Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

„Wir müssen gewinnen!“

Seit dem 24. Februar 2022 verteidigen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer gegen die groß angelegte Invasion ihres Landes durch Russland. Vor einem Jahr, kurz nach dem Beginn des von Wladimir Putin befohlenen Angriffskrieges, sprachen wir mit einigen Angehörigen der deutschen Minderheit in der Ukraine und erkundigten uns nach ihrer Lage. Wie geht es den Frauen und Männern heute?

 

Julia Bogdan aus Cherson

Julia Bogdan
Foto: privat

Julia Bogdan, die Deutschlehrerin und Leiterin der Chersoner Jugendorganisation der deutschen Minderheit „Partnerschaft“, hat – wie die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer – ein dramatisches Jahr hinter sich. In den ersten Tagen nach dem Beginn des Überfalls auf ihr Land erlebte sie die Besetzung ihrer Heimatstadt durch russische Truppen mit, floh Mitte April 2022 mit ihren beiden Töchtern und ihrer Mutter nach München, lebt dort seitdem in einer Gemeinschaftsunterkunft. In der bayerischen Landeshauptstadt kümmert sie sich unermüdlich um ihre ebenfalls geflüchteten Landsleute, hilft bei Übersetzungen oder dolmetscht bei Behörden- und Arztgängen – und ist zudem noch für die Johanniter-Unfall-Hilfe tätig.

Welche Gedanken gehen ihr in diesen Tagen durch den Kopf? „Hauptsächlich traurige – ich will einfach nur nach Hause“, klagt sie. „Nicht mal in meinem schlimmsten Alptraum hätte ich mir vorstellen können, je einen Krieg zu erleben und aus meiner Heimat fliehen zu müssen.“

Ihren Optimismus hat Julia Bogdan trotzdem nicht verloren. „Wir alle hier hoffen, dass der Frühling den Sieg der Ukraine bringen wird und wir endlich befreit werden von diesen russischen …“ An dieser Stelle stockt sie, möchte keine Schimpfwörter verwenden.

Weiter hofft sie, dass das russische Regime für seine Taten bestraft wird – und zwar „so hart wie nur möglich“. „Alle Menschen, die für diese unfassbar grausamen Taten in der Ukraine verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden!“ Bevor ihre Stimme dann bricht, sagt Julia Bogdan noch: „Die Hoffnung auf Gerechtigkeit hilft mir weiterzuleben.“


Olha Tybor aus Luzk

Olha Tybor
Foto: Rat der Deutschen in der Ukraine

Auch Olha Tybor aus Luzk, einer Großstadt im Gebiet Wolhynien im Nordwesten der Ukraine, unweit der polnischen und belarussischen Grenze, hat ihr Heimatland kurz nach dem Beginn des russischen Überfalls verlassen. Anfang März 2022 floh sie mit ihren Eltern, zwei Schwestern und einigen Kindern nach Deutschland, lebt aktuell in einer kleinen Gemeinde bei Detmold in Ostwestfalen. Dort unterrichtet sie an einem Gymnasium und an einer Berufsschule Deutsch als Fremdsprache für ukrainische Jugendliche.

Was hört sie aus ihrer Heimatstadt? Wie ist dort die Lage? „Zurzeit ist es ruhig, aber die Gefahr bleibt natürlich weiterhin bestehen. Denn die belarussische Grenze ist nicht weit weg – dort gibt es russische Soldaten, Panzer und Kampfflugzeuge“, erzählt die junge Frau, die Mitglied des Rates der Deutschen in der Ukraine ist.

Im Sommer möchte Olha Tybor trotzdem nach Hause zurückkehren. „Aber das hängt natürlich von der allgemeinen Situation in der Ukraine ab“, betont sie.

Ist sie weiterhin optimistisch, dass ihr Land diesen Krieg gewinnen wird? „Natürlich!“, antwortet sie entschieden. „Wir müssen gewinnen, es gibt keine Alternative!“


