Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Von Nachtwächtern, Pumpen und Strukturen

Endlich konnte das Frühlingsseminar, das die Landsmannschaft Ostpreußen (LO) seit Jahren für die mittlere Generation der deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Ermland-Masuren organisiert und finanziert, wieder „im echten Leben“ stattfinden. Die 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich am Wochenende des 21. und 22. Mai; geografisch konzentrierte sich die Veranstaltung auf den Kreis Neidenburg.

In diesem Jahr lagen die besichtigten Orte also weit weniger weit verstreut als bei den vorherigen Ausgaben des Seminars, aber das tat der Intensität von Begegnung, Diskussion und Wissenserwerb keinen Abbruch. Es gab ein intensives und dichtes Programm, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von sich aus mit Leben füllten und rundum genossen. Einquartiert waren die Mitglieder der deutschen Minderheit aus Hohenstein (Olsztynek), Allenstein (Olsztyn), Lötzen (Giżycko), Osterode (Ostróda), Preußisch Holland (Pasłęk) und Neidenburg zentral in der Deutschordensburg in Neidenburg, die neben einem Museum und Veranstaltungsräumen auch ein Hotel beherbergt.

Strategiediskussion in den Räumlichkeiten der Neidenburger Gesellschaft der Deutschen Minderheit
Foto: Uwe Hahnkamp

Wissenswertes über Stadt und Burg
Noch bevor sie jedoch ihre Zimmer beziehen konnten, erwarteten sie einige Kilometer zu Fuß. Organisator Damian Wierzchowski vom Verbindungsbüro der LO in Allenstein hatte für die Gruppe am Vormittag des ersten Tages eine Besichtigung der Burg mit einem eloquenten und sachkundigen Führer geplant, an die sich ein Rundgang durch das Stadtzentrum von Neidenburg zu Füßen des Burgberges anschloss. Es ging also für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bergauf und bergab auf dem Weg zur Stadtkirche, dem Rathaus und weiteren historischen Gebäuden, wie dem des einst bekannten Café Ehlert, das heute in einem traurigen Zustand ist. Symbolisch die Situation auf dem Marktplatz: auf der einen Seite Fassaden der alten Bebauung, auf der anderen der sozialistische Charme des Wiederaufbaus. Mitten auf einem der größten Marktplätze des früheren Ostpreußen lockt als Blickfang die Figur eines jungen Nachtwächters mit zwei kleinen Hunden. Der Legende nach soll er für seinen übermüdeten Vater eingesprungen sein, aber mit dem Stab zum Anzünden der Gaslaternen diese nicht erreicht haben.

Figur des jungen Nachtwächters auf dem Marktplatz in Neidenburg
Foto: Uwe Hahnkamp

Strukturen und Zukunft
Solche kleinen Anekdoten machten die Führung von Sabina Reguła äußerst lebendig, die darüber hinaus am Nachmittag als Vorsitzende der Neidenburger Gesellschaft der Deutschen Minderheit in deren Räumlichkeiten unterhalb der Burg die Tätigkeit ihres Vereins vorstellte. Anschließend brachte Michał Schlueter, der die regionale deutsche Minderheit im Vorstand des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) repräsentiert, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Strukturen der Minderheit näher.

Besonders lebhaft wurde es im Anschluss im Rahmen eines Workshops bei der Analyse der bestehenden Strukturen und Visionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Zukunft. Dabei entwickelte sich eine rege Diskussion über die Frage, wie sich die Aktivitäten von voraussichtlich immer weniger Mitgliedern der deutschen Minderheit in Zukunft effektiv organisieren lassen. Interessant war der Meinungsaustausch auch deshalb, weil beim VdG ein Führungswechsel sowie eine Strategiedebatte für die kommenden Jahre anstehen, die am 28. Mai während der 53. Verbandsratssitzung der Delegierten des VdG auf dem St. Annaberg in Oberschlesien in Angriff genommen wurden (siehe Seite 4-5). Außerdem sind es die Vertreter der mittleren Generation, die jetzt oder in näherer Zukunft in ihren Vereinen Verantwortung übernehmen werden.

Die Gruppe um Damian Wierzchowski (links) im Landschaftsschutzgebiet des Kommusin-Bachs
Foto: Uwe Hahnkamp

Diskussionen und Geschichte mit Hindernissen
Die Dankanstöße aus diesen Diskussionen fanden ihren Weg auch in den abendlichen und nächtlichen Gedankenaustausch, wobei der Samstagabend beim Frühlingsseminar traditionell eher der Integration der Mitglieder der einzelnen Gesellschaften und dem gegenseitigen Kennenlernen gilt. Gerade dort tauchen immer wieder neue Gesichter auf – so auch in diesem Jahr. Entsprechend kurz war auch diesmal für einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Nacht vor dem ebenfalls traditionellen heimatkundlichen Ausflug am Sonntag.

Die ersten beiden Ziele waren dabei zwei Friedhöfe aus dem Ersten Weltkrieg. Dort ruhen gemeinsam Soldaten der deutschen und der russischen Armee, die während der Schlacht bei Tannenberg Ende August 1914 – die zwischen Neidenburg und Hohenstein am heftigsten getobt hatte – gefallen sind. Ihr Aufbau ist jedoch denkbar unterschiedlich: Während der Friedhof in Skottau (Szkotowo) an einem kleinen Hügel in Form von drei Terrassen und karg aus den lokalen Feldsteinen gestaltet ist, wirkt jener in Orlau (Orłowo) in den Wald geradezu hineinkomponiert. Allen Bitten um würdiges Verhalten zum Trotz wurde dort – wie Sabina Reguła als kurzfristig eingesprungene Reiseleiterin erzählte – vor zwei Jahren die wertvolle historische Pumpe des Brunnens auf dem Friedhof gestohlen und seither nicht mehr gefunden.

Der Friedhof in Orlau
Foto: Uwe Hahnkamp
Der Friedhof in Skottau
Foto: Uwe Hahnkamp

Der dritte geschichtliche Mosaikstein war ein Bunker aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, der im Landschaftsschutzgebiet des Kommusin-Bachs südlich des Omulef-Sees im Erdboden versinkt. Hauptidee war aber eine entspannende Wanderung durch ein schönes Stück Natur. Doch davor galt es, zwei unverhoffte Hindernisse zu überwinden: Die Feuerwehr sperrte kurzzeitig eine Straße, um einen Baum zu kappen, der auf die Straße zu fallen stürzte; und eine von einem Baum getroffene Stromleitung blockierte die Zufahrt zum Omulef-See. Doch weder davon noch von Umwegen oder schmerzenden Füßen ließen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Frühlingsseminars aufhalten. Ein würdiger Schlusspunkt für ein rundum gelungenes Seminar, das die Gruppe Damian Wierzchowski und der finanziellen Unterstützung der Landsmannschaft Ostpreußen verdankt. Der Applaus der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende zeigte deutlich ihren Dank und ihre Zufriedenheit.

Uwe Hahnkamp

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