In Zeiten der humanitären Katastrophe vieler Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die oft auf dem Mittelmeer ums Leben kommen, wird oft vergessen, dass auch Deutsche Opfer einer ähnlichen Tragödie wurden. Männer, aber auch Frauen und Kinder kamen 1945 ums Leben, weil sie vor Krieg und Gewalt fliehen wollten. Traditionell hat man diesen Menschen am 16. April in Gdingen gedacht.
„Es war eine schöne Veranstaltung, vielleicht die schönste überhaupt“, sagt der langjährige Vorsitzende der Deutschen Minderheit in Gdingen Benedikt Reschke, als wir ihn nach der Gedenkveranstaltung am Samstag fragen. Schon seit Jahren veranstalten die Deutschen aus Pommern am Jahrestag der Versenkung des Schiffes MS Goya eine Feierlichkeit, die an ungefähr 7.000 Opfer, die in eisigen Gewässern den Tod fanden, erinnert.
Trotzdem, dass dieses Mal – anders als im Vorjahr – es keinen runden Jahrestag gab, kamen die Gäste besonders zahlreich. Außer Vertretern der polnischen Selbstverwaltung und des deutschen Generalkonsulats aus Danzig waren fast sämtliche deutsche Vereine aus Pommern vertreten. Die Ehre erwiesen den Opfern auch Mitglieder der Landsmannschaft Westpreußen. Auf eine Heilige Messe mit Chorgesang, folgte ein symbolischer Wurf der Kränze ins Meer – dem Massengrab der Deutschen aus Pommern und Ostpreußen kurz vor Ende des Weltkriegs: „Die See war dieses Jahr besonders stürmisch, das trug nur zu einer noch mehr gehobenen Atmosphäre bei“, sagt Benedikt Reschke.
Das gerade heute das Interesse an den Meereskatastrophen von 1945 besonders groß ist, sollte wenig wundern. In vielen Aufarbeitungen der Ereignisse in Pommern zu Kriegsende werden die Passagiere der Schiffe Goya, Gustloff und Steuben klar als „Flüchtlinge“ beschrieben. Auf ähnliche Weise kommen heutzutage auch die jetzigen Flüchtlinge ums Leben, die übers Mittelmeer vor Krieg und Terror in der arabischen Welt fliehen.
Zur heutigen Situation der Flüchtlinge gibt es also Analogien, doch die Größenordnung war sehr unterschiedlich. Bis heute ist die Versenkung der Goya die zweitgrößte Meereskatastrophe in der Geschichte. Nur knapp ist die Opferzahl kleiner als eines anderen deutschen Schiffes – der Wilhelm Gustloff.
Als die Goya 1940 in Oslo gebaut wurde, dachte wohl noch keiner, dass das Schiff einmal tausende Opfer in den Tod mitreisen würde. Zuerst war die Goya ein eher wenig bedeutendes Transportschiff. Erst 1943 gewann das Schiff an militärischer Bedeutung, zuerst als Stützpunkt für die Unterwasserabteilung der Kriegsmarine, dann als Transportschiff für Soldaten und Ausrüstung.
Seine letzte Reise begann das Schiff genau am 16. April 1945. Da die Goya Soldaten der Kriegsmarine an Bord hatte, galt sie offiziell als Kriegsschiff, so kann bei der Versenkung von keinem Kriegsverbrechen die Rede sein, doch von Tausenden von Passagieren waren nur ungefähr 200 Soldaten, die überwiegende Mehrzahl waren Frauen, Kinder, Kranke und Verwundete. Zum Verhängnis wurde der Goya ein sowjetischer Luftangriff und danach auch Torpedos aus U-Booten. Die Kraft der Raketen war so groß, dass gemäß Berichten das Schiff „praktisch in zwei Stücke gerissen wurde“. Danach gab es für die meisten Passagiere keine Rettung mehr. Innerhalb von nur vier Minuten ging das Schiff unter und es starben Tausende, ihr Tod ging in die Geschichte Pommerns und der Welt ein. Die meisten Opfer forderte aber nicht die Explosion des Torpedos, sondern das eisige Aprilwasser der Ostsee. Schätzungen zufolge können es sogar 7.000 Menschen sein, die an diesem Tag erfroren oder ertrunken sind.
Wie Benedikt Reschke aber sagt, geht es beim Gedenktag um weitaus mehr, als nur um die Opfer der Versenkung der Goya. Die Deutschen aus Pommern beten und erinnern an alle pommerschen Flüchtlinge von 1945, die damals ums Leben gekommen sind. Dazu gehören auch die Opfer der Katastrophen der Steuben sowie des größten Seeunglücks der Geschichte – der Wilhelm Gustloff.
Trotzdem, dass man es geschafft hat, ungefähr zwei Millionen Menschen aus Pommern auf dem Seeweg in den Westen des Deutschen Reiches zu evakuieren, sind in allen drei Katastrophen mehr als 20.000 Menschen ums Leben gekommen. In den Zeiten der Volksrepublik Polen waren die Namen der versenkten Schiffe in Gdingen vollkommen vergessen und Gedenkveranstaltungen ausgeschlossen. Erst 1997 begann die dortige Deutsche Minderheit wieder an die Opfer zu erinnern. 2010 wurde den Opfern der Wilhelm Gustloff eine Gedenktafel in der Meereskirche gewidmet, in der man traditionell die Gedenkmesse am Samstag rund um den 16. April veranstaltet.
Łukasz Biły