Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Diplomatie oder …?

Vor langer Zeit habe ich im Artikel „Savoir vivre und die Moral der Diplomatie“ von Paweł A. Makowski gelesen, dass „Diplomatie sowohl Inhalt als auch Form ist. Der Inhalt bestimmt die Kunst der Diplomatie, die Form das diplomatische Handwerk. (…) Die großen, erhabenen, geistigen und moralischen Inhalte unseres Lebens machen sie zu einer großen Kunst. Wenn jedoch die Form fehlt, die von der höheren Kultur geschaffen wurde und die ihr dauerhaft und eng verwandt ist, verkümmert, verschwimmt und verschwindet der Inhalt unseres Lebens.“

Dieser Satz kam mir in den Sinn, als ich am Montag, den 3. Oktober, gelesen habe, dass Minister Zbigniew Rau am selben Tag vor den Kameras eine diplomatische Note über Reparationen unterschrieben und verschickt hatte. Damit begann er offiziell den Prozess ihrer Forderung. Und es kam mir in den Sinn, weil, neben der Tatsache, dass die Forderung nach astronomischen hohen Reparationszahlungen im Vergleich zu vielen historischen Tatsachen rechtliche und ethische Zweifel aufwirft, auch, weil der Minister es an diesem Tag getan hat. Deutschland feiert den freudigen Tag der Deutschen Einheit. Es ist ein bisschen wie ein Gerichtsvollzieher, der jemandem an seinem Geburtstag die Zwangsräumungsklage übergibt. Wir alle würden fragen, ob er nicht wenigstens bis zum nächsten Tag hätte warten können.

Ich behaupte, dass dies absichtlich und nicht zufällig geschah und ein Beweis für das Maß an Bosheit ist, mit dem die polnische Regierung ihren engsten und wichtigsten Partner in der Europäischen Union behandelt. Es ist peinlich, dass der Außenminister, der als Diplomat für das Image des Staates verantwortlich ist, sich dieser Politik ergibt. Statt Glückwünsche zum Jahrestag der Einheit, die auch ein Verdienst der polnischen Solidarność ist, schickt er eine solche diplomatische Note. Es ist schwer, darin nicht das Hauptmerkmal der Bosheit zu sehen, nämlich eine Befriedigung daraus zu ziehen, jemanden zu verletzen. Es wird schwierig sein, diesen niederen Beweggrund in der internationalen Gemeinschaft zu verbergen.

Der Klassiker der Diplomatie, Harald Nicolson, nennt unter den Eigenschaften, die ein Diplomat neben Intelligenz und besonnenem Auftreten aufweisen sollte, auch Takt- und Fingerspitzengefühl. Diese Eigenschaften fehlten Herrn Rau eindeutig. Aber es fehlte bei der ganzen Sache an Gemeinschaftsgefühl und praktischem Denken. Zusammen mit dieser formellen diplomatischen Note eröffnete die polnische Regierung ein geschlossenes Kapitel, in dem Polen beispielsweise auch nicht Rechenschaft ablegte gegenüber Gefangenen polnischer Nachkriegsarbeitslager, gegenüber den in die UdSSR Deportierten oder Menschen, denen ihr Eigentum wegen ihrer deutschen Herkunft entzogen wurde. Ich denke, diese Liste wird viel länger werden.

Bernard Gaida

Titelfoto: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem polnischen Amtskollegen Zbigniew Rau am 04.10. in Warschau (Foto: Sebastian Indra / MSZ)

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