Ein unvollständiges Narrativ
Wer deutsche Museen besucht hat, die sich den ehemaligen deutschen Ostprovinzen widmen, hat vielleicht bemerkt, dass deren Narrativ mit der Flucht vor der Front im Jahr 1945 und den anschließenden Vertreibungen endet. Die Deutschen, die heute noch in diesen Gebieten leben und die heutige deutsche Minderheit bilden, nehmen dies oft gar nicht wahr.
In Polen sind wir daran gewöhnt, dass die Existenz von Menschen deutscher Herkunft in den Jahrzehnten nach dem Krieg verschwiegen und so stark verfälscht wurde, dass nicht nur Polen, sondern selbst wir zu der Überzeugung gelangten, dass wir keine Deutschen seien. Viele hatten nicht die geistige Stärke. Die Familien hatten nicht den Mut, ihr Deutschtum zu bewahren. Die Volksrepublik Polen (PRL) war letztlich ein Fehlschlag – doch der Kampf gegen das Deutschtum war ein Erfolg.
Die deutsche Identität
Heute sucht die junge Generation in Schlesien ihre Identität aufs Neue. Mit der Erkenntnis, dass sie sich nicht als Polen fühlen, kehren viele nicht zur umfassenden Identität ihrer Vorfahren zurück, sondern beschränken sich auf eine regionale Zugehörigkeit. Die Vorstellung, dass das deutsche Element vollständig aus den heutigen westlichen und nördlichen Gebieten Polens verschwunden sei, ist im Bewusstsein der Polen noch tiefer verankert. Seit über 35 Jahren ist jedoch bekannt, dass hier weiterhin eine deutsche Minderheit von vielen Tausenden lebt und ihre durch jahrzehntelange Unterdrückung zerstörte Sprache und kulturelle Identität mühsam wiederherstellt.
Die Volksrepublik Polen (PRL) war letztlich ein Fehlschlag – doch der Kampf gegen das Deutschtum war ein Erfolg.
Die Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Minderheit
Und obwohl dies politisch längst anerkannt ist, wird es mental von vielen immer noch nicht berücksichtigt. In Polen versuchen wir durch öffentliche Aktivitäten dieses Erbe der PRL zu überwinden, indem wir die historische Kontinuität des deutschen Kulturraums zeigen, zu dem wir gehören.
Ein Beispiel dafür ist das DAZ in der Szpitalna-Straße in Oppeln. Aber das ist eine Ausnahme. Polnische Kultureinrichtungen ignorieren unsere Präsenz meist weiterhin – ganz im alten PRL-Stil. Dasselbe tun auch deutsche Museen und Institutionen, indem sie ein Bild verbreiten, wonach mit der Vertreibung von Millionen Schlesiern, Masuren und Pommern das deutsche Element endgültig aus diesen Gebieten verschwunden sei. Genau deshalb ist eine Erzählung über die deutsche Geschichte Schlesiens, Pommerns oder Ostpreußens in den 1950er Jahren notwendig.
Der Identität treu geblieben
Als am 13. Mai im Berliner Dokumentationszentrum „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ das Diskussionsforum „80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: Erinnerung und Gegenwart in Deutschland und Osteuropa“ stattfand, wurde mir das wieder bewusst.
Neben dem polnischen Diplomaten Janusz Reiter nahmen auch zwei von mir sehr geschätzte Autorinnen teil: Christiane Hoffmann mit ihrem Buch „Alles, was wir nicht erinnern“ sowie Ira Peter mit „Deutsch genug?“. Die erste schilderte die Flucht ihrer Familie 1945 aus der Gegend von Brieg, die zweite die Erfahrungen einer Wolhynien deutschen Familie, die 1992 aus Kasachstan nach Deutschland übersiedelte. Beide Bücher und ihre Autorinnen schätze ich sehr – doch das ändert nichts an der Tatsache, dass das Ausklammern der Perspektive jener Deutschen, die ihrer Identität treu geblieben und die letzten 80 Jahre in den Ländern Mittelosteuropas und im postsowjetischen Raum gelebt haben, jeder Analyse das Wesentlichste nimmt.
Es ist, als ob man einen Menschen vollständig medizinisch untersucht, dabei aber das Herz außer Acht lässt. In Berlin habe ich erneut darauf hingewiesen – doch wir müssen das sowohl hier als auch dort immer wieder einfordern. Auch wenn es wie eine Sisyphusarbeit erscheint.
Bernard Gaida