Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Die Gedanken sind frei

Muss Geschichte spalten?

Die vorige Kolumne habe ich dem Nationalfeiertag der Schlesischen Aufstände gewidmet, der Oberschlesien auferlegt wurde. Ich erwähnte, dass er mit dem deutschen Gedenktag an die Opfer von Flucht und Vertreibung zusammenfällt. Gut, dass beide gleichzeitig begangen werden, denn die sogenannten Schlesischen Aufstände und ihr tragisches Ergebnis für Schlesien, das heißt die Loslösung seines Teils und dessen Angliederung an Polen, waren der Grund für die ersten Umsiedlungen. Diese Tragödie hat 100 Jahre später immer noch ihre Auswirkungen und spaltet weiter.

Wie sehr sie spaltet, sieht man an der Reaktion auf diesen Gedenktag oder am unglücklichen Pantheon der polnischen Helden im Kattowitzer Dom, das Schlesisches Pantheon nur genannt wurde. Ich kenne das Trauma dieser Umsiedlungen nach 1922 aus meiner Familiengeschichte, weil ich eine Tante hatte, deren Familie ihren Hof in einem der Dörfer bei Lublinitz verlassen und sich auf dem Hof einer pro-polnischen Familie in Guttentag niederlassen musste, die sich ihrerseits auf die andere Seite der Grenze begeben hatte. Es kam also zu einem merkwürdigen Tausch, einem Umzug knapp 20 km nach Westen, doch gleichzeitig zum Gefühl des Heimatverlustes und bis zu ihrem Tod (bereits in der Volksrepublik) zu einem ohnmächtigen Widerstand, der 1945 noch dadurch bestärkt wurde, dass dieser Verlust nur dazu führte, dass sie 22 Jahr länger im deutschen Schlesien leben konnte.

Am Montag, den 20. Juni, habe ich in Berlin meiner Tante gedacht, die mit mehreren Hunderttausend anderer Schlesier für die Grenze von 1922 bezahlt hat. Ich habe all derer gedacht, die der alliierten Idee der Grenzverschiebungen und Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen sind, all derer, die sich in Schlesien, Pommern, Masuren und Ermland nach dem Verlust eines großen Teils des historischen und kulturellen Erbes, vertieft durch die moderne antideutsche Staatsgewalt, immer noch nicht wie in seiner eigenen Heimat wiederfinden. Die Angst vor der Erziehung durch Schulen, die sogar die Möglichkeit des Deutschunterrichts auf eine Stunde pro Woche beschränken, veranlasst viele junge Menschen, ihre Entscheidung, nicht nach Deutschland zu gehen, zu überdenken. Kann man glauben, dass es besser wird? Und doch wäre es möglich, auch schwierige Jubiläen anders zu feiern als die einheimischen Schlesier aus ihnen zu eliminieren.

Die Gedenkstunde in Berlin sieht in ihrem Programm einen persönlichen Bericht der 1945 vertriebenen Deutschen und daneben den Bericht eines Flüchtlings aus der Ukraine vor. Vor der Pandemie habe ich an diesen Zeremonien teilgenommen und neben den vertriebenen Deutschen haben Migranten aus dem Irak und Syrien ihre Berichte geschildert. Das im vergangenen Jahr in Berlin eröffnete Dokumentationszentrum „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zeigt das ungerechte Schicksal von Millionen deutscher Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg. Es geschieht aber auch vor dem Hintergrund des Unrechts anderer Vertreibungen in der Geschichte Europas, darunter der Vertreibung der Polen aus den Grenzgebieten. Es geht also anders, aber wahrscheinlich nicht bei uns.

Bernard Gaida

Titelfoto: Thorton/wikimedia.org

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