Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Linstow

Dieses Wochenende des „Goldenen Herbstes” verbrachte ich im kleinen Linstow, in der Nähe von Krakow am See in Mecklenburg. Hier, in der malerischen Landschaft aus hügeligen Feldern, dichten Wäldern und Seen, befindet sich das Wolhynier-Umsiedler-Museum.

Der scharfsinnige Leser sollte gleich einige Fragen stellen. Die erste, warum es genau hier ist, und die zweite, warum es den „Umsiedlern“ gewidmet ist. Die Antwort auf diese und viele andere Fragen erhielt ich während der dreitägigen Konferenz, die allen Auswanderungen, Deportationen und Vertreibungen der Wolhyniendeutschen gewidmet war. Hierher kamen so viele Deutsche aus Wolhynien, dass das Dorf im Jahr 1949 auf über 617 Einwohner „wuchs, während es im Jahr 1939 nur 251 Einwohner zählte. Und das war in der ehemaligen DDR keine Ausnahme, denn 1949 wurden über 4,3 Millionen Vertriebene in der sowjetischen Besatzungszone angesiedelt, was bei 18 Millionen Einwohnern fast 25 Prozent der Bevölkerung ausmachte.

Trotzdem durfte in dieser – später in die DDR umgewandelten – Besatzungszone niemand als „Vertriebener“ oder „Flüchtling“ bezeichnet werden, was eine moralische Bewertung eines Phänomens enthielt, das maßgeblich der UdSSR zuzurechnen war. Außerdem musste die DDR gute Beziehungen zu Polen und der Tschechoslowakei aufbauen, die ihrerseits die Vertreibungen durchgeführt haben. Infolgedessen konnten die betroffenen Deutschen, die neuen Einwohner, ihr Schicksal in keiner Weise erzählen, ihre Opfer ehren oder ihrer gedenken.

In diesem denkmalgeschützten Wohnhaus in Linstow befindet sich seit 1993 das Wolhynier-Umsiedler-Museum.
Foto: Assenmacher/wikimedia.org (CC BY-SA 4.0)

Für sie wurde der Begriff „Umsiedler“ geprägt – und gleichzeitig verboten, diese Einwohnergruppe gesondert in die zentrale Statistik aufzunehmen. Offiziell sollten sie nicht existieren, sondern sich im Staatsgebiet auflösen. Sie kamen nicht aus Wolhynien, sondern aus dem Warthegau, von wo aus sie 1945 mit den Schlesiern vor der Front durch Tschechien flohen. Wolhynien mussten sie 1939 infolge des Molotow-Ribbentrop-Pakts plötzlich verlassen.

Das Warthegau wird unnötigerweise nur mit Großpolen in Verbindung gebracht. Herr Reimann, den ich hier getroffen habe, sagt, dass er am 21. Januar 1945 Schmiederdorf bei Wieluń verlassen hat. Dort übernahmen sie die Häuser von zuvor vertriebenen Polen. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als sich herausstellte, dass es sich um das Dorf Kowale in der Nähe von Praszka handelte. Heute liegt es innerhalb der Grenzen der Woiwodschaft Oppeln, im Kreis Rosenberg, 46 Kilometer von meinem Guttentag entfernt. Vielleicht haben sie meine Familie und ihren Treck während der Flucht kennengelernt.

In Linstow versuchen sie heute durch ein Museum, einen Obelisken, ein symbolisches Grab und ein Modell von Adamówka, einem von ihnen vor 83 Jahren verlassenen wolhynischen Dorf, die Erinnerung an eine Gemeinschaft zu retten, die es in Wolhynien nicht mehr gibt. Überlegungen, die uns auch in Schlesien, Masuren, Ermland und Pommern beschäftigen, nämlich Identität und Erinnerung heute zu bewahren, zu pflegen und wirksam zu vermitteln, standen im Mittelpunkt der gesamten Tagung. Überschattet wurden diese Überlegungen von der Nachricht, dass dem Museum im Jahr 2023 ein Zuschuss zur Finanzierung des Gehalts einer einzelnen vollzeitbeschäftigten Person wegfällt.

Bernard Gaida

Webseite des Museums: https://umsiedlermuseum-wolhynien.de/

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