Alexander Schlamp aus Czernowitz

Alexander Schlamp
Foto: Rat der Deutschen in der Ukraine

Etwa 340 Kilometer südlich von Luzk liegt Czernowitz – die traditionelle Hauptstadt der Bukowina. Hier sei es nach wie vor ruhig, erzählt der dortige Deutsche Honorarkonsul Alexander Schlamp. Bis heute sei die Stadt nicht mit Raketen beschossen worden – wenngleich es immer mal wieder Luftalarm und auch Stromausfälle gebe. Ein Zeugnis des Krieges seien zudem die zahlreichen Binnenflüchtlinge aus anderen Teilen des Landes, die weiterhin in der Region ausharrten. Doch Schlamp, der auch Präsidiumsmitglied des Rates der Deutschen in der Ukraine ist, sagt etwas lakonisch: „Von hier gibt es nichts Nennenswertes zu berichten, die wichtigen Nachrichten kommen von der Front.“


Alexander Gross aus Nowohradkiwka (Neuburg) bei Odessa

Pastor Alexander Gross
Foto: privat

Im Süden der Ukraine, direkt am Schwarzen Meer, liegt die Millionenstadt Odessa. Auch hier sei die Lage vergleichsweise ruhig, berichtet Alexander Gross, Pastor der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine. „Es ist fast schon normal geworden, dass wir in einer solchen Situation leben. Gott sei Dank gibt es in unserem Gebiet keine kriegerischen Handlungen – auch wenn Luftalarme und Stromausfälle weiterhin an der Tagesordnung sind. Aber im Großen und Ganzen ist hier alles in Ordnung, wir sind in einem guten Zustand und unterstützen uns alle gegenseitig“, so der Vater zweier Töchter.

Der Geistliche betreut in der Gegend vier Gemeinden, eine davon im Gebiet Cherson. Diese wurde zwar im November 2022 von den russischen Besatzern befreit, persönlich besuchen kann Alexander Gross seine dortigen Gemeindemitglieder aber immer noch nicht – zu gefährlich. „Das Dorf Smijiwka (Schlangendorf, Anm. d. Red.) liegt direkt am Dnipro; auf der anderen Seite des Flusses haben sich die Russen eingegraben und schießen mit ihrer Artillerie immerzu herüber. Der Fluss ist praktisch die Frontlinie“, erklärt Alexander Gross. Man stehe aber telefonisch mit den Gläubigen vor Ort in Kontakt und lasse ihnen regelmäßig Hilfsgüter wie Medikamente oder Holzöfen zukommen. Erst kürzlich habe man zudem einen großen Generator nach Smijiwka geschickt, mit dessen Hilfe die Dorfbewohner nun Wasser aus der Erde pumpen können.

Einige von Alexander Gross’ Gemeindemitgliedern im Dorf Smijiwka nehmen einen gespendeten Ofen entgegen.
Foto: privat

In den anderen Gemeinden des Pastors laufen die regulären Aktivitäten, zum Beispiel die Kinderbetreuung oder die Sozialfürsorge, so gut es geht weiter – auch wenn viele der deutschstämmigen Gemeindemitglieder die Ukraine bereits in Richtung Deutschland verlassen haben. Alexander Gross rechnet nicht damit, dass sie nach dem Krieg zurückkehren werden. Und trotzdem: „Obwohl unsere Gemeinden geschrumpft sind, sind wir voll im Dienst und immer aktiv. Eigentlich machen wir mehr, als wir eigentlich können“, sagt er mit einem kurzen Lachen.

Eine Sache möchte Alexander Gross zum Schluss noch loswerden. Er sagt: „Wir sind sehr, sehr dankbar für das Engagement von all den Menschen auf der ganzen Welt, die uns helfen, für uns beten und in ihren Ländern ihre Herzen und Türen für die Ukrainer geöffnet haben.“


Bernard Gaida: „Bürokratische Hürden abbauen!“

Einen umfangreichen Überblick über die aktuelle Situation der deutschen Minderheit in der Ukraine hat auch Bernard Gaida, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN). Beinahe täglich steht er in Kontakt mit Vertretern des Rates der Deutschen in der Ukraine (RDU), insbesondere mit dem Vorsitzenden Wladimir Leysle. „Die Angehörigen der deutschen Minderheit, die trotz des Krieges in der Ukraine geblieben sind, sind auch weiterhin aktiv und engagieren sich derzeit vor allem in der humanitären Hilfe für ihre Mitmenschen; einige von ihnen halfen zum Beispiel beim Wiederaufbau eines durch Raketenangriffe zerstörten Hauses in Tschernihiw“, berichtet Gaida.

