelle genannt, gleich hinter dem „hl. Jan Nepomuc“ (natürlich: Johannes Nepomuk) und sie verliert obendrein ihren Heiligenstatus: „Hedwig“ wäre die „Lieblingsheilige der hiesigen Frauen“.
Insgesamt finden sich für die Zeit bis 1945 Exponate in unterrepräsentierter Anzahl, dafür aber ein riesiges Sammelsurium an Kopien und Attrappen. Das ändert sich schlagartig beim Betreten der Räumlichkeiten der kommunistischen Zeit. Diese 44 Jahre werden ausführlich in allen Facetten dargestellt – ein überzeugendes Ambiente der VRP (Volksrepublik) kann jedoch nicht erzeugt werden.

 

Ist der Name ein Etikettenschwindel?

 

Ist der Name „Schlesisches Museum“ Etikettenschwindel? Letztlich betrachtete ich mich als Besucher eines Kuriositätenkabinetts und eines Sammelsuriums von Kopien mit zahlreichen Flüchtigkeitsfehlern, sachlichen Unkorrektheiten und einem Multimediafeuerwerk über Kattowitz und das Teschener Gebiet. Die Anzahl von Originalexponaten aus der Zeit vor 1945 ist geringer als beispielsweise in der Ausstellung zur Geschichte der Stadt Peiskretscham im Rathaus vor drei Monaten. Zur Erinnerung: Ein Privatsammler stellte die Exponate kostenlos zur Verfügung und jede Frage konnte ausführlich beantwortet werden – in Kattowitz kann mir keine Aufsichtsperson befriedigende Antworten bei unbeschrifteten Exponaten – oder besser gesagt Attrappen – geben. Das Museum erinnert an ein Labyrinth, das wir aus dem Möbelgroßhandel kennen, inklusive Durchgänge fürs Personal, die hier Zeitsprünge erlauben. Ein großes ausgebranntes Loch in einer Wandkarte zu Beginn des Ersten Weltkrieges erinnert unwillkürlich an den Anfang des Western-Klassikers „Bonanza“.
Nach dem Ausstellungsbesuch frage ich eine befreundete Museumsmitarbeiterin, wie sie das neue Museum sieht. Es sei anders, sagt sie – vor allem wurden zur Eröffnung keine anderen Museen aus der Woiwodschaft Schlesien nach Kattowitz eingeladen – entsprechend wurden keine Delegationen entsandt, wie es sonst üblich ist. Keiner wagt es freilich öffentlich zu kritisieren, weil er nicht seinen Job verlieren will. Doch das Kattowitzer Prestigeprojekt, das mit geschätzten 25 Millionen Złoty an Unterhaltungskosten jährlich die Budgets aller anderen oberschlesischen Museen übersteigt, habe ein riesiges Problem geschaffen: Dadurch, dass über Jahre gesammelte Exponate nicht gezeigt werden (oftmals wertvolle Familienerinnerungsstücke), sei das Vertrauen der Menschen gegenüber Museen verloren gegangen. Darunter leiden wird jede Ausstellung, die sich mit der Geschichte vor 1945 beschäftigt.

 

 

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