Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

„Wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen“

Seit Juni 2021 ist Sebastian Jabłoński Vorsitzender der Sensburger Deutschen Gesellschaft „Bärentatze“. Im Interview mit Lucas Netter lässt er das vergangene Jahr „seiner“ deutschen Minderheit Revue passieren – und spricht über die Herausforderungen für die Zukunft.

Herr Jabłoński, seit etwa anderthalb Jahren stehen Sie nun an der Spitze der deutschen Minderheit in Sensburg (Mrągowo). Wie ist Ihre Gesellschaft organsiert? Und wie viele Mitglieder hat sie?

Der Vorstand der Sensburger „Bärentatze“ besteht – wie schon in den Jahren zuvor – aus neun Personen; darunter sind eine Schatzmeisterin, eine Sekretärin, eine stellvertretende Vorsitzende und natürlich ich als Vorsitzender. Hinzu kommen noch drei Mitglieder im Prüfungsausschuss.

Unsere Gesellschaft „bedient“ die Stadt und den Landkreis Sensburg, also auch die Gemeinden Peitschendorf (Piecki), Nikolaiken (Mikołajki) und Sorquitten (Sorkwity).

Derzeit haben wir etwas mehr als 200 zahlende Mitglieder, von denen etwa ein Viertel regelmäßig an unseren Projekten und Veranstaltungen teilnimmt. Dazu kommen aber noch einige Kinder und Jugendliche, die noch nicht als „reguläre“ Mitglieder eingetragen sind, da dies erst mit der Volljährigkeit möglich ist.

Welche Projekte und Veranstaltungen hat die „Bärentatze“ im vergangenen Jahr durchgeführt? Welche Highlights gab es?

Im Großen und Ganzen war es ein gutes Jahr für die Sensburger deutsche Minderheit. Nach dem Ende der Coronapandemie konnten wir uns endlich wieder persönlich treffen und unsere lange geplanten Vorhaben umsetzen.

Sebastian Jabłoński (in der Mitte stehend) während der letztjährigen Adventsfeier der Sensburger „Bärentatze“. Zu seiner Rechten: Henryk Hoch, der Vorsitzende des VdGEM.
Foto: Uwe Hahnkamp

Im Gedächtnis geblieben ist mir auf jeden Fall das riesengroße Projekt, das Julia Herzog, die damalige Kulturmanagerin des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen, Anm. d. Red.) in Ermland und Masuren, mit uns durchgeführt hat. Das Projekt hat sich mit der Geschichte der deutschen Minderheit hier in der Region sowie mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus beschäftigt. Es umfasste verschiedene Workshops an der hiesigen Schule, an der ich auch als Deutschlehrer tätig bin, Ausflüge zur Feste Boyen und zum Schloss Steinort, einen Besuch bei der deutschen Minderheit in Sensburg, einen Essaywettbewerb und als Abschluss eine mehrtägige Bildungsreise zum Pilecki-Institut nach Berlin – inklusive eines Besuchs der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (siehe „Wochenblatt.pl“, Nr. 16/2022 und Nr. 25/2022, Anm. d. Red.). Für die Schülerinnen und Schüler – aber auch für mich persönlich – war die Teilnahme an diesem Großprojekt eine beeindruckende Erfahrung.

Daneben haben wir 2022 aber natürlich auch viele „eigene“ Projekte auf die Beine gestellt. So haben wir letztes Jahr zum Beispiel wieder Bastel- und Backprojekte für Jung und Alt organsiert, Sprachkurse für Jugendliche und Erwachsene durchgeführt sowie kurz vor Totensonntag einen Friedhof aufgeräumt und auf Vordermann gebracht.

Außerdem haben wir im April – wie jedes Jahr – den Vorstand des VdGEM (Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren, Anm. d. Red.) in unsere Räumlichkeiten für dessen Delegiertenversammlung eingeladen. In diesem Rahmen fand dann wie immer auch eine Arbeitstagung unter der Leitung der Landsmannschaft Ostpreußen statt.

Wappen von Mrągowo
Foto: Poznaniak/wikimedia.org

Eine langjährige Tradition ist zudem unser Kaffeeklatsch, den wir immer dienstags von 13 bis 17 Uhr in unserem Sitz veranstalten. Dorthin können alle Interessierten kommen – einfach nur, um sich auszutauschen oder auch, wenn sie ein konkretes Anliegen haben. Wir unterstützen unsere Mitglieder zum Beispiel bei Übersetzungsarbeiten oder bei der Antragstellung für das Deutsche Konsulat in Danzig (Gdańsk).