Unterstützt wird die Minderheit dabei auch aus Deutschland – nicht zuletzt vom Bundesministerium des Innern und für Heimat, das die von ihm finanzierten Projekte kurzfristig umgewidmet hat, um sie den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. So konnte der RDU unlängst seine Ortsgruppen mit Generatoren ausstatten, die über die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland in die Ukraine geschickt worden waren.

Kritisch sieht Bernard Gaida demgegenüber die bürokratischen Hürden für die deutschstämmigen Flüchtlinge aus der Ukraine, die in Deutschland den Status als Spätaussiedler erhalten möchten. Auf der Grundlage eines kurz nach dem Beginn des russischen Überfalls eingeführten Härtefallverfahrens dürfen die Deutschstämmigen aus der Ukraine den Antrag zur Aufnahme als Spätaussiedler zwar direkt in Deutschland stellen und müssen nicht erst den Weg über die Deutsche Botschaft in Kiew gehen. „Diese Menschen haben aber nur sechs Monate Zeit, um den Antrag zu stellen. Dabei haben sie oftmals gar nicht alle notwendigen Dokumente und Nachweise mit nach Deutschland genommen, mussten sie ihre Häuser und Wohnungen doch meist in großer Eile verlassen.

Auch die Aneignung der vorausgesetzten Deutschkenntnisse ist für viele von ihnen in diesem kurzen Zeitraum kaum zu schaffen“, betont Gaida. „Sollten die deutschstämmigen Ukrainer diese sechsmonatige Frist nicht einhalten können, behalten sie zunächst den Status eines ‚normalen‘ Flüchtlings“, erklärt der AGDM-Sprecher weiter. Er appelliert deshalb an die Bundesregierung: „Den Menschen, die als Spätaussiedler in Deutschland aufgenommen werden möchten, muss eine unbürokratische und hilfreiche Behandlung ermöglicht werden! Wichtig ist: Die Sechs-Monats-Frist startet nicht ab dem Datum der Überquerung der deutschen Grenze als Flüchtling, sondern ab dem Zeitpunkt der Entscheidung der endgültigen Übersiedlung nach Deutschland.“

Gleichzeitig macht Bernard Gaida darauf aufmerksam, dass auch die Deutschen in Russland vor bürokratischen und juristischen Problemen stünden, die es ihnen erschwerten, als Spätaussiedler anerkannt zu werden (siehe folgender Abschnitt).


Deutsche Minderheit in Russland

Und die Deutschen in Russland? Wie verhalten sie sich im Angesicht der kriegerischen Aggression, die von ihrem Land ausgeht?

Bernard Gaida, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), berichtet, dass die deutsche Minderheit in Russland weiterhin ihren regulären Tätigkeiten nachginge. „Wir wissen von kulturellen und sprachlichen Aktivitäten der Minderheit; den Krieg in der Ukraine kommentiert sie nicht. Das ist angesichts der derzeitigen Lage in Russland natürlich verständlich“, so Gaida. Auch die Redaktion der Moskauer „Deutschen Zeitung“ arbeite nach wie vor, wenngleich sie den Krieg nicht als solchen benennen dürfe, gibt Gaida Auskunft.

Daneben macht der AGDM-Sprecher auf die stark gestiegene Zahl der deutschstämmigen Menschen in Russland aufmerksam, die als Spätaussiedler nach Deutschland ausreisen möchten. Doch die Bearbeitungszeit der entsprechenden Anträge in den deutschen diplomatischen Vertretungen in Russland ziehe sich immer weiter in die Länge. „Deshalb habe ich in einem Gespräch mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser, das ich letzte Woche während ihres Besuchs in Warschau geführt habe, darum gebeten, die Behandlung der Deutschstämmigen in Russland zu verbessern“, so Gaida.

Ähnlich äußert sich auch die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung der CDU/CSU – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge. In einer Pressemitteilung schreibt der Bundesvorsitzende der Vereinigung, Egon Primas: „Aus Russland (…) erreichen uns Stimmen, nach denen dort lebende Russlanddeutsche durch die staatliche Propaganda als Nazis und Spione gebrandmarkt und diffamiert werden. Vereinzelt ist sogar vom ‚bevorzugten Einzug‘ in die Armee die Rede – wohl, um im Krieg gegen die Ukraine ‚verheizt‘ zu werden. Gerade diese Menschen benötigen vom Auswärtigen Amt Unterstützung im Bemühen um eine Ausreise nach Deutschland und dürfen nicht von den Botschaften und den Konsulaten alleingelassen werden.“

Lucas Netter

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