Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Voreilige Schlüsse

Wahlen in Deutschland. Ein sehr wichtiges Ereignis nicht nur für die Deutschen, uns eingeschlossen in Schlesien, Ermland oder Masuren, sondern für alle Europäer. Jeder Tag, der neue Informationen über Trumps Schritte bringt, lässt die Notwendigkeit einer guten Bundesregierung in Berlin im Bewusstsein der europäischen Gesellschaften wachsen.

Die Ergebnisse werden überall und von jedem analysiert. Oft nur oberflächlich. Ein Beispiel ist die im Internet kursierende Karte, auf der die blau markierten Bundesländer der ehemaligen DDR dem meist schwarz bedeckten Westen Deutschlands gegenüberstehen. Das Blau zeigt den Vorsprung der AfD, die als rechtsextreme Partei gilt, und das Schwarz zeigt den Vorsprung der Christdemokraten der CDU/CSU. Es ist leicht, voreilige Schlüsse über das Ausmaß der politischen Kluft zwischen diesen Teilen Deutschlands zu ziehen. Die Karte verrät jedoch nicht ganz, woher die 10.327.148 Wähler der AfD kommen: Nur 27,7 Prozent davon stammen aus den blau markierten Bundesländern, weitere 26,8 Prozent aus Baden-Württemberg und insgesamt 29,5 Prozent aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Diese Ergebnisse zeigen also eher das Ausmaß der Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik der verschiedenen Regierungen in Berlin. Dies ist nicht mehr nur eine Folge der ehemaligen Teilung Deutschlands im Kalten Krieg und der Ungleichheit nach der Wiedervereinigung. Glücklicherweise haben die nächsten vier Jahre das Potenzial, diesen Trend umzukehren.

Am Rande dieser Wahl überraschte mich eine andere, auf der Mikroebene meiner Facebook-Seite offenbarte weitere Spaltung. Als ich mit einem Sonntagsposting bekannt gab, dass auch ich meine Stimme abgegeben hatte, gab es sofort emotionale Kommentare, in denen die Tatsache kritisiert wurde, dass ich als Angehöriger der deutschen Minderheit, der in Polen lebt, das Recht habe, in Deutschland zu wählen. Diese Stimmen kamen von Menschen, die vor Jahren aus Schlesien nach Deutschland gezogen waren, und ein Element dieser Kritik ist, dass wir in Deutschland keine Steuerzahler sind. Als ich einen Tag später, am 24. Februar, dem dritten Jahrestag des bewaffneten Angriffs Russlands auf die Ukraine, in meinem Profilbild vor dem Hintergrund der ukrainischen Flagge die Worte „I’m with Ukraine”“ einfügte, regneten interessanterweise noch mehr Blitze auf mich herab. Darunter waren zum Teil die gleichen Kritiker, die mir am Tag zuvor das Wahlrecht in Deutschland „weggenommen“ hatten. Diesmal gab es aber auch viele Stimmen von Schlesiern aus Polen. Einige warfen mir Unkenntnis der Geschichte vor. Schließlich war die Rote Armee, die 1945 in Schlesien deutsche Frauen ermordete und vergewaltigte, genau die Erste Ukrainische Front. Wie kann ich also heute auf der Seite der Ukraine stehen? Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ich vereinfache, aber wenn wir heute ein Ende der kollektiven Schuldzuweisung an alle Deutschen für die Verbrechen des Dritten Reiches erwarten, damals und heute, also auch an die unschuldigen deutschen Frauen in Schlesien, dann dürfen wir nicht versäumen, uns auf die Seite der von den Russen getöteten Ukrainer zu stellen. Auch deshalb: I’m with Ukraine.

Bernard Gaida

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