Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Fahrt in die Quarantäne

 

 

Seit dem 26. März befinde ich mich für die darauffolgenden 14 Tage offiziell in Quarantäne. Doch eigentlich kenne ich diesen Zustand bereits seit Anfang März, als in Heidelberg die ersten Empfehlungen zum Verbleib daheim ausgesprochen worden waren.

 

Adam Kubik meldete sich u.a. über eine spezielle App während der Quarantäne bei den Behörden. Immer mit einem politischem Statement im Hintergrund.
Foto: Adam Kubik

 

 

Da der Universitätsbetrieb in der vorlesungsfreien Zeit sowieso eingeschränkt ist, fiel mir der Ausnahmezustand lediglich durch die allmähliche Schließung von Bibliotheken auf. Die Arbeit am Verfassen der Dissertationsschrift und sämtlichen anderen Texten erfolgte, dank der zuvor eingescannten Materialien, zu Hause.

 

Die Geisterstadt Heidelberg

Der Ausblick aus dem Giebelfenster auf die Heidelberger Hauptstraße ließ mich den merkwürdigen Stillstand des sonst von Studierenden und Touristen pulsierenden Stadtlebens drei Wochen lang beobachten. Es gab lediglich die Müllabfuhr am Morgen, einen Postboten oder einen Paket-Kurier während des Tages und einzelne Spazierende und Streifenwagen zwischendurch zu verzeichnen. Eine Stadt, in der man manchmal unter der Woche nachts von lauthalsschreienden Angetrunkenen aus dem Schlaf gerissen wird, glich einer Stille wie auf dem Lande und das eigene Zimmer einem Büro. Lediglich das Joggen, der einmal pro Woche stattfindende Einkaufsbesuch im Supermarkt, die Arbeit mit Texten und diverse Serien im Internet füllten den Tagesablauf einer sich Woche für Woche um einen Mitbewohner leerenden Doktoranden-WG, deren Lebenskern aus der gemeinsamen Küche und einer kleinen Dachterrasse bestand.

 

Die Fahrt in die Heimat

Meine Entscheidung, in die Heimat zu fahren, erfolgte aufgrund der Pflicht zur TÜV-Kontrolle des im Februar von meinen Eltern ausgeliehenen Autos. Ich begab mich folglich auf der recht unbefahrenen Autobahn Richtung Heimat. Alles verlief reibungslos, bis mich ein 15 km langer Stau vor Görlitz begrüßte. Dies war jedoch die verkürzte Variante des einige Tage zuvor sich auf 60 km erstreckenden Staus, der als Folge der erstmalig seit Dezember 2007 erneut eingeführten Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Polen entstanden war.

Da Görlitz zu meinen Lieblingsstädten gehört, entschied ich mich, es mit dem Grenzübergang innerhalb der Europastadt zu versuchen und verließ die Autobahn samt des Staus. Leider traf ich dabei auf eine mit polnischen Kennzeichen vollgestopfte Altstadt und viele Görlitzer Ordnungshüter, die damit beschäftigt waren, eine Entlastung für das durch die polnische Grenzkontrolle auf deutscher Seite verursachte Chaos zu schaffen.

 

Die „Grenzkontrolle“

Die Rückkehr auf die Autobahn war die zeitlich beste Lösung, wobei lediglich PKWs einer Kontrolle unterzogen wurden, keine LKWs oder Busse. Dennoch führte dies zu einem übertrieben langen Stau, da neben der Körpertemperaturmessung jeder ein Formular erhielt, welches es vor Ort per Hand auszufüllen galt. Hierbei erübrigt sich die Frage nach der Effizienz eines derartigen Vorgehens im IT- und Internet-Zeitalter, wenn man bedenkt, dass die Leserlichkeit und Korrektheit der angegebenen Daten vor Ort nicht überprüft werden konnte und nicht wurde.

Auf der polnischen Tankstelle, gefragt nach der dreistündigen Dauer der „Grenzkontrolle“, quittierte der Tankwart selbst, dass es sich dabei lediglich um eine provisorische Handlung für die politische Propaganda handle, worauf ebenso zuvor der Grenzwächter mit der Feststellung, keiner wisse Genaueres, hinzuweisen schien. Von dem stundenlangen Warten ist neben dem irritierenden Gestank von Abgasen und hupenden Autos, manches auffällige Verhalten von herausschallenden Beleidigungen in polnischer Sprache einiger Frauen und Männer im Gedächtnis geblieben.

 

Der Klang von Sirenen

Zuhause, in der Nähe von Groß Strehlitz, angekommen, erwartete ich jegliche Meldungen seitens des Gesundheitsamtes oder der Polizeibehörden am Folgetag telefonisch oder auf die angegebene E-Mailadresse. Doch diese kamen nicht bis zum Morgen des 6. Tages, als die Sirenen eines Streifenwagens mich aus dem Schlaf rissen. Zugegebenermaßen war es bereits nach 9 Uhr, doch mit dem nächtlichen Arbeitsrhythmus eines Schreibenden ist dies wie für andere 6 Uhr in der Früh.

Angeblich sei ich nicht an mein Handy gegangen, doch ein Blick darauf zeugte davon, dass keiner versucht hatte, sich mit mir in Verbindung zu setzen, weder an jenem noch an den Tagen zuvor. Auch keine E-Mailnachricht diesbezüglich erschien bis zum heutigen Tag in meiner Mailbox. Doch die Besuche der Ordnungshüter, die ein regelmäßiges Schmunzeln bei mir auslösen, sind mittlerweile zur täglichen Routine geworden und lassen mich mit jedem Ertönen der Sirene einen weiteren Tag aus dem Quarantäne-Lebens streichen.

 

Quarantäne als Auszeit

Es hört sich an, wie das Leben in einem Gefängnis, doch tatsächlich ist es das nicht. Denn im dörflichen Elternhaus mit Garten verläuft die Quarantäne besser als mein üblicher Alltag eines Doktoranden in der Stadt. Den Unterschied machen die zahlreichen Geräusche von arbeitenden Nachbarn, Hunden und selten vorbeifahrenden Auto aus, was im Unterschied zur dem aktuell eingefroren wirkenden Stadtleben mir eher das Gefühl von Lebendigkeit der Umgebung vermittelt. Die Möglichkeit zur Gartenarbeit oder Sportaktivitäten im Haus, um mich nach der „Kopf-Arbeit“ abzureagieren, verdeutlichen in diesen Zeiten die Vorteile eines Dorflebens. Das Internet ermöglicht mir, ortsungebunden meiner Tätigkeit nachzugehen, da es in meinem Fall einen Lebensbereich umfasst, der überall vollzogen werden kann. Sorgen, außer den üblichen, habe ich momentan keine, denn dies entspricht dem flexiblen Umgang mit Herausforderungen je nachdem, was die Umstände von einem, einem Doktoranden, verlangen.
Die Zeit fürs Geldverdienen wird wiederkommen, davon bin ich überzeugt. Was heute zählt, ist die Gesundheit und solange diese nicht gefährdet wird, befindet sich alles im grünen Bereich. Aus dem Grund ist die Quarantäne eine zwar passive, doch zugleich einfache und gute Möglichkeit, um niemanden unbewusst oder sinnlos zu gefährden.

 

Adam Kubik (notiert am 8. April 2020)

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