Er war einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller und ein großer Deutschlandkenner, der mit vielen Klischees über Deutschland und die Deutschen in dem Roman „Der Erlkönig“ aufräumte. Die Handlung dieses Romans, mit dem er seinen internationalen Durchbruch feierte, ist in Ostpreußen angesiedelt. Michel Tournier starb am vergangenen Montag im Alter von 91 Jahren.
Er war einer der renommiertesten französischen Autoren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für seinen 1970 erschienenen Roman „Le Roi des Aulnes“ (Der Erlkönig, 1972 in deutscher Übersetzung) erhielt er den bedeutendsten französischen Literaturpreis „Prix Goncourt“. Der Titel des Romans spielt auf Goethes Ballade „Erlkönig“ an. Im Erlkönig sieht Tournier symbolhaft die Nazis als Kindesverführer. Der Roman spielt vorwiegend während des Zweiten Weltkriegs zur Hälfte in Frankreich und dann in Ostpreußen. Es ist ein facettenreiches Werk voller realistischer und historischer, aber auch mythischer, philosophischer und psychologischer Elemente. Im Mittelpunkt steht Abel, ein vom Nationalsozialismus faszinierter französischer Kriegsgefangener, und die besondere Anziehungskraft des Jugendkults der Nationalsozialisten. Michel Tournier schafft dies ausdrucksvoll am Beispiel der NS-Eliteschule „Napola“ (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) zu verdeutlichen, die in der ehemaligen Festung Kaltenborn (Zimna Woda) untergebracht war. „Der Erlkönig“ wurde 1996 unter dem Titel „Der Unhold“ von Volker Schlöndorff verfilmt.
Michel Tournier wurde 19. Dezember 1924 in Paris als Sohn eines Germanisten-Ehepaares geboren und lernte früh Deutsch. Er studierte unter anderem an der Universität Tübingen vier Jahre Philosophie und war dann bei Verlagen und Rundfunkanstalten sowie als literarischer Übersetzer tätig, wobei er unter anderem Werke von Erich Maria Remarque übersetzte. 1967 erschien sein erster Roman „Vendredi ou les Limbes du Pacifique“ (Freitag oder Im Schoß des Pazifik), der mit dem „Grand Prix du Roman“ der Académie française ausgezeichnet wurde. Es folgten zahlreiche Romane, Erzählungen, Kinderbücher und autobiographische Essays, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. In seinen Werken gelang es Tournier vor allem zahlreiche deutsch-französische Stereotypen aufzuzeigen. Auf Deutsch erschienen unter anderem „Der Wind Paraklet. Ein autobiografischer Versuch” sowie „Der Garten des Vagabunden“. Michel Tournier verstarb am 18. Januar in Choisel südwestlich von Paris, wo er die letzten Jahrzehnte in einem alten Pfarrhaus zurückgezogen als freier Schriftsteller lebte.
Johannes Rasim