Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Der Manor am Stadtrand

 

 

Kann eine Pandemie positive Auswirkungen haben? Ja, sie kann. Bis vor kurzem der Möglichkeit beraubt, zu reisen, unbeweglich gemacht durch den Lockdown, haben wir nun die Gelegenheit, uns auf den Weg zu machen, um Parks, Wälder und weniger bekannte Sehenswürdigkeiten am Rande der Stadt Allenstein zu erkunden. Begegnungen mit der Natur sind für einen Forscher ein Vergnügen, aber die wirkliche Befriedigung kommt von Begegnungen mit der nahen und fernen Vergangenheit, die es ohne die pandemischen Umstände wahrscheinlich nie gegeben hätte.

 

Nehmen wir als Beispiel ein hundert Jahre altes Palais vom Ende des 19. Jahrhunderts. Das sezessionistisch-eklektizistisches Herrenhaus wurde am Rande des Vorkriegs-Allenstein, in der Mitte des Landguts Bergenthal (poln. Nagórki) gebaut. Aus dem Buch „Magisches Allenstein“ von Stanisław Piechocki (Allenstein 2008) erfahren wir, dass die ersten Erwähnungen dieser Residenz auf das Jahr 1832 zurückgehen, als der städtische Ratsherr Andreas Bogatzki für die Rettung Allensteins vor dem Feuer ein Gut (118 ha) am südöstlichen Ende der Stadt erhielt. Seine Tochter und sein Schwiegersohn Carl Rhode verfügten darüber bis Ende des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1903 wurde der langjährige Ratsherr Max Lion, ein aktiver und wohlhabender Unternehmer und Inhaber einer Dampfziegelei, Eigentümer des Gutes Bergenthal. Der Fabrikant ließ die bestehenden Gebäude abreißen und baute an dieser Stelle ein Herrenhaus, das seiner Form nach dem heutigen ähnelt.

 

Manor Bergenthal in Allenstein vor Renovierung. Foto. WKZ Olsztyn

Eine architektonische Perle

Die Residenz, die als Perle der Allensteiner Architektur bezeichnet wird, wurde als zweigeschossiges Gebäude aus verputztem Ziegelstein auf einem fast rechteckigen Grundriss errichtet. In der nördlichen Ecke hat es einen pentagonalen Turm, der anfangs mit einer Kuppel bedeckt war, die später in ein Flachdach umgewandelt wurde. Eine Veranda und ein eingeschossiger Risalit mit einer allmählich reduzierten Anzahl von Fenstern, von drei im Erdgeschoss bis zu einem halbrunden im Dachgeschoss, verleihen dem Gebäude Eleganz. Die zweite Etage prägen interessant geformte Elemente im Mansarddach. In den Innenräumen sind einige dekorative Elemente erhalten geblieben, z.B. die mit aufwändigen Stuckarbeiten und Polychromien nach botanischen Motiven verzierten Decken und das mit schmiedeeisernen Handläufen verzierte Treppenhaus. Interessant sind die weitläufigen, bogenförmig gewölbten Keller, die an Burgverliese erinnern. 1989 wurde das Bauwerk in das nationale Denkmalregister eingetragen.

Der gesamte Komplex, der von einem Dickicht aus jahrhundertealten Bäumen umhüllt ist und früher ein wunderschöner Park war, besteht aus einem renovierten Haus für die Kutschen und einem Stein- und Eisenzaun mit originalen Elementen alter Schmiedekunst. Leider sind die Gesindehäuser und Nebengebäude, die das Palais umgaben, nicht bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Im Park befand sich auch eine interessante Bühnenkonstruktion mit einem Dach, das einem Pilzhut ähnelte.

Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Anwesen in den Besitz des Landwirts Richard Palmowski über. Zwischen 1928 und 1937 verpachtete er das Gutshaus an die Allensteiner Garnison. Es beherbergte damals eine militärische Landwirtschaftsschule des Ausbildungsbataillons des 2. preußischen Infanterieregiments. 1938 kehrte Richard Palmowski in seine Residenz zurück und lebte dort mit seiner Familie bis 1945. Ihm und seiner Familie gelang die Flucht kurz vor der heranrückenden Roten Armee. Tragisch erging es hingegen russischen und französischen Kriegsgefangenen, die auf dem Gut Bergenthal arbeiteten. Am 22. Januar 1945 wurden sie alle von den Sowjets gefasst und in der Nähe des Gutshauses erschossen, während aufgegriffene deutsche Zivilisten in der Scheune lebendig verbrannt wurden.

 


Manor-Palast-Bergenthal-in-Allenstein-nach-Renovierung.-Heute-Naturmuseum-in-Allenstein.
Foto: MPOlsztyn

 

Vom Hauptquartier der Roten Armee zum Museum

Das Gut und das ansehnliche Palais wurden durch den Zweiten Weltkrieg nicht zerstört. Bis 1947 waren dort Soldaten der Roten Armee stationiert und bewirtschafteten die noch vom letzten Besitzer eingesäten Felder. Das weitere Schicksal des Herrenhauses war wechselhaft. Zunächst wurde es vom Fiskus übernommen. Dann ging es in die Hände der staatlichen Landwirtschaft über. Später wurde in den stilvollen Räumlichkeiten eine Pelztierzucht eingerichtet. In den 1970er Jahren wurde es nach notwendigem Umgestaltung zu Wohnzwecken genutzt. 1975 ging das verfallene Gebäude in den Besitz des Museums von Ermland und Masuren über und wartete auf bessere Zeiten.

Eine Chance, das betagte Bauwerk zu retten, ergab sich 1998 dank der Partnerstadt Halmstad in der schwedischen Region Halland. Die Renovierung des Palais wurde im Rahmen des Programms „Hallands Modell des Denkmalschutzes in der Region Allenstein“ durchgeführt. Die schwedische Seite stellte finanzielle Mittel zur Verfügung, Allenstein sorgte für Arbeitskräfte unter Arbeitslosen. Seit dem Jahr 2000 ist das renovierte Herrenhaus, das in einem wunderschönen, drei Jahrhunderte alten Park liegt, Sitz des Naturmuseums. Die Galerie besteht aus mehreren Ausstellungsräumen und präsentiert vor allem, aber nicht ausschließlich, Flora und Fauna des Ermlandes und Masurens.

 

Teil der Ausstellung mit Tieren aus Ostpreußen.
Foto Muzeum Przyrody w Olsztynie.jpg

In den siebzig Jahren seiner Tätigkeit hat das Museum etwa 18.900 Exponate gesammelt. Den Anfang bildeten übernommene deutsche Sammlungen, darunter 38 Tierpräparate und 12 Truhen mit 284 geologischen Exponaten. Unter den botanischen Sammlungen ist besonders ein 460 Blatt umfassendes Herbarium des herausragenden deutschen Botanikers Hans Steffen zu erwähnen. Unter den zoologischen Beständen dominieren eine entomologische Sammlung und eine Sammlung von Wirbeltieren, hauptsächlich Vögel. Das Museum besitzt etwa 900 dermoplastische Figuren von Säugetieren, Vögeln, Fischen und Reptilien. Neben den zoologischen, botanischen und geologischen Beständen gibt es auch eine reichhaltige Sammlung von Landkarten, darunter auch deutsche vom Anfang des 20. Jahrhunderts, die fast vollständig den polnischen Teil des ehemaligen Ostpreußens abdecken.

Vielen Allensteinern ist die Geschichte des Gutshauses Bergenthal, eines Beispiels für eine ländliche Residenz am Stadtrand, nicht bekannt, andere erinnern sich nicht mehr daran. Auch vielen Besuchern der Stadt an der Alle ist dieser Ort kein Begriff. Aber wozu sind Chronisten schließlich da? Besonders in Zeiten von Pandemien.

Alfred Czesla

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