Seit dem 24. Februar 2022 beschäftigt uns der Krieg in der Ukraine. Engagiert sich die „Bärentatze“ auch in der Ukraine-Hilfe?

Natürlich! Schon seit vielen Jahren betreiben wir eine Kleiderkammer, die immer wieder mit Spenden von unseren Partnern aus Deutschland gefüllt wird. Mit Beginn des Krieges haben wir dann viele gut erhaltene Kleidungsstücke – über eine Arbeitsgruppe hier in Sensburg – an Flüchtlinge aus der Ukraine weitergegeben, die in unserer Stadt und der Umgebung angekommen sind. Die Hilfe für die geflüchteten Menschen aus unserem Nachbarland war und ist für uns eine Selbstverständlichkeit.

Was hat sich die deutsche Minderheit in Sensburg für das Jahr 2023 vorgenommen?

Noch in diesem Monat soll unsere Vorstandssitzung stattfinden, während der wir die Projektpläne für dieses Jahr konkretisieren werden. Unsere Hauptprojekte wollen wir natürlich weiterführen: den wöchentlichen Kaffeeklatsch, das Aufräumen der Friedhöfe in der Region, das Backen und Basteln mit Jung und Alt oder die VdGEM-Delegiertenversammlung in unseren Räumlichkeiten mit der anschließenden Arbeitstagung.

Auch die Sprachkurse möchten wir weiterhin anbieten. Mit Beginn des neuen Jahres werden sich zudem neue Kursteilnehmer einschreiben. Erste Zusagen sind bereits erfolgt. Nun warten wir auf weitere Anmeldungen. Für Anfänger und Fortgeschrittene sind zwei separate Kursgruppen vorgesehen.

Außerdem kam uns die Idee: Wir könnten in unserem Sitz einen Treffpunkt für Jugendliche einrichten – auch für jene, die nicht aus den Reihen der deutschen Minderheit kommen. Es soll eine Art Jugendzentrum entstehen, in dem sich junge Leute nach der Schule treffen, Zeit verbringen und ihre Hausaufgaben machen können. Auf diese Weise könnten wir neue Jugendliche „gewinnen“ und so in der Gesellschaft präsenter werden. Denn unser Sitz befindet sich abseits des Sensburger Stadtzentrums. Viele Einwohner, vor allem die jüngere Generation, wissen gar nicht, dass es uns hier noch gibt.

Für dieses Vorhaben fehlt uns im Moment noch die notwendige Ausstattung, wie zum Beispiel eine Tischtennisplatte, ein Kicker- oder ein Billardtisch. Mithilfe unserer Sponsoren und Förderer aus Deutschland, aber auch mit eigenen Mitteln, ließe sich diese Idee mittelfristig jedoch sicherlich umsetzen.

Unabhängig von diesen Plänen steht aber fest: Wir dürfen uns nicht auf dem bereits Erreichten ausruhen, sondern wir müssen uns immer auch weiterentwickeln.

Vor welchen generellen Herausforderungen steht die deutsche Minderheit in Sensburg?

Die enorm gestiegenen Energie- und Heizkosten treiben natürlich auch uns um. Hier sind wir immer auf der Suche nach Spendern und Unterstützern. Zum Glück haben wir einige Partner, die uns auch in diesem Bereich unterstützen, zum Beispiel der Verein „Freunde Masurens“ oder die Kreisgemeinschaft Sensburg mit Sitz im nordrhein-westfälischen Remscheid.

Zum Überleben brauchen wir zudem auch weiterhin zahlende Mitglieder – und engagierte Jugendliche, die regelmäßig das Kulturangebot unserer Gesellschaft wahrnehmen, frische Ideen einbringen und sich später – als Erwachsene – als Mitglieder registrieren lassen. Denn eine aktive Jugend ist fundamental wichtig für das zukünftige Fortbestehen der Minderheit. Und mit unserer Arbeit möchten wir den Jugendlichen zeigen: Es ist gar nicht so schlimm, bei uns mitzumachen.

Herr Jabłoński, vielen Dank für dieses Gespräch.

Show More